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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Goethe und Frankfurtmain

oder genauer gesagt das Interesse für das Essen scheint allerdings dem normalen
wohlhabenden Frankfurter eigen zu sein. Und nnr von dem normalen Ein¬
wohner kann natürlich bei eiuer allgemeinen Charakteristik die Rede sein: eS
ist Sache ungebildeter Geister, einen ganzen Bolksstamm, einen ganzen Stand
und so weiter in einen Topf zu werfen; bei einer allgemeinen Charakteristik
können nur Eigenschaften in Betracht gezogen werden, die bei einer verhältnis¬
mäßig großen Anzahl von Individuen typisch wiederkehren.

Eine solche Eigenschaft ist in Frankfurt das viele Essen, (Vom Protzen
der Frankfurter Börsenkreise mit Geld, geschmacklosen aber teuern Toiletten
wollen wir nicht reden, da es ja weltbekannt ist,) Das Essen erzeugt nicht
die Bierbäuche, die man in München so häufig sieht, sondern ein mittleres
Embonpoint, das auf gute Verhältnisse und wenig Sorgen hindeutet und in¬
sofern Geschäftsleuten zur Erhaltung des Kredits dienlich ist. Es erzeugt bei
Herren und Damen eine große Seßhaftigkeit, und mit dieser dürfte die Vor¬
liebe der Frankfurter für Musik und Ballett zusammenhängen; das sind Künste,
die man so nach dem Essen im Sitzen, ohne seinen Kopf anzustrengen, genießen
kann, während z, B, die Malerei Stehn, wenn nicht gnr Herumgehn erfordert.
Bei größerm Interesse für die bildende Kunst würde Frankfurt als die reichste
Stadt Süddeutschlands das Hauptnbsatzgebiet für die süddeutschen Künstler sein.
Die Bewohner dieser Stadt sage" indessen mit Alkinous, dein Könige der
Phäaken:


Auch ist immer der Schmaus uns lieb, und die Laut' und der Neihntnnz,
Und oft wechselnder Schmuck, und ein wärmendes Bad, und ein Ruhbett,

Dies alles hatte schon Goethes Mutter mit ihrem offnen Blick erkannt.
Am 15, Februar 1798 schreibt sie an Christiane, indem sie um Zusendung guter
Bücher bittet: "Wir haben dir das Thirische Leben bctrefcndt an nichts
mnngcl -- aber dem Geist geht es wie Adonia dem Königs Sohn im Alten
Testament --- von dem geschrieben steht wie wirst dn so mager du Königs
Sohn." Und am 22. März 1802 um dieselbe: "Den meisten meiner Lnnds-
leute ist der Bauch ihr Gott -- wahre Hippeltdcmtze -- vor das Geld ihrer
Gastereyen tönte die größte Mahler und Zeichnnngs Academie unterhalten
werden -- und diese Bachanalien sehen der Langeweile so ähnlich, wie ein
Troppen Wasser dem andern. Geltung von diesem elenden Geschlecht."

Auch Goethe äußert sich, wo er uicht von einzelnen Frankfurtern, sondern
von ihrer Gesamtheit spricht, über seine Landsleute ohne Enthusiasmus. Da
sich um das Verhältnis Goethes zu den Frankfurtern eine Art Mythe ge¬
sponnen hat, und da, soweit ich sehe, seine Äußerungen in den zahlreichen
Festartikeln des Jahres 1899 nicht angeführt worden sind, wollen wir sie hier
nun nachträglich zusammenstellen. Hingegen sind die Anregungen, die Goethe
der Lage und der Geschichte seiner Geburtsstadt verdankt, unzähligemal hervor¬
gehoben worden und sicherlich jedem Leser zur Genüge bekannt.

Eine Äußerung aus sehr früher Zeit, nämlich vom 27, Oktober 1768,


Goethe und Frankfurtmain

oder genauer gesagt das Interesse für das Essen scheint allerdings dem normalen
wohlhabenden Frankfurter eigen zu sein. Und nnr von dem normalen Ein¬
wohner kann natürlich bei eiuer allgemeinen Charakteristik die Rede sein: eS
ist Sache ungebildeter Geister, einen ganzen Bolksstamm, einen ganzen Stand
und so weiter in einen Topf zu werfen; bei einer allgemeinen Charakteristik
können nur Eigenschaften in Betracht gezogen werden, die bei einer verhältnis¬
mäßig großen Anzahl von Individuen typisch wiederkehren.

Eine solche Eigenschaft ist in Frankfurt das viele Essen, (Vom Protzen
der Frankfurter Börsenkreise mit Geld, geschmacklosen aber teuern Toiletten
wollen wir nicht reden, da es ja weltbekannt ist,) Das Essen erzeugt nicht
die Bierbäuche, die man in München so häufig sieht, sondern ein mittleres
Embonpoint, das auf gute Verhältnisse und wenig Sorgen hindeutet und in¬
sofern Geschäftsleuten zur Erhaltung des Kredits dienlich ist. Es erzeugt bei
Herren und Damen eine große Seßhaftigkeit, und mit dieser dürfte die Vor¬
liebe der Frankfurter für Musik und Ballett zusammenhängen; das sind Künste,
die man so nach dem Essen im Sitzen, ohne seinen Kopf anzustrengen, genießen
kann, während z, B, die Malerei Stehn, wenn nicht gnr Herumgehn erfordert.
Bei größerm Interesse für die bildende Kunst würde Frankfurt als die reichste
Stadt Süddeutschlands das Hauptnbsatzgebiet für die süddeutschen Künstler sein.
Die Bewohner dieser Stadt sage» indessen mit Alkinous, dein Könige der
Phäaken:


Auch ist immer der Schmaus uns lieb, und die Laut' und der Neihntnnz,
Und oft wechselnder Schmuck, und ein wärmendes Bad, und ein Ruhbett,

Dies alles hatte schon Goethes Mutter mit ihrem offnen Blick erkannt.
Am 15, Februar 1798 schreibt sie an Christiane, indem sie um Zusendung guter
Bücher bittet: „Wir haben dir das Thirische Leben bctrefcndt an nichts
mnngcl — aber dem Geist geht es wie Adonia dem Königs Sohn im Alten
Testament -— von dem geschrieben steht wie wirst dn so mager du Königs
Sohn." Und am 22. März 1802 um dieselbe: „Den meisten meiner Lnnds-
leute ist der Bauch ihr Gott — wahre Hippeltdcmtze — vor das Geld ihrer
Gastereyen tönte die größte Mahler und Zeichnnngs Academie unterhalten
werden — und diese Bachanalien sehen der Langeweile so ähnlich, wie ein
Troppen Wasser dem andern. Geltung von diesem elenden Geschlecht."

Auch Goethe äußert sich, wo er uicht von einzelnen Frankfurtern, sondern
von ihrer Gesamtheit spricht, über seine Landsleute ohne Enthusiasmus. Da
sich um das Verhältnis Goethes zu den Frankfurtern eine Art Mythe ge¬
sponnen hat, und da, soweit ich sehe, seine Äußerungen in den zahlreichen
Festartikeln des Jahres 1899 nicht angeführt worden sind, wollen wir sie hier
nun nachträglich zusammenstellen. Hingegen sind die Anregungen, die Goethe
der Lage und der Geschichte seiner Geburtsstadt verdankt, unzähligemal hervor¬
gehoben worden und sicherlich jedem Leser zur Genüge bekannt.

Eine Äußerung aus sehr früher Zeit, nämlich vom 27, Oktober 1768,


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[0466] Goethe und Frankfurtmain oder genauer gesagt das Interesse für das Essen scheint allerdings dem normalen wohlhabenden Frankfurter eigen zu sein. Und nnr von dem normalen Ein¬ wohner kann natürlich bei eiuer allgemeinen Charakteristik die Rede sein: eS ist Sache ungebildeter Geister, einen ganzen Bolksstamm, einen ganzen Stand und so weiter in einen Topf zu werfen; bei einer allgemeinen Charakteristik können nur Eigenschaften in Betracht gezogen werden, die bei einer verhältnis¬ mäßig großen Anzahl von Individuen typisch wiederkehren. Eine solche Eigenschaft ist in Frankfurt das viele Essen, (Vom Protzen der Frankfurter Börsenkreise mit Geld, geschmacklosen aber teuern Toiletten wollen wir nicht reden, da es ja weltbekannt ist,) Das Essen erzeugt nicht die Bierbäuche, die man in München so häufig sieht, sondern ein mittleres Embonpoint, das auf gute Verhältnisse und wenig Sorgen hindeutet und in¬ sofern Geschäftsleuten zur Erhaltung des Kredits dienlich ist. Es erzeugt bei Herren und Damen eine große Seßhaftigkeit, und mit dieser dürfte die Vor¬ liebe der Frankfurter für Musik und Ballett zusammenhängen; das sind Künste, die man so nach dem Essen im Sitzen, ohne seinen Kopf anzustrengen, genießen kann, während z, B, die Malerei Stehn, wenn nicht gnr Herumgehn erfordert. Bei größerm Interesse für die bildende Kunst würde Frankfurt als die reichste Stadt Süddeutschlands das Hauptnbsatzgebiet für die süddeutschen Künstler sein. Die Bewohner dieser Stadt sage» indessen mit Alkinous, dein Könige der Phäaken: Auch ist immer der Schmaus uns lieb, und die Laut' und der Neihntnnz, Und oft wechselnder Schmuck, und ein wärmendes Bad, und ein Ruhbett, Dies alles hatte schon Goethes Mutter mit ihrem offnen Blick erkannt. Am 15, Februar 1798 schreibt sie an Christiane, indem sie um Zusendung guter Bücher bittet: „Wir haben dir das Thirische Leben bctrefcndt an nichts mnngcl — aber dem Geist geht es wie Adonia dem Königs Sohn im Alten Testament -— von dem geschrieben steht wie wirst dn so mager du Königs Sohn." Und am 22. März 1802 um dieselbe: „Den meisten meiner Lnnds- leute ist der Bauch ihr Gott — wahre Hippeltdcmtze — vor das Geld ihrer Gastereyen tönte die größte Mahler und Zeichnnngs Academie unterhalten werden — und diese Bachanalien sehen der Langeweile so ähnlich, wie ein Troppen Wasser dem andern. Geltung von diesem elenden Geschlecht." Auch Goethe äußert sich, wo er uicht von einzelnen Frankfurtern, sondern von ihrer Gesamtheit spricht, über seine Landsleute ohne Enthusiasmus. Da sich um das Verhältnis Goethes zu den Frankfurtern eine Art Mythe ge¬ sponnen hat, und da, soweit ich sehe, seine Äußerungen in den zahlreichen Festartikeln des Jahres 1899 nicht angeführt worden sind, wollen wir sie hier nun nachträglich zusammenstellen. Hingegen sind die Anregungen, die Goethe der Lage und der Geschichte seiner Geburtsstadt verdankt, unzähligemal hervor¬ gehoben worden und sicherlich jedem Leser zur Genüge bekannt. Eine Äußerung aus sehr früher Zeit, nämlich vom 27, Oktober 1768,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/466>, abgerufen am 03.07.2024.