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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Zur Psychologie und Anthropologie

Schuld. Von hier aus, nicht von der Geschlechtlichkeit aus, ist auch die
Klcidermoral zu begründen. Von dein Manne, der ohne hochzeitliches Ge¬
wand beim königlichen Gastmahl erschienen war, hat der Katechet auszugehn,
nicht vom Sündenfall und der widersinnigen Meinung, die Scham Adams und
Evas bekunde den erwachten Geschlechtstrieb, oder gar, der Sündenfall habe
in diesem Erwachen bestanden, und die verbotne Frucht sei ein Symbol des
Geschlechtsgenusses. Wie kann die Bedingung des Daseins aller lebenden
Wesen Sünde und Schande sein! Sünde und Schande ist es, wenn der Mensch
ein reines Naturwesen bleibt, anstatt sich durch Arbeit zu vollenden. Der so¬
genannte Wilde überwindet diese Schande mit dem ersten Steinheil, das er
sich bereitet, und dem ersten künstlichen Schmuck, den er seinem Leibe anfügt.
Und wie es keine Schande ist, am Feierabend das Arbcitwerkzeug wegzulegen,
Wohl aber überhaupt kein Werkzeug zu haben, so ist es auch keine Schande,
zur Erquickung oder bei der Arbeit in großer Hitze die Kleider abzulegen, da¬
gegen schimpflich, als verlumpter Kulturmensch oder als Wilder keine oder
keine angemessenen Kleider oder Schmucksachen zu haben. Auf die Frage, wie
die Bibel den Übergang vom Naturzustande zur notwendigen und Pflicht-
mäßigen Kulturentwicklung als Sündenfall darstellen könne, gehn wir hier
nicht ein.

Das kleine Buch von Bettex enthält das beste, was wir je über das
Thema: Mann und Weib gelesen haben und eine wirklich vernichtende Kritik
des Fmuenrechtlerwesens, des Feminismus und wie diese modernen Kultur¬
blüten sonst heißen. Eine Inhaltsangabe hätte keinen Zweck; so etwas muß
ein jeder selbst lesen, Seite für Seite und Zeile für Zeile. Aber eine Probe
wollen wir wenigstens vorlegen. "Und da jetzt Frauen, was auch ihr gutes
Recht, so viel von ihren Francnrechten reden, wollen wir hier auch ein Wort
von unsern Männerrechtcn sprechen. Wir Männer schieben die Weltkugel!
Wir baue" im Schweiße unsers Angesichts die Erde und den von Gott ver¬
fluchten Acker, roder Wälder und trocknen Sümpfe aus, säen und ernten Brot
für Weib und Kind, kolonisieren Länder und haben weither den Weizen, die
Kartoffel, das Welschkorn und den Reis herbeigeschafft; wir holen unter Müh¬
salen und Gefahren den Thee, Kaffee und Kakao, die ihr Frauen trinkt, und
auch die Baumwolle und die Seide, womit ihr euch kleidet. Und ist Brot
und Kleid da, so sind wir es, die das Haus bauen, bescheiden oder schön,
Hütte oder Villa, Dorf oder Stadt, darin Frauen und Kinder wohnen; holen
dazu aus den: Felsen die Quader, hauen dazu im Wald die Stämme. Wir
erfinden und machen die Maschinen, womit die Stoffe gesponnen und gewoben
werden, deren Frauen sich bedienen. . . - Wir schüren Tag und Nacht die ver¬
sengenden Hochöfen, gießen Erzstatucn und riesige Schiffsschrauben. Wir
überbrücken reißende Ströme, durchbohren Gebirge, bauen Straßen und Kanüle
und Eisenbahnen und schöne und bequeme Riesendampfer mit prächtigen
Damensalons. Von der unsäglichen Mühe und dem Schweiß, von den Ent¬
behrungen und Gefahren und Anstrengungen, womit Männer das alles thun,


Zur Psychologie und Anthropologie

Schuld. Von hier aus, nicht von der Geschlechtlichkeit aus, ist auch die
Klcidermoral zu begründen. Von dein Manne, der ohne hochzeitliches Ge¬
wand beim königlichen Gastmahl erschienen war, hat der Katechet auszugehn,
nicht vom Sündenfall und der widersinnigen Meinung, die Scham Adams und
Evas bekunde den erwachten Geschlechtstrieb, oder gar, der Sündenfall habe
in diesem Erwachen bestanden, und die verbotne Frucht sei ein Symbol des
Geschlechtsgenusses. Wie kann die Bedingung des Daseins aller lebenden
Wesen Sünde und Schande sein! Sünde und Schande ist es, wenn der Mensch
ein reines Naturwesen bleibt, anstatt sich durch Arbeit zu vollenden. Der so¬
genannte Wilde überwindet diese Schande mit dem ersten Steinheil, das er
sich bereitet, und dem ersten künstlichen Schmuck, den er seinem Leibe anfügt.
Und wie es keine Schande ist, am Feierabend das Arbcitwerkzeug wegzulegen,
Wohl aber überhaupt kein Werkzeug zu haben, so ist es auch keine Schande,
zur Erquickung oder bei der Arbeit in großer Hitze die Kleider abzulegen, da¬
gegen schimpflich, als verlumpter Kulturmensch oder als Wilder keine oder
keine angemessenen Kleider oder Schmucksachen zu haben. Auf die Frage, wie
die Bibel den Übergang vom Naturzustande zur notwendigen und Pflicht-
mäßigen Kulturentwicklung als Sündenfall darstellen könne, gehn wir hier
nicht ein.

