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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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eingeführt ist, kann das Gymnasium nicht verlangen, daß Religion anders
gelehrt wird, als ihr Wesen es fordert. Übrigens steht der Religionslehrer
deshalb keineswegs isoliert. Auch der deutsche Unterricht kann nur wirkliches
Verständnis für die Werke unsrer Dichter erreiche", wenn das Gefühl für
Poesie geweckt und gepflegt wird. Wenn Metz die Pflege der poetischen Ge¬
fühle ins Haus verweist, so ist das ganz konsequent, aber die unpoetische
Wirklichkeit verbietet es dein Lehrer, solche Voraussetzungen zu machen. Im
Hause geht es eben oft recht unpoetisch zu, und es giebt genug Schüler, bei
denen das Gefühl für Poesie erst geweckt werden muß. Bei den Dichtungen
der alten Klassiker ist es nicht anders. Ich sehe also nicht ein, warum der
Religionslehrer eine Sonderstellung haben soll, wenn er bemüht ist, religiöse
Gefühle zu wecken und zu pflegen. Wenn von einem Musiklehrer gefordert
würde, er solle seine .Kunst nur durch Einwirkung ans das logische Vermögen
seiner Schüler lehren, so würde er wohl sagen: Das kann ich nicht. Ich
denke, es giebt recht viele Religionslehrer, die ans die Forderungen Metzens
in gleicher Weise zu antworten gezwungen sind. Aber dann droht die Gefahr,
daß der Religionsunterricht aus den höhern Schulen verdrängt wird! Ich
teile diese Besorgnis nicht. Hat der Organismus des Gymnasiums bis jetzt
den Religionsunterricht, ohne daß er in die Schablone Metzens eingezwängt
wurde, vertragen, so wird es wohl auch fernerhin gehn. Dagegen glaube ich
bestimmt, daß, wenn seine Forderungen durchgingen, der Religionsunterricht
um höhern Schulen bald abgeschafft werden würde. Wen" der Religionsmiter-
richt im wesentlichen "ur das geschichtliche Verständnis für die Kulturentwick¬
lung zu vermitteln hat, so leuchtet es ohne weiteres el", daß der Stoff ganz
bedeutend eingeschränkt werden kann. Es wäre da"" aber viel praktischer,
wen" das religiöse "Thema" gleich mit den: Geschichtsunterricht verbunden
würde. Dadurch würde das geschichtliche Verständnis für unsre ganze K"ltur-
entwicklmig jn nur erleichtert, u"d wenn derselbe Lehrer den ganzen Stoff zu be¬
handeln hätte, wäre die Einheit der ganzen Auffassung, die sonst zweifelhaft
ist, verbürgt. Bei der immer größer werdenden Überbürdung mit Wissensstoff
könnte dem Gymnasium diese Vereinfachung mir erwünscht sein. Andrerseits
würde aber wohl die Kirche, wenn der Religionsunterricht nach solchen Gedanken
gestaltet würde, bald zu der Überzeugung kommen, daß er ihren Zwecken nichl
entspräche. Ein Religionsunterricht, der "ur ans den Verstand wirken will,
besondre ethische Ziele ablehnt, das Christentum ausschließlich geschichtlich be¬
trachtet ""d es für gefährlich hält, Liebe zur Kirche i" irgend einer empirischen
Erscheinung zu wecken, ist nicht geeignet, den Zwecken der Kirche zu dienen.
Sie würde den Religionsunterricht selbst in die Hand nehmen müsse".

