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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Gottsched im Rahmen der deutschen Wörterbücher

Stellung. Ein deutsches Wörterbuch ohne Quellenangabe, wie es deren im
siebzehnten Jahrhundert und wohl auch noch zu Anfang des achtzehnten Jahr¬
hunderts gab, ist heute nicht mehr möglich; und es ist sehr zu tadeln, daß
bei Grimm, Sanders, Heyne u, a. immer noch so viele Wörter ohne jede Beleg¬
stelle gebucht werden. Steht es nun aber einmal fest, daß sich ein deutsches
Wörterbuch auf das deutsche Schrifttum in seinem ganzen Umfange stützen
muß, dann ist es auch eine vom wissenschaftlichen Standpunkt aus ganz
unverzeihliche Versäumnis, daß unsre Wörterbuchmeister Gottsched so gut wie
ganz unbeachtet lassen. Ich sagte schon vorhin, daß der Name Gottsched von
Rechts wegen nahezu hinter jedem Wort stehn müßte; nicht in jedem Falle an
erster Stelle; denn Gottsched hat die hochdeutsche Sprache nicht geschaffen,
er hat sie nur endgiltig gereinigt, entwickelt und bereichert. Aber in vielen,
sehr vielen Fällen wird er auch da, wo die Quellen in frühere Jahrhunderte
zurückreichen, für die jetzt übliche, reine und richtige Schreibung die Ursprungs-
quclle zu liefern haben. Ich denke nur ein erst noch zu schaffendes, auf der
Höhe wissenschaftlicher Tadellosigkeit stehendes Wörterbuch in seiner Ein¬
richtung etwa so: Das hochdeutsche Wort in der heute üblichen Rechtschreibung
(ich denke dabei natürlich nicht an die Puttkamersche) steht voran. Wo das
Wort aus den Urzeiten unsrer Sprache herstammt, da muß, neben den ge¬
schichtlichen Mitteilungen (wie sie z. B. bei Grimm in dankenswerter Weise
geliefert werden), die ganze Stufenreihe der Entwicklung durch sorgfältig ge¬
ordnete Belegstellen vorgeführt werden. Die Angabe, daß das Wort im elften,
zwölften, dreizehnten u. s. f. Jahrhundert entsprungen sei, genügt hier nicht;
durch immer neues, immer gründlicheres Durchforschen des alten Schrifttums
muß das erste schriftgeschichtliche Auftreten des Worts in seiner ältesten Form
sowohl wie in seinen spätern Umwandlungen festgestellt werden. Dann ist fest¬
zustellen, ob es von Luther und den andern Schriftstellern des Reformations¬
zeitalters benutzt oder neugeprägt worden ist; und schließlich ist durch genaue
Belegstellen anzugeben, wer das Wort in der heute üblichen Gestalt nachweis¬
bar zum erstenmal gebraucht hat (also etwa statt "engstlich": "ängstlich"; statt
"auserordendlich": "außerordentlich" u. dergl. in.).

Wo das Wort neuen Ursprungs ist, da muß erst recht nach seinem Schöpfer
geforscht werden; es ist hier ganz unzulässig und unwissenschaftlich, die erste
beste Stelle aus Hagedorns, Gellerts, Wielands, Klopstocks, Lessings, Herders,
Goethes oder Schillers Schriften anzuführen. Diese Schriftsteller dürfen erst
herangezogen werden, wenn ältere versagen; und auch daun muß geschichtliche
Ordnung herrschen.

Wenn wir erst ein solches, allen wissenschaftlichen Ansprüchen genügendes
Wörterbuch haben werden, dann wird Gottsched auch auf diesem sehr wichtigen
Einzelgebiet als eine herrschende, überragende Persönlichkeit erscheinen. Man
wird dann in Luther und Gottsched die zwei großen Geber erkennen, um die
sich die andern Persönlichkeiten ihrer Zeit und der weitern Nachwelt als glück¬
liche Empfänger ordnen.


