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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Die lvohuuugs- und Bodenpolitik in Großberlin

Weisheit der Projektentwerfer. Die Sozialdemokraten stehn dabei an Klarheit
und logischem Denken hoch über ihren "staatstreuen" Bundesgenossen. Sie
sehen die ganze Unmöglichkeit und UnHaltbarkeit der verlangten Wohnnngs-
politik ein, die bald zur radikalen sozialistischen Ordnung drängen muß. Sie
lachen sich ins Fäustchen und haben das beste Recht dazu. Ihre Geschäfte
werden so vortrefflich besorgt.

Das verleiht der Frage gegenwärtig in der Stadt Berlin selbst ein be¬
sondres Interesse. Daß der Berliner Magistrat die Verkehrtheit der boden-
reformerischen kommunalen Arbeiterwohnnngspolitik nicht erkennt, ist aus¬
geschlossen. Aber Singer und seine Genossen macheu nicht uur Bürgermeister,
sie machen auch Stadträte. Dazu buhlen der politische Freisinn und die alten
Manchesterinvalidcn in ihm eifriger denn je um singers Gunst im Partei¬
interesse. Werden da die unabhängigen Männer im Magistrat -- und un¬
abhängig sind, so befremdlich es manchem erscheinen mag, die besoldeten Mit¬
glieder viel mehr als die im Ehrenamt -- die Macht und den Mut zu
energischer Abwehr finden? Werden sie das ehrgeizstrotzende Strebertum in
der Gemeindeverwaltung selbst, dem sich in der neue" Wohnnngs- und Boden¬
politik eine so herrliche Perspektive eröffnet, zu zügeln vermögen? Werden
sie nach oben auch dann Opposition zu macheu geneigt sein, wenn diese
Opposition zugleich uach unten gemacht werden muß? Wie die Zeitungen
berichten, wird auch in der Berliner Gemeindeverwaltung sehr eifrig über die
Ministerialerlasse vom 19. März Rats gepflogen. Es wird sich bald zeigen,
ob der gesunde und berechtigte Liberalisinus in Berlin noch imstande ist, die
konservative Politik zu vertreten, die ihn allein noch vor dem schmählichsten
Untergänge retten kann.

Vor dem Geschrei, sie ließen sich durch "Konnivenz" gegenüber dem
Spekulantentnm zur Abwehr der sozialistischen Wohunngs- und Bodenpolitik
bestimmen, werden die Männer, auf die es ankommt, sich hoffentlich nicht
fürchten. Freilich werden sie sich dann nicht mit einfacher Verneinung und
Ablehnung begnügen können, sondern erstens -- wozu sie ja berufen und am
besten in der Lage sind -- uach oben wie nach unten über die thatsächliche Lage
des Berliner Grundstücks- und Wohnnngsmarkts und seine Entwicklung mit
dem größten Fleiß und tendenzloser, wir möchten sagen' wissenschaftlicher
Gründlichkeit und Wahrhaftigkeit aufklären müssen, und zweitens die gesetzlichen
Reformen und die staatlichen und kommunalen Verwaltnngsmnßnahmen vor¬
schlagen müssen, die ohne Gefährdung der Fundamente unsrer Rechts- und
Gesellschaftsordnung die in den Berliner Wohnverhältnissen obwaltenden schweren
Mängel beseitigen können.

(Schluß folgt)




Die lvohuuugs- und Bodenpolitik in Großberlin

Weisheit der Projektentwerfer. Die Sozialdemokraten stehn dabei an Klarheit
und logischem Denken hoch über ihren „staatstreuen" Bundesgenossen. Sie
sehen die ganze Unmöglichkeit und UnHaltbarkeit der verlangten Wohnnngs-
politik ein, die bald zur radikalen sozialistischen Ordnung drängen muß. Sie
lachen sich ins Fäustchen und haben das beste Recht dazu. Ihre Geschäfte
werden so vortrefflich besorgt.

Das verleiht der Frage gegenwärtig in der Stadt Berlin selbst ein be¬
sondres Interesse. Daß der Berliner Magistrat die Verkehrtheit der boden-
reformerischen kommunalen Arbeiterwohnnngspolitik nicht erkennt, ist aus¬
geschlossen. Aber Singer und seine Genossen macheu nicht uur Bürgermeister,
sie machen auch Stadträte. Dazu buhlen der politische Freisinn und die alten
Manchesterinvalidcn in ihm eifriger denn je um singers Gunst im Partei¬
interesse. Werden da die unabhängigen Männer im Magistrat — und un¬
abhängig sind, so befremdlich es manchem erscheinen mag, die besoldeten Mit¬
glieder viel mehr als die im Ehrenamt — die Macht und den Mut zu
energischer Abwehr finden? Werden sie das ehrgeizstrotzende Strebertum in
der Gemeindeverwaltung selbst, dem sich in der neue» Wohnnngs- und Boden¬
politik eine so herrliche Perspektive eröffnet, zu zügeln vermögen? Werden
sie nach oben auch dann Opposition zu macheu geneigt sein, wenn diese
Opposition zugleich uach unten gemacht werden muß? Wie die Zeitungen
berichten, wird auch in der Berliner Gemeindeverwaltung sehr eifrig über die
Ministerialerlasse vom 19. März Rats gepflogen. Es wird sich bald zeigen,
ob der gesunde und berechtigte Liberalisinus in Berlin noch imstande ist, die
konservative Politik zu vertreten, die ihn allein noch vor dem schmählichsten
Untergänge retten kann.

