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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Ungarische wählen

Verpflegung am Wahlorte und Wahltage die materielle Beeinflussung durch
einen noch dazu von den behördlichen Organen unterstützten Regiernngs-
landidaten bereitwillig gefallen lassen. Funde sich sonach auch ein Mandats¬
bewerber, der sich nicht um die unausbleiblichen Angriffe der chauvinistischen
Presse gegen den "Pangermanen" kümmerte und die auf reinem Nativncil-
gefühl beruhende uneigennützige Unterstützung seiner deutschen Stammesgenossen
fände, so müßte er doch bereit sein, mehrere tausend Gulden "gesetzliche Wahl¬
kosten" zu übernehme". Neben den unausbleiblichen Anfeindungen in der
chauvinistischen Gesellschaft und Presse, neben den voraussichtlichen Angriffen
im Parlament auch dieses materielle Opfer zu bringen, dürfte sich nur großer
Opfermut versteh", der zugleich über die genügenden Geldmittel gehste. Und
da der größte Teil der Wähler daran gewohnt war, sich ohne Begeisterung
für ein Prinzip willenlos zur Urne kommandieren oder direkt treiben zu lassen,
oder, um sich Beseitigungen zu entziehn, der Wahl mindestens fern zu bleiben,
so würde es in Landwahlbezirken von dreißig, vierzig, fünfzig Gemeinden auch
uoch einer wochenlangen anstrengenden und kostspieligen Wahlagitation be¬
dürfen, das schlummernde Nationalgefühl zu erwecken und ein selbstbewußtes
Auftreten und unabhängiges Stimmen des bessern Teils der Wählerschaft zu
erreichen.

Die Reinigung der politischen Atmosphäre, die sich Ministerpräsident
Szell zum Ziel gesetzt hat, kann nur durch eine andre Zusammensetzung des
Abgeordnetenhauses, und diese nur durch vollständig freie und reine Wahlen
erreicht werden. Das liegt nicht bloß im Interesse Ungarns selbst, sondern
mit Rücksicht ans das Bündnis der österreichisch-ungarischen Monarchie mit
dem Deutschen Reiche auch in dessen Interesse. Nur ein wirklich frei ge¬
wähltes, den Willen aller Völker des Landes unverfälscht zum Ausdruck
bringendes Parlament und eine sich auf ein solches stützende Negierung kann
dem Bundesgenossen die sichere Gewähr bieten, daß sie ein wirksames Gegen¬
gewicht gegen die dreibundfeindlichen Strömungen im österreichischen Reichs¬
rat in die Wagschale der außer" Politik zu legen vermag. An dem redlichen
Willen des Ministerpräsidenten kann nicht gezweifelt werden. Aber seine besten
Absichten werden in viele" Fälle" durch die Mängel der Wahlart und dnrch
die leider in das allgemeine Bewußtsein eingedrungne Anschauung vereitelt
werden, daß die Wahlen lediglich eine Machtfrage seien, bei deren Beant¬
wortung unbedenklich auch die verwerflichsten Mittel zur Besiegung des Gegners
angewandt werde" dürfen. In das Wahlgesetz sind Bestimmungen aufgenommen
worden, die die Möglichkeit ausschließen sollen, daß infolge der Stimment¬
haltung nichtmagharischer Wähler ein Bezirk keinen Vertreter in das Ab¬
geordnetenhaus entsendet. Ein Reichstagsabgeordneter kann mit einer einzigen.
Stimme -- auch mit seiner eignen ^ gewählt werden. Die Wahl nach Ge¬
meinden, die Absonderung der Wähler nach Parteien und Kandidaten giebt
dem Wahlpräsidenten die Möglichkeit, Licht und Schatten ans das ungleichste
zu verteilen, den Oppositionellen die ungünstigsten Anfstellnngsplätze zuzuleiten,


Ungarische wählen

Verpflegung am Wahlorte und Wahltage die materielle Beeinflussung durch
einen noch dazu von den behördlichen Organen unterstützten Regiernngs-
landidaten bereitwillig gefallen lassen. Funde sich sonach auch ein Mandats¬
bewerber, der sich nicht um die unausbleiblichen Angriffe der chauvinistischen
Presse gegen den „Pangermanen" kümmerte und die auf reinem Nativncil-
gefühl beruhende uneigennützige Unterstützung seiner deutschen Stammesgenossen
fände, so müßte er doch bereit sein, mehrere tausend Gulden „gesetzliche Wahl¬
kosten" zu übernehme». Neben den unausbleiblichen Anfeindungen in der
chauvinistischen Gesellschaft und Presse, neben den voraussichtlichen Angriffen
im Parlament auch dieses materielle Opfer zu bringen, dürfte sich nur großer
Opfermut versteh», der zugleich über die genügenden Geldmittel gehste. Und
da der größte Teil der Wähler daran gewohnt war, sich ohne Begeisterung
für ein Prinzip willenlos zur Urne kommandieren oder direkt treiben zu lassen,
oder, um sich Beseitigungen zu entziehn, der Wahl mindestens fern zu bleiben,
so würde es in Landwahlbezirken von dreißig, vierzig, fünfzig Gemeinden auch
uoch einer wochenlangen anstrengenden und kostspieligen Wahlagitation be¬
dürfen, das schlummernde Nationalgefühl zu erwecken und ein selbstbewußtes
Auftreten und unabhängiges Stimmen des bessern Teils der Wählerschaft zu
erreichen.

