Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.Line Denkschrift des Ministers Witte nach seine": Sinn nett geformten Staats von keiner Zentralregierung in nütz¬ Wenn mau die oben skizzierte Geschichte der russischen Landschaften über¬ Line Denkschrift des Ministers Witte nach seine»: Sinn nett geformten Staats von keiner Zentralregierung in nütz¬ Wenn mau die oben skizzierte Geschichte der russischen Landschaften über¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0324" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235496"/> <fw type="header" place="top"> Line Denkschrift des Ministers Witte</fw><lb/> <p xml:id="ID_1521" prev="#ID_1520"> nach seine»: Sinn nett geformten Staats von keiner Zentralregierung in nütz¬<lb/> licher Weise wird getragen werden können. Er rechnet als Finanzminister,<lb/> daß die Staatsbeamten billiger seien als die landschaftlichen Beamten <S, 207),<lb/> und bemerkt nicht, daß die Staatsbeamten oft deshalb schlecht sind, weil sie<lb/> zu billig sind. Ja es könnte sein, daß der Finanzminister, der schon über<lb/> 1700 Millionen Rubel jährlich durch seine Hände fließen läßt, meint, es wäre<lb/> besser, wenn auch die etwa 80 Millionen, die von den Landschaften aufgebracht<lb/> und verwandt werden, ihm zur Verfügung stünden. Er ist eine gewaltige<lb/> Arbeitskraft und will ein Atlas werden. Sollten ihn nie Zweifel anwandeln<lb/> an der Ausführbarkeit seines Unternehmens? Vorläufig scheint er noch an<lb/> sich und an sein Shstcm zu glauben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1522" next="#ID_1523"> Wenn mau die oben skizzierte Geschichte der russischen Landschaften über¬<lb/> blickt, so fällt es auf, wie genau die Krisen in dein Leben der Landschaften<lb/> mit den großen innern Erregungen der Zeit und besonders mit den .Krisen in<lb/> dem Leben der Monarchen selbst znsanunenfalleu. Der politisch genommen<lb/> tragische Tod Nikolaus 1. trieb zu den großen Reformen seines Nachfolgers<lb/> an. Aber noch ehe diese Reformen bis zu den Landschaftsinstitutionen ge¬<lb/> diehen waren, brachen die Stndenteuunrnhen vom Anfang der sechziger Jahre<lb/> ans und 1863 der polnische Aufstand. Das kühlte deu Liberalismus ab, und<lb/> wenn man die Laudschaftsverordnung 1864 auch durchführte, so trat doch<lb/> zugleich eine Rückwirkung auf das System der Regierung ein: dem freiheitlichen<lb/> Gange der neuen Institutionen wurden die ersten Steine in den Weg geworfen.<lb/> Dann kamen von 1866 an die Attentate ans Zar und Minister, und parallel<lb/> ging die Knebelung der Landschaften in einem von Jahr zu Jahr verstärkten<lb/> Maße. Endlich wird die Erregung in den Landschaften und Städten bedrohlich;<lb/> man merkt im Zentrum, daß man zu weit gegangen ist im Rückschritt. Da<lb/> kommt die Adresse der fünfundzwanzig Moskaner, deren Gewicht groß genug<lb/> ist, dem Zaren die Zustimmung zur Einberufung einer die Verfassung vor¬<lb/> bereitenden Kommission, die Unterzeichnung des Befehls dazu zu entreißen.<lb/> An demselben Tage, am 1. März 1881, wird Alexander >I. ermordet. Noch<lb/> halten der leitende Minister Graf Loris-Melikow und die meisten seiner Kollegen<lb/> mit ihm an dem freiheitlichen Programm fest. Am 8. März ist Beratung<lb/> darüber, ob der illas über die Einberufung der Kommission erfüllt werden<lb/> solle, und — so können wir der Diskretion des Ministers, der nicht aus<lb/> dem Amt plaudern will, nachhelfen die meisten Minister sind von der Zu¬<lb/> stimmung der beratenden Ministcrversammlung, sowie des neuen Zaren überzeugt.<lb/> Da erhebt sich der Oberprokureur des Syuods Pvbedvuoszew und erklärt sich<lb/> dagegen, aber nicht bloß sich, sondern auch den Zaren, den er insgeheim ge¬<lb/> wonnen hatte. Gegen die Mehrheit blieb der Mas unausgeführt, Pobedonoszew<lb/> trat als Sieger hervor und leitete fortan wie ein zweiter Pater La Chaise den<lb/> Kampf gegen alle freiheitlichen Bewegungen. Und was war das Mittel, nicht<lb/> nur Alexander III., sondern auch einen so gewissenhaft und gerecht denkenden<lb/> Monarchen wie Alexander II. dazu zu bringen, sich selbst zu widerrufen? Es</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0324]
