Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Line Denkschrift des Ministers Witte

trennt. Zwischen beide wurde durch das Gesetz von 1889 die Gewalt
der Landhnuptleute gesetzt, die mit den Landschaften nichts gemein haben.
Das Gesetz von 1890 war ein offenbarer Schritt zur Aufhebung der Land¬
schaften,

Dennoch wurden die Landschaften nicht gehorsame Werkzeuge der Regie¬
rung, Man kann -- immer nach Witte -- deshalb geradezu behaupten, daß
die gewiinschte Vereinheitlichung ihrer und der staatlichen Thätigkeit solange
nicht erreicht werden wird, solange die Landschaften in den staatlichen Zentral¬
behörden etwas ihnen Gegensätzliches sehen werden, solange nicht Erwählte
aus den Landschaften aktiven Anteil an ihrer Thätigkeit nehmen, solange die
Gesetze nicht als Ergebnisse der Beschlüsse dieser Erwählten erscheinen werden.
Andrerseits wird das Mißtrauen der Regierung uicht verschwinden, solange sich
mich nur der Schatten von Selbständigkeit bei den landschaftlichen Institutionen
erhalten wird.

Bei der Thronbesteigung Nikolaus II. drückten neun Gouvernementsland¬
schaften in ihren an den Thron gerichteten Adressen ihren Protest ans gegen
die bestehende Ordnung lind baten um Zulassung der Landschaften zur Teil¬
nahme an der legislative" Arbeit. Die meisten andern Landschaften äußerten
wenigstens dieselbe Gesinnung, ohne sie in Adressen auszudrücken. Witte hält
die landschaftliche Bewegung, die sich in diesen Adressen zeigt, für weit ernster,
als die leere nud lärmende Opposition gegen die Gonvernementsobrigteit.
Welcher in der Form, sagt der Minister, ist sie doch nach ihrem innern Gehalt
weit bedeutsamer sogar als die heftige Bewegung von 1879 bis 1883 war;
man darf nicht vergessen, daß die neuste Bewegung von der durch das Gesetz
von 1890 verstümmelten Landschaft ausgeht.

Weder eine Verschmelzung mit den staatlichen Organen, noch eine Be-
lebung und ein Erfolg in der landschaftlichen Thätigkeit, noch das Verschwinden
der politischen Tendenzen in den umgestalteten Landschaften ist erfolgt. Um¬
gekehrt bemerkt man in den neuen Landschaften ein neues Anschwellen der
landschaftlichen Besteuerung gerade für Bedürfnisse, die von den Landschaften
befriedigt werden sollen; darunter auch sür solche, wie die Volksbildung, die
"ach der Meinung Goremykins nicht der Landschaft unterstehn sollten. Der
Hader zwischen Landschaft und Negierung ist gewachsen, und endlich ist das
gleichgültige Verhalten der landschaftlichen Stimmgeber gegenüber den An¬
gelegenheiten der örtlichen Verwaltung gewachsen, und ebenso die thatsächliche
Abhängigkeit der ausführenden Organe der landschaftlichen Wirtschaft von den
Kanzleien. . . . "Unsre örtliche Verwaltung ist in der unnormalsten, traurigsten
Lage____"

In einer Schlußbetrachtung sagt Witte: "Nur unter der Bedingung gleich¬
artiger Prinzipien in der Ordnung der obersten und der untersten Instanzen,
der zentralen und der örtlichen Organe, erlangt man eine wirkliche Einheit
der Verwaltung; der Staat erscheint wirklich als Herr in dieser Sache; nur
unter dieser Bedingung können die örtlichen Organe zuverlässige Ausführer


Line Denkschrift des Ministers Witte

trennt. Zwischen beide wurde durch das Gesetz von 1889 die Gewalt
der Landhnuptleute gesetzt, die mit den Landschaften nichts gemein haben.
Das Gesetz von 1890 war ein offenbarer Schritt zur Aufhebung der Land¬
schaften,

Dennoch wurden die Landschaften nicht gehorsame Werkzeuge der Regie¬
rung, Man kann — immer nach Witte — deshalb geradezu behaupten, daß
die gewiinschte Vereinheitlichung ihrer und der staatlichen Thätigkeit solange
nicht erreicht werden wird, solange die Landschaften in den staatlichen Zentral¬
behörden etwas ihnen Gegensätzliches sehen werden, solange nicht Erwählte
aus den Landschaften aktiven Anteil an ihrer Thätigkeit nehmen, solange die
Gesetze nicht als Ergebnisse der Beschlüsse dieser Erwählten erscheinen werden.
Andrerseits wird das Mißtrauen der Regierung uicht verschwinden, solange sich
mich nur der Schatten von Selbständigkeit bei den landschaftlichen Institutionen
erhalten wird.