Die Reinigung der politischen Atmosphäre, die sich Ministerpräsident
Szell zum Ziel gesetzt hat, kann nur durch eine andre Zusammensetzung des
Abgeordnetenhauses, und diese nur durch vollständig freie und reine Wahlen
erreicht werden. Das liegt nicht bloß im Interesse Ungarns selbst, sondern
mit Rücksicht ans das Bündnis der österreichisch-ungarischen Monarchie mit
dem Deutschen Reiche auch in dessen Interesse. Nur ein wirklich frei ge¬
wähltes, den Willen aller Völker des Landes unverfälscht zum Ausdruck
bringendes Parlament und eine sich auf ein solches stützende Negierung kann
dem Bundesgenossen die sichere Gewähr bieten, daß sie ein wirksames Gegen¬
gewicht gegen die dreibundfeindlichen Strömungen im österreichischen Reichs¬
rat in die Wagschale der außer» Politik zu legen vermag. An dem redlichen
Willen des Ministerpräsidenten kann nicht gezweifelt werden. Aber seine besten
Absichten werden in viele» Fälle» durch die Mängel der Wahlart und dnrch
die leider in das allgemeine Bewußtsein eingedrungne Anschauung vereitelt
werden, daß die Wahlen lediglich eine Machtfrage seien, bei deren Beant¬
wortung unbedenklich auch die verwerflichsten Mittel zur Besiegung des Gegners
angewandt werde» dürfen. In das Wahlgesetz sind Bestimmungen aufgenommen
worden, die die Möglichkeit ausschließen sollen, daß infolge der Stimment¬
haltung nichtmagharischer Wähler ein Bezirk keinen Vertreter in das Ab¬
geordnetenhaus entsendet. Ein Reichstagsabgeordneter kann mit einer einzigen.
Stimme — auch mit seiner eignen ^ gewählt werden. Die Wahl nach Ge¬
meinden, die Absonderung der Wähler nach Parteien und Kandidaten giebt
dem Wahlpräsidenten die Möglichkeit, Licht und Schatten ans das ungleichste
zu verteilen, den Oppositionellen die ungünstigsten Anfstellnngsplätze zuzuleiten,


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[0493] Ungarische wählen Verpflegung am Wahlorte und Wahltage die materielle Beeinflussung durch einen noch dazu von den behördlichen Organen unterstützten Regiernngs- landidaten bereitwillig gefallen lassen. Funde sich sonach auch ein Mandats¬ bewerber, der sich nicht um die unausbleiblichen Angriffe der chauvinistischen Presse gegen den „Pangermanen" kümmerte und die auf reinem Nativncil- gefühl beruhende uneigennützige Unterstützung seiner deutschen Stammesgenossen fände, so müßte er doch bereit sein, mehrere tausend Gulden „gesetzliche Wahl¬ kosten" zu übernehme». Neben den unausbleiblichen Anfeindungen in der chauvinistischen Gesellschaft und Presse, neben den voraussichtlichen Angriffen im Parlament auch dieses materielle Opfer zu bringen, dürfte sich nur großer Opfermut versteh», der zugleich über die genügenden Geldmittel gehste. Und da der größte Teil der Wähler daran gewohnt war, sich ohne Begeisterung für ein Prinzip willenlos zur Urne kommandieren oder direkt treiben zu lassen, oder, um sich Beseitigungen zu entziehn, der Wahl mindestens fern zu bleiben, so würde es in Landwahlbezirken von dreißig, vierzig, fünfzig Gemeinden auch uoch einer wochenlangen anstrengenden und kostspieligen Wahlagitation be¬ dürfen, das schlummernde Nationalgefühl zu erwecken und ein selbstbewußtes Auftreten und unabhängiges Stimmen des bessern Teils der Wählerschaft zu erreichen. Die Reinigung der politischen Atmosphäre, die sich Ministerpräsident Szell zum Ziel gesetzt hat, kann nur durch eine andre Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses, und diese nur durch vollständig freie und reine Wahlen erreicht werden. Das liegt nicht bloß im Interesse Ungarns selbst, sondern mit Rücksicht ans das Bündnis der österreichisch-ungarischen Monarchie mit dem Deutschen Reiche auch in dessen Interesse. Nur ein wirklich frei ge¬ wähltes, den Willen aller Völker des Landes unverfälscht zum Ausdruck bringendes Parlament und eine sich auf ein solches stützende Negierung kann dem Bundesgenossen die sichere Gewähr bieten, daß sie ein wirksames Gegen¬ gewicht gegen die dreibundfeindlichen Strömungen im österreichischen Reichs¬ rat in die Wagschale der außer» Politik zu legen vermag. An dem redlichen Willen des Ministerpräsidenten kann nicht gezweifelt werden. Aber seine besten Absichten werden in viele» Fälle» durch die Mängel der Wahlart und dnrch die leider in das allgemeine Bewußtsein eingedrungne Anschauung vereitelt werden, daß die Wahlen lediglich eine Machtfrage seien, bei deren Beant¬ wortung unbedenklich auch die verwerflichsten Mittel zur Besiegung des Gegners angewandt werde» dürfen. In das Wahlgesetz sind Bestimmungen aufgenommen worden, die die Möglichkeit ausschließen sollen, daß infolge der Stimment¬ haltung nichtmagharischer Wähler ein Bezirk keinen Vertreter in das Ab¬ geordnetenhaus entsendet. Ein Reichstagsabgeordneter kann mit einer einzigen. Stimme — auch mit seiner eignen ^ gewählt werden. Die Wahl nach Ge¬ meinden, die Absonderung der Wähler nach Parteien und Kandidaten giebt dem Wahlpräsidenten die Möglichkeit, Licht und Schatten ans das ungleichste zu verteilen, den Oppositionellen die ungünstigsten Anfstellnngsplätze zuzuleiten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/493>, abgerufen am 22.07.2024.