Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.ver wildfauz einander die grüßen und die kleinen im dicken Gebälk. Es ist feierlich still bei Die beiden Männer standen an einer Stelle, von wo sie den ganzen Raum Was ist denn das sür ein arm ausgestoßen Glöcklein, das nie keinen Sonnen¬ Der Meister, der gerade vorsichtig über die Balken schritt dem Ausgange Sie gingen an der Turmwvhnung vorbei und noch eine hölzerne Treppe Da schauten sie auf den fröhlichen Strom zwischen seinen grünen Ufern, auf Der Himmel war klarblau. Gerade über der Kirche aber hing eine wohlige, Nachdem Jodokus seine Augen geweidet hatte, suchte er das Dach im Bnrg- Johannes deutete nach der Richtung und sagte: Seht Ihr dort das Hoch¬ Jodokus schaute hinüber; dann senkte er die Augen und rief: Hei, da kann man schön in die Stuben hineinschauen! Man kaun mich schön hineinschießen! schmunzelte der Meister. Habt Jhrs einmal gethan? fragte Jodokus. ver wildfauz einander die grüßen und die kleinen im dicken Gebälk. Es ist feierlich still bei Die beiden Männer standen an einer Stelle, von wo sie den ganzen Raum Was ist denn das sür ein arm ausgestoßen Glöcklein, das nie keinen Sonnen¬ Der Meister, der gerade vorsichtig über die Balken schritt dem Ausgange Sie gingen an der Turmwvhnung vorbei und noch eine hölzerne Treppe Da schauten sie auf den fröhlichen Strom zwischen seinen grünen Ufern, auf Der Himmel war klarblau. Gerade über der Kirche aber hing eine wohlige, Nachdem Jodokus seine Augen geweidet hatte, suchte er das Dach im Bnrg- Johannes deutete nach der Richtung und sagte: Seht Ihr dort das Hoch¬ Jodokus schaute hinüber; dann senkte er die Augen und rief: Hei, da kann man schön in die Stuben hineinschauen! Man kaun mich schön hineinschießen! schmunzelte der Meister. Habt Jhrs einmal gethan? fragte Jodokus. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0044" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235216"/> <fw type="header" place="top"> ver wildfauz</fw><lb/> <p xml:id="ID_141" prev="#ID_140"> einander die grüßen und die kleinen im dicken Gebälk. Es ist feierlich still bei<lb/> ihnen. Weil sie so mächtig rufen können, dumm können sie mich so nierkwürdig<lb/> schweigen In den Winkeln hinter den Glocken ist es finster, so recht ein Ort für<lb/> Fledermäuse und Schleiereulen. Aber dnrch die Schalllöcher findet der Sonnen¬<lb/> schein, und draußen gehn die Winde. Die Schalllöcher find wunderbar hell und<lb/> überaus festlich; so giebt es gar keine andern Fenster mehr in der Welt. Man<lb/> sieht es ihnen an, daß sich da der Glvckenschwall hinaufschwingt in die freie<lb/> Luft hinein.</p><lb/> <p xml:id="ID_142"> Die beiden Männer standen an einer Stelle, von wo sie den ganzen Raum<lb/> überblicken konnten. Der Meister nannte die Glocken eine nach der andern und<lb/> erzählte von ihrer jeglichem Berufe. Aber eine, die in dem finstersten Winkel hing<lb/> und tiefer als alle andern, nannte er nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_143"> Was ist denn das sür ein arm ausgestoßen Glöcklein, das nie keinen Sonnen¬<lb/> strahl kriegen kann und tief unter den andern hängt?</p><lb/> <p xml:id="ID_144"> Der Meister, der gerade vorsichtig über die Balken schritt dem Ausgange<lb/> zu, gab keine Antwort; aber als sie draußen waren und die Leitertreppe hinunter<lb/> stiegen, sagte er! Das ist die Armesünderglocke.