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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Line Denkschrift des Ministers Witte

Quelle guter Gehälter sahen. In der Thätigkeit der Landschaften zeigten sich
solche Mängel und dunkle Seiten, die auch ihre eifrigsten Anhänger nicht
leugnen können. "Bedrängt, sagt Witte, von gouvernementaler Reglementie¬
rung, unfertig in ihrer Organisation, wurde die Landschaft ohne Zweifel ein
sehr schlechtes Werkzeug der Verwaltung."

Obwohl über diese Dinge viel gesprochen und geschrieben wurde, und
ohne das Hindernis der Zensur noch mehr wäre geschrieben worden, so blieb
die wahre Ursache dieser traurigen und unnormaleil Lage der Sache doch im
Schatten. "Wenn man von der unterirdischen Presse und der fremdländischen
Litteratur absieht, die von ihrem Standpunkt aus eine ziemlich richtige
Schätzung der Sachlage gaben, so bestanden im ganzen zwei herrschende
Meinungen. Die liberale Presse sah die Ursache der Beschränkungen, denen
die Landschaft unterworfen wurde, ebenso wie auch Ihre (Goremykins) Denk¬
schrift, hauptsächlich in der beleidigten beamtlichen Eigenliebe der einzelnen
Minister und Gouverneure, in dem bureaukratischen Druck usw. und forderte
ihrerseits Gewährung möglichst weiter Freiheit für die Landschaft j'was Ihre
(Goremhkins) Denkschrift nicht im Auge hatj, mit der Versicherung, es werden
mit dem Aufhören der Bedrückungen auch alle Mängel der landschaftlichen
Thätigkeit verschwinden. Umgekehrt wandte die konservative Presse die Auf¬
merksamkeit hauptsächlich auf die in der landschaftlichen Thätigkeit hervor¬
getretneu Mängel und forderte zu ihrer Abstellung eine Verstärkung der ad¬
ministrativen Bevormundung. Der Streit geriet auf eine solche Weise in
einen verhexten Kreis: die Landschaft wurde ein schlechtes Werkzeug der Ver¬
waltung, weil sie eingeengt wurde: mau muß sie einengen, weil sie ein
schlechtes Werkzeug der Verwaltung geworden ist. Während dessen war der
Ausweg aus diesem Kreise sehr einfach, aber die einen sahen ihn nicht, die
andern, und ihrer waren ohne Zweifel die Mehrheit, wollten ihn nicht sehen,
oder fürchteten sich, ihn zu bezeichnen. Die Landschaft geriet ohne Frage des¬
halb in Verfall, weil sie von der Regierung unter unnormale Bedingungen
gestellt war, aber diese Bedingungen zu ändern, der Landschaft Freiheit zu
geben ohne nachfolgende Änderung des selbstherrlichen Baues des Reichs war
unmöglich."

Mag die Zentralregierung allzu mißtrauisch, mögen die Gouverneure oft
vou persönlicher Eigenliebe beherrscht gewesen sein: es wurde sehr bald klar,
daß der Grundgedanke des Gesetzes von 1864 "sich sehr schnell zu verwirk¬
lichen begann, daß die Landschaft sich als eine gute Schule repräsentativer
Einrichtungen erwies, und daß man sie nicht in eine richtige Stellung bringen,
noch ihr die nötige Entwicklung geben könne, ohne den gesamten Staatsbäu
zu ändern."

Wir können hier leider den höchst interessanten weitern Schilderungen
des Ministers von den Beziehungen und Kämpfen zwischen den Landschaften
und der Regierung auch nur flüchtig nicht weiter so folgen, wie es in den
letzten Seiten geschehn ist. Der harmlose Leser dieser Schilderung wird aber,


Line Denkschrift des Ministers Witte

Quelle guter Gehälter sahen. In der Thätigkeit der Landschaften zeigten sich
solche Mängel und dunkle Seiten, die auch ihre eifrigsten Anhänger nicht
leugnen können. „Bedrängt, sagt Witte, von gouvernementaler Reglementie¬
rung, unfertig in ihrer Organisation, wurde die Landschaft ohne Zweifel ein
sehr schlechtes Werkzeug der Verwaltung."

Obwohl über diese Dinge viel gesprochen und geschrieben wurde, und
ohne das Hindernis der Zensur noch mehr wäre geschrieben worden, so blieb
die wahre Ursache dieser traurigen und unnormaleil Lage der Sache doch im
Schatten. „Wenn man von der unterirdischen Presse und der fremdländischen
Litteratur absieht, die von ihrem Standpunkt aus eine ziemlich richtige
Schätzung der Sachlage gaben, so bestanden im ganzen zwei herrschende
Meinungen. Die liberale Presse sah die Ursache der Beschränkungen, denen
die Landschaft unterworfen wurde, ebenso wie auch Ihre (Goremykins) Denk¬
schrift, hauptsächlich in der beleidigten beamtlichen Eigenliebe der einzelnen
Minister und Gouverneure, in dem bureaukratischen Druck usw. und forderte
ihrerseits Gewährung möglichst weiter Freiheit für die Landschaft j'was Ihre
(Goremhkins) Denkschrift nicht im Auge hatj, mit der Versicherung, es werden
mit dem Aufhören der Bedrückungen auch alle Mängel der landschaftlichen
Thätigkeit verschwinden. Umgekehrt wandte die konservative Presse die Auf¬
merksamkeit hauptsächlich auf die in der landschaftlichen Thätigkeit hervor¬
getretneu Mängel und forderte zu ihrer Abstellung eine Verstärkung der ad¬
ministrativen Bevormundung. Der Streit geriet auf eine solche Weise in
einen verhexten Kreis: die Landschaft wurde ein schlechtes Werkzeug der Ver¬
waltung, weil sie eingeengt wurde: mau muß sie einengen, weil sie ein
schlechtes Werkzeug der Verwaltung geworden ist. Während dessen war der
Ausweg aus diesem Kreise sehr einfach, aber die einen sahen ihn nicht, die
andern, und ihrer waren ohne Zweifel die Mehrheit, wollten ihn nicht sehen,
oder fürchteten sich, ihn zu bezeichnen. Die Landschaft geriet ohne Frage des¬
halb in Verfall, weil sie von der Regierung unter unnormale Bedingungen
gestellt war, aber diese Bedingungen zu ändern, der Landschaft Freiheit zu
geben ohne nachfolgende Änderung des selbstherrlichen Baues des Reichs war
unmöglich."

Mag die Zentralregierung allzu mißtrauisch, mögen die Gouverneure oft
vou persönlicher Eigenliebe beherrscht gewesen sein: es wurde sehr bald klar,
daß der Grundgedanke des Gesetzes von 1864 „sich sehr schnell zu verwirk¬
lichen begann, daß die Landschaft sich als eine gute Schule repräsentativer
Einrichtungen erwies, und daß man sie nicht in eine richtige Stellung bringen,
noch ihr die nötige Entwicklung geben könne, ohne den gesamten Staatsbäu
zu ändern."

Wir können hier leider den höchst interessanten weitern Schilderungen
des Ministers von den Beziehungen und Kämpfen zwischen den Landschaften
und der Regierung auch nur flüchtig nicht weiter so folgen, wie es in den
letzten Seiten geschehn ist. Der harmlose Leser dieser Schilderung wird aber,


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[0316] Line Denkschrift des Ministers Witte Quelle guter Gehälter sahen. In der Thätigkeit der Landschaften zeigten sich solche Mängel und dunkle Seiten, die auch ihre eifrigsten Anhänger nicht leugnen können. „Bedrängt, sagt Witte, von gouvernementaler Reglementie¬ rung, unfertig in ihrer Organisation, wurde die Landschaft ohne Zweifel ein sehr schlechtes Werkzeug der Verwaltung." Obwohl über diese Dinge viel gesprochen und geschrieben wurde, und ohne das Hindernis der Zensur noch mehr wäre geschrieben worden, so blieb die wahre Ursache dieser traurigen und unnormaleil Lage der Sache doch im Schatten. „Wenn man von der unterirdischen Presse und der fremdländischen Litteratur absieht, die von ihrem Standpunkt aus eine ziemlich richtige Schätzung der Sachlage gaben, so bestanden im ganzen zwei herrschende Meinungen. Die liberale Presse sah die Ursache der Beschränkungen, denen die Landschaft unterworfen wurde, ebenso wie auch Ihre (Goremykins) Denk¬ schrift, hauptsächlich in der beleidigten beamtlichen Eigenliebe der einzelnen Minister und Gouverneure, in dem bureaukratischen Druck usw. und forderte ihrerseits Gewährung möglichst weiter Freiheit für die Landschaft j'was Ihre (Goremhkins) Denkschrift nicht im Auge hatj, mit der Versicherung, es werden mit dem Aufhören der Bedrückungen auch alle Mängel der landschaftlichen Thätigkeit verschwinden. Umgekehrt wandte die konservative Presse die Auf¬ merksamkeit hauptsächlich auf die in der landschaftlichen Thätigkeit hervor¬ getretneu Mängel und forderte zu ihrer Abstellung eine Verstärkung der ad¬ ministrativen Bevormundung. Der Streit geriet auf eine solche Weise in einen verhexten Kreis: die Landschaft wurde ein schlechtes Werkzeug der Ver¬ waltung, weil sie eingeengt wurde: mau muß sie einengen, weil sie ein schlechtes Werkzeug der Verwaltung geworden ist. Während dessen war der Ausweg aus diesem Kreise sehr einfach, aber die einen sahen ihn nicht, die andern, und ihrer waren ohne Zweifel die Mehrheit, wollten ihn nicht sehen, oder fürchteten sich, ihn zu bezeichnen. Die Landschaft geriet ohne Frage des¬ halb in Verfall, weil sie von der Regierung unter unnormale Bedingungen gestellt war, aber diese Bedingungen zu ändern, der Landschaft Freiheit zu geben ohne nachfolgende Änderung des selbstherrlichen Baues des Reichs war unmöglich." Mag die Zentralregierung allzu mißtrauisch, mögen die Gouverneure oft vou persönlicher Eigenliebe beherrscht gewesen sein: es wurde sehr bald klar, daß der Grundgedanke des Gesetzes von 1864 „sich sehr schnell zu verwirk¬ lichen begann, daß die Landschaft sich als eine gute Schule repräsentativer Einrichtungen erwies, und daß man sie nicht in eine richtige Stellung bringen, noch ihr die nötige Entwicklung geben könne, ohne den gesamten Staatsbäu zu ändern." Wir können hier leider den höchst interessanten weitern Schilderungen des Ministers von den Beziehungen und Kämpfen zwischen den Landschaften und der Regierung auch nur flüchtig nicht weiter so folgen, wie es in den letzten Seiten geschehn ist. Der harmlose Leser dieser Schilderung wird aber,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/316>, abgerufen am 22.07.2024.