Line Denkschrift des Ministers Witte
nach seine»: Sinn nett geformten Staats von keiner Zentralregierung in nütz¬
licher Weise wird getragen werden können. Er rechnet als Finanzminister,
daß die Staatsbeamten billiger seien als die landschaftlichen Beamten <S, 207),
und bemerkt nicht, daß die Staatsbeamten oft deshalb schlecht sind, weil sie
zu billig sind. Ja es könnte sein, daß der Finanzminister, der schon über
1700 Millionen Rubel jährlich durch seine Hände fließen läßt, meint, es wäre
besser, wenn auch die etwa 80 Millionen, die von den Landschaften aufgebracht
und verwandt werden, ihm zur Verfügung stünden. Er ist eine gewaltige
Arbeitskraft und will ein Atlas werden. Sollten ihn nie Zweifel anwandeln
an der Ausführbarkeit seines Unternehmens? Vorläufig scheint er noch an
sich und an sein Shstcm zu glauben.
Wenn mau die oben skizzierte Geschichte der russischen Landschaften über¬
blickt, so fällt es auf, wie genau die Krisen in dein Leben der Landschaften
mit den großen innern Erregungen der Zeit und besonders mit den .Krisen in
dem Leben der Monarchen selbst znsanunenfalleu. Der politisch genommen
tragische Tod Nikolaus 1. trieb zu den großen Reformen seines Nachfolgers
an. Aber noch ehe diese Reformen bis zu den Landschaftsinstitutionen ge¬
diehen waren, brachen die Stndenteuunrnhen vom Anfang der sechziger Jahre
ans und 1863 der polnische Aufstand. Das kühlte deu Liberalismus ab, und
wenn man die Laudschaftsverordnung 1864 auch durchführte, so trat doch
zugleich eine Rückwirkung auf das System der Regierung ein: dem freiheitlichen
Gange der neuen Institutionen wurden die ersten Steine in den Weg geworfen.
Dann kamen von 1866 an die Attentate ans Zar und Minister, und parallel
ging die Knebelung der Landschaften in einem von Jahr zu Jahr verstärkten
Maße. Endlich wird die Erregung in den Landschaften und Städten bedrohlich;
man merkt im Zentrum, daß man zu weit gegangen ist im Rückschritt. Da
kommt die Adresse der fünfundzwanzig Moskaner, deren Gewicht groß genug
ist, dem Zaren die Zustimmung zur Einberufung einer die Verfassung vor¬
bereitenden Kommission, die Unterzeichnung des Befehls dazu zu entreißen.
An demselben Tage, am 1. März 1881, wird Alexander >I. ermordet. Noch
halten der leitende Minister Graf Loris-Melikow und die meisten seiner Kollegen
mit ihm an dem freiheitlichen Programm fest. Am 8. März ist Beratung
darüber, ob der illas über die Einberufung der Kommission erfüllt werden
solle, und — so können wir der Diskretion des Ministers, der nicht aus
dem Amt plaudern will, nachhelfen die meisten Minister sind von der Zu¬
stimmung der beratenden Ministcrversammlung, sowie des neuen Zaren überzeugt.
Da erhebt sich der Oberprokureur des Syuods Pvbedvuoszew und erklärt sich
dagegen, aber nicht bloß sich, sondern auch den Zaren, den er insgeheim ge¬
wonnen hatte. Gegen die Mehrheit blieb der Mas unausgeführt, Pobedonoszew
trat als Sieger hervor und leitete fortan wie ein zweiter Pater La Chaise den
Kampf gegen alle freiheitlichen Bewegungen. Und was war das Mittel, nicht
nur Alexander III., sondern auch einen so gewissenhaft und gerecht denkenden
Monarchen wie Alexander II. dazu zu bringen, sich selbst zu widerrufen? Es
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