</p><lb/> <p xml:id="ID_145"> Sie gingen an der Turmwvhnung vorbei und noch eine hölzerne Treppe<lb/> weiter hinab. Dann kamen sie an ein Pförtlein. Der Alte stieß den Riegel zurück,<lb/> und sie traten hinaus auf den Turmaltan.</p><lb/> <p xml:id="ID_146"> Da schauten sie auf den fröhlichen Strom zwischen seinen grünen Ufern, auf<lb/> die dunkle Brücke hinter dem Brückenthor und auf die trutzige Stromfeste, den<lb/> Marstall. Und sie schauten über die Gcirteu und Wiesen der Vorstadt, über die<lb/> Türme und Ringmauern hinaus in die lustige Pfalz, durch die der Neckar seine<lb/> Schleife zieht, und sahen den Rhein in der Ferne leuchten, und darüber schwebten<lb/> die Wasgauberge in blauem Duft. Und dann schauten sie in den grünen Wald<lb/> hinein, der zum Greifen nah in die Höhe steigt, und hinüber nach dem Fürsten¬<lb/> schloß. Die Fenster glänzten in der Morgensonne, und der rote Stein hauchte<lb/> eine milde Glut. Hinter dem dicken Turme schaute der Friedrichsbau vor wie ein<lb/> lachendes Frauenantlitz hinter einer dräuende» Eisenfaust. Und sie schauten in die<lb/> Altstadt hinunter, die aus tiefen steinernen Augenhöhlen zu ihnen heraufsah, und<lb/> deren spitze Giebeldächer sich um die .Kirche drängten, wie erschrockne Schafe um<lb/> ihren Hirten. Und sie sahen in die Gassen hinein und mußten lächeln über die<lb/> süßelnder Männlein und Fräulein; und wenn ein Bübchen über die Straße sprang,<lb/> sahen sie es, als ob eine Ameise quer über einen Zaunflecken liefe.</p><lb/> <p xml:id="ID_147"> Der Himmel war klarblau. Gerade über der Kirche aber hing eine wohlige,<lb/> schwellende Weiße Wolke; die warf einen milden Schatten auf die Stadt, während<lb/> das obere Thal, die Kuppen der Berge und das ebne Land im Sonnenschein lagen.</p><lb/> <p xml:id="ID_148"> Nachdem Jodokus seine Augen geweidet hatte, suchte er das Dach im Bnrg-<lb/> weg, unter dem sein Stüblein lag. Als ers gefunden hatte, deutete er auf den<lb/> dünnen Rauchodem, der dem Schornstein entschwebte, und sagte: Meister, das Feuer<lb/> auf der Hospita ihrem Herd Hols nicht eilig, gerade wie der Ritterbote daheim<lb/> in meiner Heimat. Dann wandte er sich rasch um und rief: Nun weiset mir den<lb/> Speirer Dom, Wo die Kaiser begraben liegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_149"> Johannes deutete nach der Richtung und sagte: Seht Ihr dort das Hoch¬<lb/> gericht in der Ebne draußen, rechts neben dem Gaisberg? Gerade über dem<lb/> mittlern Galgen seht Ihr die Türme von Speier.</p><lb/> <p xml:id="ID_150"> Jodokus schaute hinüber; dann senkte er die Augen und rief:</p><lb/> <p xml:id="ID_151"> Hei, da kann man schön in die Stuben hineinschauen!</p><lb/> <p xml:id="ID_152"> Man kaun mich schön hineinschießen! schmunzelte der Meister.</p><lb/> <p xml:id="ID_153"> Habt Jhrs einmal gethan? fragte Jodokus.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0044]
ver wildfauz
einander die grüßen und die kleinen im dicken Gebälk. Es ist feierlich still bei
ihnen. Weil sie so mächtig rufen können, dumm können sie mich so nierkwürdig
schweigen In den Winkeln hinter den Glocken ist es finster, so recht ein Ort für
Fledermäuse und Schleiereulen. Aber dnrch die Schalllöcher findet der Sonnen¬
schein, und draußen gehn die Winde. Die Schalllöcher find wunderbar hell und
überaus festlich; so giebt es gar keine andern Fenster mehr in der Welt. Man
sieht es ihnen an, daß sich da der Glvckenschwall hinaufschwingt in die freie
Luft hinein.