Vor dem Geschrei, sie ließen sich durch „Konnivenz" gegenüber dem
Spekulantentnm zur Abwehr der sozialistischen Wohunngs- und Bodenpolitik
bestimmen, werden die Männer, auf die es ankommt, sich hoffentlich nicht
fürchten. Freilich werden sie sich dann nicht mit einfacher Verneinung und
Ablehnung begnügen können, sondern erstens — wozu sie ja berufen und am
besten in der Lage sind — uach oben wie nach unten über die thatsächliche Lage
des Berliner Grundstücks- und Wohnnngsmarkts und seine Entwicklung mit
dem größten Fleiß und tendenzloser, wir möchten sagen' wissenschaftlicher
Gründlichkeit und Wahrhaftigkeit aufklären müssen, und zweitens die gesetzlichen
Reformen und die staatlichen und kommunalen Verwaltnngsmnßnahmen vor¬
schlagen müssen, die ohne Gefährdung der Fundamente unsrer Rechts- und
Gesellschaftsordnung die in den Berliner Wohnverhältnissen obwaltenden schweren
Mängel beseitigen können.

(Schluß folgt)




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[0314] Die lvohuuugs- und Bodenpolitik in Großberlin Weisheit der Projektentwerfer. Die Sozialdemokraten stehn dabei an Klarheit und logischem Denken hoch über ihren „staatstreuen" Bundesgenossen. Sie sehen die ganze Unmöglichkeit und UnHaltbarkeit der verlangten Wohnnngs- politik ein, die bald zur radikalen sozialistischen Ordnung drängen muß. Sie lachen sich ins Fäustchen und haben das beste Recht dazu. Ihre Geschäfte werden so vortrefflich besorgt. Das verleiht der Frage gegenwärtig in der Stadt Berlin selbst ein be¬ sondres Interesse. Daß der Berliner Magistrat die Verkehrtheit der boden- reformerischen kommunalen Arbeiterwohnnngspolitik nicht erkennt, ist aus¬ geschlossen. Aber Singer und seine Genossen macheu nicht uur Bürgermeister, sie machen auch Stadträte. Dazu buhlen der politische Freisinn und die alten Manchesterinvalidcn in ihm eifriger denn je um singers Gunst im Partei¬ interesse. Werden da die unabhängigen Männer im Magistrat — und un¬ abhängig sind, so befremdlich es manchem erscheinen mag, die besoldeten Mit¬ glieder viel mehr als die im Ehrenamt — die Macht und den Mut zu energischer Abwehr finden? Werden sie das ehrgeizstrotzende Strebertum in der Gemeindeverwaltung selbst, dem sich in der neue» Wohnnngs- und Boden¬ politik eine so herrliche Perspektive eröffnet, zu zügeln vermögen? Werden sie nach oben auch dann Opposition zu macheu geneigt sein, wenn diese Opposition zugleich uach unten gemacht werden muß? Wie die Zeitungen berichten, wird auch in der Berliner Gemeindeverwaltung sehr eifrig über die Ministerialerlasse vom 19. März Rats gepflogen. Es wird sich bald zeigen, ob der gesunde und berechtigte Liberalisinus in Berlin noch imstande ist, die konservative Politik zu vertreten, die ihn allein noch vor dem schmählichsten Untergänge retten kann. Vor dem Geschrei, sie ließen sich durch „Konnivenz" gegenüber dem Spekulantentnm zur Abwehr der sozialistischen Wohunngs- und Bodenpolitik bestimmen, werden die Männer, auf die es ankommt, sich hoffentlich nicht fürchten. Freilich werden sie sich dann nicht mit einfacher Verneinung und Ablehnung begnügen können, sondern erstens — wozu sie ja berufen und am besten in der Lage sind — uach oben wie nach unten über die thatsächliche Lage des Berliner Grundstücks- und Wohnnngsmarkts und seine Entwicklung mit dem größten Fleiß und tendenzloser, wir möchten sagen' wissenschaftlicher Gründlichkeit und Wahrhaftigkeit aufklären müssen, und zweitens die gesetzlichen Reformen und die staatlichen und kommunalen Verwaltnngsmnßnahmen vor¬ schlagen müssen, die ohne Gefährdung der Fundamente unsrer Rechts- und Gesellschaftsordnung die in den Berliner Wohnverhältnissen obwaltenden schweren Mängel beseitigen können. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/314>, abgerufen am 22.07.2024.