Zum Schluß möchte ich bitten, die freimütige Äußerung meiner abweiche"de"
Ansichten, zu der mich lediglich das Juteresse für die Sache bestimmt hat, nicht
'"ißzuverstehn. Es liegt mir vollständig fern, über die Art, wie die Fach-
^"osse" in Hamburg ihre" Religionsunterricht in Wirklichkeit betreiben, z"
urteilen. Ich habe es mir mit der Theorie zu thu" gehabt, wie sie im ersten


eingeführt ist, kann das Gymnasium nicht verlangen, daß Religion anders
gelehrt wird, als ihr Wesen es fordert. Übrigens steht der Religionslehrer
deshalb keineswegs isoliert. Auch der deutsche Unterricht kann nur wirkliches
Verständnis für die Werke unsrer Dichter erreiche», wenn das Gefühl für
Poesie geweckt und gepflegt wird. Wenn Metz die Pflege der poetischen Ge¬
fühle ins Haus verweist, so ist das ganz konsequent, aber die unpoetische
Wirklichkeit verbietet es dein Lehrer, solche Voraussetzungen zu machen. Im
Hause geht es eben oft recht unpoetisch zu, und es giebt genug Schüler, bei
denen das Gefühl für Poesie erst geweckt werden muß. Bei den Dichtungen
der alten Klassiker ist es nicht anders. Ich sehe also nicht ein, warum der
Religionslehrer eine Sonderstellung haben soll, wenn er bemüht ist, religiöse
Gefühle zu wecken und zu pflegen. Wenn von einem Musiklehrer gefordert
würde, er solle seine .Kunst nur durch Einwirkung ans das logische Vermögen
seiner Schüler lehren, so würde er wohl sagen: Das kann ich nicht. Ich
denke, es giebt recht viele Religionslehrer, die ans die Forderungen Metzens
in gleicher Weise zu antworten gezwungen sind. Aber dann droht die Gefahr,
daß der Religionsunterricht aus den höhern Schulen verdrängt wird! Ich
teile diese Besorgnis nicht. Hat der Organismus des Gymnasiums bis jetzt
den Religionsunterricht, ohne daß er in die Schablone Metzens eingezwängt
wurde, vertragen, so wird es wohl auch fernerhin gehn. Dagegen glaube ich
bestimmt, daß, wenn seine Forderungen durchgingen, der Religionsunterricht
um höhern Schulen bald abgeschafft werden würde. Wen» der Religionsmiter-
richt im wesentlichen »ur das geschichtliche Verständnis für die Kulturentwick¬
lung zu vermitteln hat, so leuchtet es ohne weiteres el», daß der Stoff ganz
bedeutend eingeschränkt werden kann. Es wäre da»» aber viel praktischer,
wen» das religiöse „Thema" gleich mit den: Geschichtsunterricht verbunden
würde. Dadurch würde das geschichtliche Verständnis für unsre ganze K»ltur-
entwicklmig jn nur erleichtert, u»d wenn derselbe Lehrer den ganzen Stoff zu be¬
handeln hätte, wäre die Einheit der ganzen Auffassung, die sonst zweifelhaft
ist, verbürgt. Bei der immer größer werdenden Überbürdung mit Wissensstoff
könnte dem Gymnasium diese Vereinfachung mir erwünscht sein. Andrerseits
würde aber wohl die Kirche, wenn der Religionsunterricht nach solchen Gedanken
gestaltet würde, bald zu der Überzeugung kommen, daß er ihren Zwecken nichl
entspräche. Ein Religionsunterricht, der »ur ans den Verstand wirken will,
besondre ethische Ziele ablehnt, das Christentum ausschließlich geschichtlich be¬
trachtet »»d es für gefährlich hält, Liebe zur Kirche i» irgend einer empirischen
Erscheinung zu wecken, ist nicht geeignet, den Zwecken der Kirche zu dienen.
Sie würde den Religionsunterricht selbst in die Hand nehmen müsse».

Zum Schluß möchte ich bitten, die freimütige Äußerung meiner abweiche»de»
Ansichten, zu der mich lediglich das Juteresse für die Sache bestimmt hat, nicht
'"ißzuverstehn. Es liegt mir vollständig fern, über die Art, wie die Fach-
^»osse» in Hamburg ihre» Religionsunterricht in Wirklichkeit betreiben, z»
urteilen. Ich habe es mir mit der Theorie zu thu» gehabt, wie sie im ersten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/415>, abgerufen am 22.07.2024.