Die beiden Männer standen an einer Stelle, von wo sie den ganzen Raum
überblicken konnten. Der Meister nannte die Glocken eine nach der andern und
erzählte von ihrer jeglichem Berufe. Aber eine, die in dem finstersten Winkel hing
und tiefer als alle andern, nannte er nicht.
Was ist denn das sür ein arm ausgestoßen Glöcklein, das nie keinen Sonnen¬
strahl kriegen kann und tief unter den andern hängt?
Der Meister, der gerade vorsichtig über die Balken schritt dem Ausgange
zu, gab keine Antwort; aber als sie draußen waren und die Leitertreppe hinunter
stiegen, sagte er! Das ist die Armesünderglocke.
Sie gingen an der Turmwvhnung vorbei und noch eine hölzerne Treppe
weiter hinab. Dann kamen sie an ein Pförtlein. Der Alte stieß den Riegel zurück,
und sie traten hinaus auf den Turmaltan.
Da schauten sie auf den fröhlichen Strom zwischen seinen grünen Ufern, auf
die dunkle Brücke hinter dem Brückenthor und auf die trutzige Stromfeste, den
Marstall. Und sie schauten über die Gcirteu und Wiesen der Vorstadt, über die
Türme und Ringmauern hinaus in die lustige Pfalz, durch die der Neckar seine
Schleife zieht, und sahen den Rhein in der Ferne leuchten, und darüber schwebten
die Wasgauberge in blauem Duft. Und dann schauten sie in den grünen Wald
hinein, der zum Greifen nah in die Höhe steigt, und hinüber nach dem Fürsten¬
schloß. Die Fenster glänzten in der Morgensonne, und der rote Stein hauchte
eine milde Glut. Hinter dem dicken Turme schaute der Friedrichsbau vor wie ein
lachendes Frauenantlitz hinter einer dräuende» Eisenfaust. Und sie schauten in die
Altstadt hinunter, die aus tiefen steinernen Augenhöhlen zu ihnen heraufsah, und
deren spitze Giebeldächer sich um die .Kirche drängten, wie erschrockne Schafe um
ihren Hirten. Und sie sahen in die Gassen hinein und mußten lächeln über die
süßelnder Männlein und Fräulein; und wenn ein Bübchen über die Straße sprang,
sahen sie es, als ob eine Ameise quer über einen Zaunflecken liefe.
Der Himmel war klarblau. Gerade über der Kirche aber hing eine wohlige,
schwellende Weiße Wolke; die warf einen milden Schatten auf die Stadt, während
das obere Thal, die Kuppen der Berge und das ebne Land im Sonnenschein lagen.
Nachdem Jodokus seine Augen geweidet hatte, suchte er das Dach im Bnrg-
weg, unter dem sein Stüblein lag. Als ers gefunden hatte, deutete er auf den
dünnen Rauchodem, der dem Schornstein entschwebte, und sagte: Meister, das Feuer
auf der Hospita ihrem Herd Hols nicht eilig, gerade wie der Ritterbote daheim
in meiner Heimat. Dann wandte er sich rasch um und rief: Nun weiset mir den
Speirer Dom, Wo die Kaiser begraben liegen.
Johannes deutete nach der Richtung und sagte: Seht Ihr dort das Hoch¬
gericht in der Ebne draußen, rechts neben dem Gaisberg? Gerade über dem
mittlern Galgen seht Ihr die Türme von Speier.
Jodokus schaute hinüber; dann senkte er die Augen und rief:
Hei, da kann man schön in die Stuben hineinschauen!
Man kaun mich schön hineinschießen! schmunzelte der Meister.
Habt Jhrs einmal gethan? fragte Jodokus.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |