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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Die Wohimiigs- und Bodenpolitik in Großlicrlm

Zählperiode" kenn", gelernt haben, und der Qualität des Zuzugs entspricht
es, wenn im

Erdgeschoß 1 Treppe 2 Treppen 8 Treppen 4 Treppen hoch
1861 28!i 267 219 Is0 36
1890 141 171 194 201,5 205,4

Vom Tausend der Gcsamtbewoh"erschaft wohnten.

Wenn hauptsächlich bemittelte Personen, Beamte, selbständige Hand¬
werker und Kaufleute, Familien den Zuzug ausgemacht hätten, würde sich
das Wohnbedürfnis wesentlich anders geäußert und die Bauweise und die
Wohnungsstatistik anders entwickelt haben. Vor allen Dingen war eine ver¬
hältnismäßig starke Zunahme der Aftcrmieter und Schlafgänger bei der Art
des Massenzugangs ganz selbstverständlich, Sie suchten und fanden Wohnung
natürlich bei ihresgleichen, in den ärmern Familien und in den kleinern
Wohnungen, Das Hofgänger- und Scharwerkerwesen des Nordostens wies
ihnen vielfach den Weg, und vor allem: einen eignen Haushalt mit eigner
Wohnung konnten die ledigen und jungen Leute nicht führen. Es war nicht
nur natürlich, sondern auch das vernünftigste und beste, was sie machen konnten,
wenn sie sich einer Arbeiterfamilie anschlössen, die in der Regel auch aus
Landsleuten bestand. Das Vermieter möblierter Zimmer an ledige Personen
der gebildeter" Klassen: Beamte, Hochschüler, kaufmännische Angestellte u, dergl,
ist etwas andres, wenn mich thatsächlich sehr vielfach "möbliertes Zimmer" "ut
"Schlafstelle" gar nicht zu unterscheiden ist. Aber auch die Zunahme der eigenl
liehen "ChambregarnieS" entsprach doch einem dringenden Bedürfnis, und wenn
die wachsende Nachfrage nach Schlafstellen und möblierten Zimmern rin dazu
geführt hat, daß die nichtheizbaren Zimmer, die früher in Berlin sehr häufig
Bestandteile der kleinen Wohnungen waren, verschwunden und durch heizbare
Räume, auch Küchen, ersetzt worden sind, so ist das an sich kaum ein Unglück
"ut bei der Lage des Bedürfnisses ganz vernünftig. Es heißt diese Entwick¬
lung der Verhältnisse überhaupt mit kranken Angen betrachten, wenn man sie
nur als das Produkt diabolischer, raffinierter Ausbeutung einerseits und bittrer
Not andrerseits ansieht, wie das unsre modernen kathcdersvzialistischen Elend¬
forscher und Elendmnler schnlgerechterweise thun, Lindemann sagt unter anderen:
"Mehr und mehr setzt sich die Tendenz durch, die Zahl der Mieter, mit denen
zu verhandeln ist, durch Einrichtung größerer Wohnungen zu verkleinern und
das Risiko ans den sich allmählich zum gewerbsmäßigen Zimmervermietcr ent¬
wickelnden Mieter abzuwälzen. Wir habe" hier offenbar den Ausdruck einer
neuen Entwicklung vor uus. Zwischen den Hausbesitzer und die eigentliche
Klasse der Mieter schiebt sich ein Mittelsmann, der Zimmervermieter, der
natürlich seinerseits zur Steigerung der Mietpreise beiträgt. Auf ihn wälzt der
Hausbesitzer das ganze Risiko oder einen Teil desselben und die Verantwort¬
lichkeit ab. Diese Mittelsleute haben eine große Ähnlichkeit mit den Zwischen-
meistern der Hausindustrie, die, häufig selber ausgebeutet, zu Werkzeugen der
Ausbeutung werden," Zunächst ist dazu zu bemerke", daß die "Zimmerherren"


Die Wohimiigs- und Bodenpolitik in Großlicrlm

Zählperiode» kenn«, gelernt haben, und der Qualität des Zuzugs entspricht
es, wenn im

Erdgeschoß 1 Treppe 2 Treppen 8 Treppen 4 Treppen hoch
1861 28!i 267 219 Is0 36
1890 141 171 194 201,5 205,4

Vom Tausend der Gcsamtbewoh»erschaft wohnten.