Bei der Thronbesteigung Nikolaus II. drückten neun Gouvernementsland¬
schaften in ihren an den Thron gerichteten Adressen ihren Protest ans gegen
die bestehende Ordnung lind baten um Zulassung der Landschaften zur Teil¬
nahme an der legislative» Arbeit. Die meisten andern Landschaften äußerten
wenigstens dieselbe Gesinnung, ohne sie in Adressen auszudrücken. Witte hält
die landschaftliche Bewegung, die sich in diesen Adressen zeigt, für weit ernster,
als die leere nud lärmende Opposition gegen die Gonvernementsobrigteit.
Welcher in der Form, sagt der Minister, ist sie doch nach ihrem innern Gehalt
weit bedeutsamer sogar als die heftige Bewegung von 1879 bis 1883 war;
man darf nicht vergessen, daß die neuste Bewegung von der durch das Gesetz
von 1890 verstümmelten Landschaft ausgeht.

Weder eine Verschmelzung mit den staatlichen Organen, noch eine Be-
lebung und ein Erfolg in der landschaftlichen Thätigkeit, noch das Verschwinden
der politischen Tendenzen in den umgestalteten Landschaften ist erfolgt. Um¬
gekehrt bemerkt man in den neuen Landschaften ein neues Anschwellen der
landschaftlichen Besteuerung gerade für Bedürfnisse, die von den Landschaften
befriedigt werden sollen; darunter auch sür solche, wie die Volksbildung, die
»ach der Meinung Goremykins nicht der Landschaft unterstehn sollten. Der
Hader zwischen Landschaft und Negierung ist gewachsen, und endlich ist das
gleichgültige Verhalten der landschaftlichen Stimmgeber gegenüber den An¬
gelegenheiten der örtlichen Verwaltung gewachsen, und ebenso die thatsächliche
Abhängigkeit der ausführenden Organe der landschaftlichen Wirtschaft von den
Kanzleien. . . . „Unsre örtliche Verwaltung ist in der unnormalsten, traurigsten
Lage____"

In einer Schlußbetrachtung sagt Witte: „Nur unter der Bedingung gleich¬
artiger Prinzipien in der Ordnung der obersten und der untersten Instanzen,
der zentralen und der örtlichen Organe, erlangt man eine wirkliche Einheit
der Verwaltung; der Staat erscheint wirklich als Herr in dieser Sache; nur
unter dieser Bedingung können die örtlichen Organe zuverlässige Ausführer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0320" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235492"/>
          <fw type="header" place="top"> Line Denkschrift des Ministers Witte</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1511" prev="#ID_1510"> trennt. Zwischen beide wurde durch das Gesetz von 1889 die Gewalt<lb/>
der Landhnuptleute gesetzt, die mit den Landschaften nichts gemein haben.<lb/>
Das Gesetz von 1890 war ein offenbarer Schritt zur Aufhebung der Land¬<lb/>
schaften,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1512"> Dennoch wurden die Landschaften nicht gehorsame Werkzeuge der Regie¬<lb/>
rung, Man kann &#x2014; immer nach Witte &#x2014; deshalb geradezu behaupten, daß<lb/>
die gewiinschte Vereinheitlichung ihrer und der staatlichen Thätigkeit solange<lb/>
nicht erreicht werden wird, solange die Landschaften in den staatlichen Zentral¬<lb/>
behörden etwas ihnen Gegensätzliches sehen werden, solange nicht Erwählte<lb/>
aus den Landschaften aktiven Anteil an ihrer Thätigkeit nehmen, solange die<lb/>
Gesetze nicht als Ergebnisse der Beschlüsse dieser Erwählten erscheinen werden.<lb/>
Andrerseits wird das Mißtrauen der Regierung uicht verschwinden, solange sich<lb/>
mich nur der Schatten von Selbständigkeit bei den landschaftlichen Institutionen<lb/>
erhalten wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1513"> Bei der Thronbesteigung Nikolaus II. drückten neun Gouvernementsland¬<lb/>
schaften in ihren an den Thron gerichteten Adressen ihren Protest ans gegen<lb/>
die bestehende Ordnung lind baten um Zulassung der Landschaften zur Teil¬<lb/>
nahme an der legislative» Arbeit. Die meisten andern Landschaften äußerten<lb/>
wenigstens dieselbe Gesinnung, ohne sie in Adressen auszudrücken. Witte hält<lb/>
die landschaftliche Bewegung, die sich in diesen Adressen zeigt, für weit ernster,<lb/>
als die leere nud lärmende Opposition gegen die Gonvernementsobrigteit.<lb/>
Welcher in der Form, sagt der Minister, ist sie doch nach ihrem innern Gehalt<lb/>
weit bedeutsamer sogar als die heftige Bewegung von 1879 bis 1883 war;<lb/>
man darf nicht vergessen, daß die neuste Bewegung von der durch das Gesetz<lb/>
von 1890 verstümmelten Landschaft ausgeht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1514"> Weder eine Verschmelzung mit den staatlichen Organen, noch eine Be-<lb/>
lebung und ein Erfolg in der landschaftlichen Thätigkeit, noch das Verschwinden<lb/>
der politischen Tendenzen in den umgestalteten Landschaften ist erfolgt. Um¬<lb/>
gekehrt bemerkt man in den neuen Landschaften ein neues Anschwellen der<lb/>
landschaftlichen Besteuerung gerade für Bedürfnisse, die von den Landschaften<lb/>
befriedigt werden sollen; darunter auch sür solche, wie die Volksbildung, die<lb/>
»ach der Meinung Goremykins nicht der Landschaft unterstehn sollten. Der<lb/>
Hader zwischen Landschaft und Negierung ist gewachsen, und endlich ist das<lb/>
gleichgültige Verhalten der landschaftlichen Stimmgeber gegenüber den An¬<lb/>
gelegenheiten der örtlichen Verwaltung gewachsen, und ebenso die thatsächliche<lb/>
Abhängigkeit der ausführenden Organe der landschaftlichen Wirtschaft von den<lb/>
Kanzleien. . . . &#x201E;Unsre örtliche Verwaltung ist in der unnormalsten, traurigsten<lb/>
Lage____"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1515" next="#ID_1516"> In einer Schlußbetrachtung sagt Witte: &#x201E;Nur unter der Bedingung gleich¬<lb/>
artiger Prinzipien in der Ordnung der obersten und der untersten Instanzen,<lb/>
der zentralen und der örtlichen Organe, erlangt man eine wirkliche Einheit<lb/>
der Verwaltung; der Staat erscheint wirklich als Herr in dieser Sache; nur<lb/>
unter dieser Bedingung können die örtlichen Organe zuverlässige Ausführer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0320] Line Denkschrift des Ministers Witte trennt. Zwischen beide wurde durch das Gesetz von 1889 die Gewalt der Landhnuptleute gesetzt, die mit den Landschaften nichts gemein haben. Das Gesetz von 1890 war ein offenbarer Schritt zur Aufhebung der Land¬ schaften, Dennoch wurden die Landschaften nicht gehorsame Werkzeuge der Regie¬ rung, Man kann — immer nach Witte — deshalb geradezu behaupten, daß die gewiinschte Vereinheitlichung ihrer und der staatlichen Thätigkeit solange nicht erreicht werden wird, solange die Landschaften in den staatlichen Zentral¬ behörden etwas ihnen Gegensätzliches sehen werden, solange nicht Erwählte aus den Landschaften aktiven Anteil an ihrer Thätigkeit nehmen, solange die Gesetze nicht als Ergebnisse der Beschlüsse dieser Erwählten erscheinen werden. Andrerseits wird das Mißtrauen der Regierung uicht verschwinden, solange sich mich nur der Schatten von Selbständigkeit bei den landschaftlichen Institutionen erhalten wird. Bei der Thronbesteigung Nikolaus II. drückten neun Gouvernementsland¬ schaften in ihren an den Thron gerichteten Adressen ihren Protest ans gegen die bestehende Ordnung lind baten um Zulassung der Landschaften zur Teil¬ nahme an der legislative» Arbeit. Die meisten andern Landschaften äußerten wenigstens dieselbe Gesinnung, ohne sie in Adressen auszudrücken. Witte hält die landschaftliche Bewegung, die sich in diesen Adressen zeigt, für weit ernster, als die leere nud lärmende Opposition gegen die Gonvernementsobrigteit. Welcher in der Form, sagt der Minister, ist sie doch nach ihrem innern Gehalt weit bedeutsamer sogar als die heftige Bewegung von 1879 bis 1883 war; man darf nicht vergessen, daß die neuste Bewegung von der durch das Gesetz von 1890 verstümmelten Landschaft ausgeht. Weder eine Verschmelzung mit den staatlichen Organen, noch eine Be- lebung und ein Erfolg in der landschaftlichen Thätigkeit, noch das Verschwinden der politischen Tendenzen in den umgestalteten Landschaften ist erfolgt. Um¬ gekehrt bemerkt man in den neuen Landschaften ein neues Anschwellen der landschaftlichen Besteuerung gerade für Bedürfnisse, die von den Landschaften befriedigt werden sollen; darunter auch sür solche, wie die Volksbildung, die »ach der Meinung Goremykins nicht der Landschaft unterstehn sollten. Der Hader zwischen Landschaft und Negierung ist gewachsen, und endlich ist das gleichgültige Verhalten der landschaftlichen Stimmgeber gegenüber den An¬ gelegenheiten der örtlichen Verwaltung gewachsen, und ebenso die thatsächliche Abhängigkeit der ausführenden Organe der landschaftlichen Wirtschaft von den Kanzleien. . . . „Unsre örtliche Verwaltung ist in der unnormalsten, traurigsten Lage____" In einer Schlußbetrachtung sagt Witte: „Nur unter der Bedingung gleich¬ artiger Prinzipien in der Ordnung der obersten und der untersten Instanzen, der zentralen und der örtlichen Organe, erlangt man eine wirkliche Einheit der Verwaltung; der Staat erscheint wirklich als Herr in dieser Sache; nur unter dieser Bedingung können die örtlichen Organe zuverlässige Ausführer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/320
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/320>, abgerufen am 23.07.2024.