Gottsched im Rahmen der deutschen Wörterbücher

Stellung. Ein deutsches Wörterbuch ohne Quellenangabe, wie es deren im
siebzehnten Jahrhundert und wohl auch noch zu Anfang des achtzehnten Jahr¬
hunderts gab, ist heute nicht mehr möglich; und es ist sehr zu tadeln, daß
bei Grimm, Sanders, Heyne u, a. immer noch so viele Wörter ohne jede Beleg¬
stelle gebucht werden. Steht es nun aber einmal fest, daß sich ein deutsches
Wörterbuch auf das deutsche Schrifttum in seinem ganzen Umfange stützen
muß, dann ist es auch eine vom wissenschaftlichen Standpunkt aus ganz
unverzeihliche Versäumnis, daß unsre Wörterbuchmeister Gottsched so gut wie
ganz unbeachtet lassen. Ich sagte schon vorhin, daß der Name Gottsched von
Rechts wegen nahezu hinter jedem Wort stehn müßte; nicht in jedem Falle an
erster Stelle; denn Gottsched hat die hochdeutsche Sprache nicht geschaffen,
er hat sie nur endgiltig gereinigt, entwickelt und bereichert. Aber in vielen,
sehr vielen Fällen wird er auch da, wo die Quellen in frühere Jahrhunderte
zurückreichen, für die jetzt übliche, reine und richtige Schreibung die Ursprungs-
quclle zu liefern haben. Ich denke nur ein erst noch zu schaffendes, auf der
Höhe wissenschaftlicher Tadellosigkeit stehendes Wörterbuch in seiner Ein¬
richtung etwa so: Das hochdeutsche Wort in der heute üblichen Rechtschreibung
(ich denke dabei natürlich nicht an die Puttkamersche) steht voran. Wo das
Wort aus den Urzeiten unsrer Sprache herstammt, da muß, neben den ge¬
schichtlichen Mitteilungen (wie sie z. B. bei Grimm in dankenswerter Weise
geliefert werden), die ganze Stufenreihe der Entwicklung durch sorgfältig ge¬
ordnete Belegstellen vorgeführt werden. Die Angabe, daß das Wort im elften,
zwölften, dreizehnten u. s. f. Jahrhundert entsprungen sei, genügt hier nicht;
durch immer neues, immer gründlicheres Durchforschen des alten Schrifttums
muß das erste schriftgeschichtliche Auftreten des Worts in seiner ältesten Form
sowohl wie in seinen spätern Umwandlungen festgestellt werden. Dann ist fest¬
zustellen, ob es von Luther und den andern Schriftstellern des Reformations¬
zeitalters benutzt oder neugeprägt worden ist; und schließlich ist durch genaue
Belegstellen anzugeben, wer das Wort in der heute üblichen Gestalt nachweis¬
bar zum erstenmal gebraucht hat (also etwa statt „engstlich": „ängstlich"; statt
„auserordendlich": „außerordentlich" u. dergl. in.).

Wo das Wort neuen Ursprungs ist, da muß erst recht nach seinem Schöpfer
geforscht werden; es ist hier ganz unzulässig und unwissenschaftlich, die erste
beste Stelle aus Hagedorns, Gellerts, Wielands, Klopstocks, Lessings, Herders,
Goethes oder Schillers Schriften anzuführen. Diese Schriftsteller dürfen erst
herangezogen werden, wenn ältere versagen; und auch daun muß geschichtliche
Ordnung herrschen.

Wenn wir erst ein solches, allen wissenschaftlichen Ansprüchen genügendes
Wörterbuch haben werden, dann wird Gottsched auch auf diesem sehr wichtigen
Einzelgebiet als eine herrschende, überragende Persönlichkeit erscheinen. Man
wird dann in Luther und Gottsched die zwei großen Geber erkennen, um die
sich die andern Persönlichkeiten ihrer Zeit und der weitern Nachwelt als glück¬
liche Empfänger ordnen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/381>, abgerufen am 22.07.2024.