Wenn hauptsächlich bemittelte Personen, Beamte, selbständige Hand¬
werker und Kaufleute, Familien den Zuzug ausgemacht hätten, würde sich
das Wohnbedürfnis wesentlich anders geäußert und die Bauweise und die
Wohnungsstatistik anders entwickelt haben. Vor allen Dingen war eine ver¬
hältnismäßig starke Zunahme der Aftcrmieter und Schlafgänger bei der Art
des Massenzugangs ganz selbstverständlich, Sie suchten und fanden Wohnung
natürlich bei ihresgleichen, in den ärmern Familien und in den kleinern
Wohnungen, Das Hofgänger- und Scharwerkerwesen des Nordostens wies
ihnen vielfach den Weg, und vor allem: einen eignen Haushalt mit eigner
Wohnung konnten die ledigen und jungen Leute nicht führen. Es war nicht
nur natürlich, sondern auch das vernünftigste und beste, was sie machen konnten,
wenn sie sich einer Arbeiterfamilie anschlössen, die in der Regel auch aus
Landsleuten bestand. Das Vermieter möblierter Zimmer an ledige Personen
der gebildeter« Klassen: Beamte, Hochschüler, kaufmännische Angestellte u, dergl,
ist etwas andres, wenn mich thatsächlich sehr vielfach „möbliertes Zimmer" »ut
„Schlafstelle" gar nicht zu unterscheiden ist. Aber auch die Zunahme der eigenl
liehen „ChambregarnieS" entsprach doch einem dringenden Bedürfnis, und wenn
die wachsende Nachfrage nach Schlafstellen und möblierten Zimmern rin dazu
geführt hat, daß die nichtheizbaren Zimmer, die früher in Berlin sehr häufig
Bestandteile der kleinen Wohnungen waren, verschwunden und durch heizbare
Räume, auch Küchen, ersetzt worden sind, so ist das an sich kaum ein Unglück
»ut bei der Lage des Bedürfnisses ganz vernünftig. Es heißt diese Entwick¬
lung der Verhältnisse überhaupt mit kranken Angen betrachten, wenn man sie
nur als das Produkt diabolischer, raffinierter Ausbeutung einerseits und bittrer
Not andrerseits ansieht, wie das unsre modernen kathcdersvzialistischen Elend¬
forscher und Elendmnler schnlgerechterweise thun, Lindemann sagt unter anderen:
„Mehr und mehr setzt sich die Tendenz durch, die Zahl der Mieter, mit denen
zu verhandeln ist, durch Einrichtung größerer Wohnungen zu verkleinern und
das Risiko ans den sich allmählich zum gewerbsmäßigen Zimmervermietcr ent¬
wickelnden Mieter abzuwälzen. Wir habe» hier offenbar den Ausdruck einer
neuen Entwicklung vor uus. Zwischen den Hausbesitzer und die eigentliche
Klasse der Mieter schiebt sich ein Mittelsmann, der Zimmervermieter, der
natürlich seinerseits zur Steigerung der Mietpreise beiträgt. Auf ihn wälzt der
Hausbesitzer das ganze Risiko oder einen Teil desselben und die Verantwort¬
lichkeit ab. Diese Mittelsleute haben eine große Ähnlichkeit mit den Zwischen-
meistern der Hausindustrie, die, häufig selber ausgebeutet, zu Werkzeugen der
Ausbeutung werden," Zunächst ist dazu zu bemerke», daß die „Zimmerherren"