Das kleine Buch von Bettex enthält das beste, was wir je über das
Thema: Mann und Weib gelesen haben und eine wirklich vernichtende Kritik
des Fmuenrechtlerwesens, des Feminismus und wie diese modernen Kultur¬
blüten sonst heißen. Eine Inhaltsangabe hätte keinen Zweck; so etwas muß
ein jeder selbst lesen, Seite für Seite und Zeile für Zeile. Aber eine Probe
wollen wir wenigstens vorlegen. „Und da jetzt Frauen, was auch ihr gutes
Recht, so viel von ihren Francnrechten reden, wollen wir hier auch ein Wort
von unsern Männerrechtcn sprechen. Wir Männer schieben die Weltkugel!
Wir baue» im Schweiße unsers Angesichts die Erde und den von Gott ver¬
fluchten Acker, roder Wälder und trocknen Sümpfe aus, säen und ernten Brot
für Weib und Kind, kolonisieren Länder und haben weither den Weizen, die
Kartoffel, das Welschkorn und den Reis herbeigeschafft; wir holen unter Müh¬
salen und Gefahren den Thee, Kaffee und Kakao, die ihr Frauen trinkt, und
auch die Baumwolle und die Seide, womit ihr euch kleidet. Und ist Brot
und Kleid da, so sind wir es, die das Haus bauen, bescheiden oder schön,
Hütte oder Villa, Dorf oder Stadt, darin Frauen und Kinder wohnen; holen
dazu aus den: Felsen die Quader, hauen dazu im Wald die Stämme. Wir
erfinden und machen die Maschinen, womit die Stoffe gesponnen und gewoben
werden, deren Frauen sich bedienen. . . - Wir schüren Tag und Nacht die ver¬
sengenden Hochöfen, gießen Erzstatucn und riesige Schiffsschrauben. Wir
überbrücken reißende Ströme, durchbohren Gebirge, bauen Straßen und Kanüle
und Eisenbahnen und schöne und bequeme Riesendampfer mit prächtigen
Damensalons. Von der unsäglichen Mühe und dem Schweiß, von den Ent¬
behrungen und Gefahren und Anstrengungen, womit Männer das alles thun,


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[0371] Zur Psychologie und Anthropologie Schuld. Von hier aus, nicht von der Geschlechtlichkeit aus, ist auch die Klcidermoral zu begründen. Von dein Manne, der ohne hochzeitliches Ge¬ wand beim königlichen Gastmahl erschienen war, hat der Katechet auszugehn, nicht vom Sündenfall und der widersinnigen Meinung, die Scham Adams und Evas bekunde den erwachten Geschlechtstrieb, oder gar, der Sündenfall habe in diesem Erwachen bestanden, und die verbotne Frucht sei ein Symbol des Geschlechtsgenusses. Wie kann die Bedingung des Daseins aller lebenden Wesen Sünde und Schande sein! Sünde und Schande ist es, wenn der Mensch ein reines Naturwesen bleibt, anstatt sich durch Arbeit zu vollenden. Der so¬ genannte Wilde überwindet diese Schande mit dem ersten Steinheil, das er sich bereitet, und dem ersten künstlichen Schmuck, den er seinem Leibe anfügt. Und wie es keine Schande ist, am Feierabend das Arbcitwerkzeug wegzulegen, Wohl aber überhaupt kein Werkzeug zu haben, so ist es auch keine Schande, zur Erquickung oder bei der Arbeit in großer Hitze die Kleider abzulegen, da¬ gegen schimpflich, als verlumpter Kulturmensch oder als Wilder keine oder keine angemessenen Kleider oder Schmucksachen zu haben. Auf die Frage, wie die Bibel den Übergang vom Naturzustande zur notwendigen und Pflicht- mäßigen Kulturentwicklung als Sündenfall darstellen könne, gehn wir hier nicht ein. Das kleine Buch von Bettex enthält das beste, was wir je über das Thema: Mann und Weib gelesen haben und eine wirklich vernichtende Kritik des Fmuenrechtlerwesens, des Feminismus und wie diese modernen Kultur¬ blüten sonst heißen. Eine Inhaltsangabe hätte keinen Zweck; so etwas muß ein jeder selbst lesen, Seite für Seite und Zeile für Zeile. Aber eine Probe wollen wir wenigstens vorlegen. „Und da jetzt Frauen, was auch ihr gutes Recht, so viel von ihren Francnrechten reden, wollen wir hier auch ein Wort von unsern Männerrechtcn sprechen. Wir Männer schieben die Weltkugel! Wir baue» im Schweiße unsers Angesichts die Erde und den von Gott ver¬ fluchten Acker, roder Wälder und trocknen Sümpfe aus, säen und ernten Brot für Weib und Kind, kolonisieren Länder und haben weither den Weizen, die Kartoffel, das Welschkorn und den Reis herbeigeschafft; wir holen unter Müh¬ salen und Gefahren den Thee, Kaffee und Kakao, die ihr Frauen trinkt, und auch die Baumwolle und die Seide, womit ihr euch kleidet. Und ist Brot und Kleid da, so sind wir es, die das Haus bauen, bescheiden oder schön, Hütte oder Villa, Dorf oder Stadt, darin Frauen und Kinder wohnen; holen dazu aus den: Felsen die Quader, hauen dazu im Wald die Stämme. Wir erfinden und machen die Maschinen, womit die Stoffe gesponnen und gewoben werden, deren Frauen sich bedienen. . . - Wir schüren Tag und Nacht die ver¬ sengenden Hochöfen, gießen Erzstatucn und riesige Schiffsschrauben. Wir überbrücken reißende Ströme, durchbohren Gebirge, bauen Straßen und Kanüle und Eisenbahnen und schöne und bequeme Riesendampfer mit prächtigen Damensalons. Von der unsäglichen Mühe und dem Schweiß, von den Ent¬ behrungen und Gefahren und Anstrengungen, womit Männer das alles thun,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/371>, abgerufen am 22.07.2024.