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[0460] Die Wohimiigs- und Bodenpolitik in Großlicrlm Zählperiode» kenn«, gelernt haben, und der Qualität des Zuzugs entspricht es, wenn im Erdgeschoß 1 Treppe 2 Treppen 8 Treppen 4 Treppen hoch 1861 28!i 267 219 Is0 36 1890 141 171 194 201,5 205,4 Vom Tausend der Gcsamtbewoh»erschaft wohnten. Wenn hauptsächlich bemittelte Personen, Beamte, selbständige Hand¬ werker und Kaufleute, Familien den Zuzug ausgemacht hätten, würde sich das Wohnbedürfnis wesentlich anders geäußert und die Bauweise und die Wohnungsstatistik anders entwickelt haben. Vor allen Dingen war eine ver¬ hältnismäßig starke Zunahme der Aftcrmieter und Schlafgänger bei der Art des Massenzugangs ganz selbstverständlich, Sie suchten und fanden Wohnung natürlich bei ihresgleichen, in den ärmern Familien und in den kleinern Wohnungen, Das Hofgänger- und Scharwerkerwesen des Nordostens wies ihnen vielfach den Weg, und vor allem: einen eignen Haushalt mit eigner Wohnung konnten die ledigen und jungen Leute nicht führen. Es war nicht nur natürlich, sondern auch das vernünftigste und beste, was sie machen konnten, wenn sie sich einer Arbeiterfamilie anschlössen, die in der Regel auch aus Landsleuten bestand. Das Vermieter möblierter Zimmer an ledige Personen der gebildeter« Klassen: Beamte, Hochschüler, kaufmännische Angestellte u, dergl, ist etwas andres, wenn mich thatsächlich sehr vielfach „möbliertes Zimmer" »ut „Schlafstelle" gar nicht zu unterscheiden ist. Aber auch die Zunahme der eigenl liehen „ChambregarnieS" entsprach doch einem dringenden Bedürfnis, und wenn die wachsende Nachfrage nach Schlafstellen und möblierten Zimmern rin dazu geführt hat, daß die nichtheizbaren Zimmer, die früher in Berlin sehr häufig Bestandteile der kleinen Wohnungen waren, verschwunden und durch heizbare Räume, auch Küchen, ersetzt worden sind, so ist das an sich kaum ein Unglück »ut bei der Lage des Bedürfnisses ganz vernünftig. Es heißt diese Entwick¬ lung der Verhältnisse überhaupt mit kranken Angen betrachten, wenn man sie nur als das Produkt diabolischer, raffinierter Ausbeutung einerseits und bittrer Not andrerseits ansieht, wie das unsre modernen kathcdersvzialistischen Elend¬ forscher und Elendmnler schnlgerechterweise thun, Lindemann sagt unter anderen: „Mehr und mehr setzt sich die Tendenz durch, die Zahl der Mieter, mit denen zu verhandeln ist, durch Einrichtung größerer Wohnungen zu verkleinern und das Risiko ans den sich allmählich zum gewerbsmäßigen Zimmervermietcr ent¬ wickelnden Mieter abzuwälzen. Wir habe» hier offenbar den Ausdruck einer neuen Entwicklung vor uus. Zwischen den Hausbesitzer und die eigentliche Klasse der Mieter schiebt sich ein Mittelsmann, der Zimmervermieter, der natürlich seinerseits zur Steigerung der Mietpreise beiträgt. Auf ihn wälzt der Hausbesitzer das ganze Risiko oder einen Teil desselben und die Verantwort¬ lichkeit ab. Diese Mittelsleute haben eine große Ähnlichkeit mit den Zwischen- meistern der Hausindustrie, die, häufig selber ausgebeutet, zu Werkzeugen der Ausbeutung werden," Zunächst ist dazu zu bemerke», daß die „Zimmerherren"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/460>, abgerufen am 22.07.2024.