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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Holland und Deutschland

werden sie nicht leicht erschüttert, obwohl diese dein ernsten und arbeitshcirten
Streben des Menschen gefährlicher sind als sonst irgend etwas. Auf den ge¬
deihlichen Fortgang im Einzel- und im Staatsleben wirkt nichts so hemmend
und zerstörend ein wie die Hypertrophie des auf den Erwerb gerichteten
Wollens. Der Niedergang in Familien und Völkern ist in der Regel auf
diesen Hang zurückzuführen. Eine Wahrheit sehr trauriger Natur, aber sie
leuchtet in der einen oder der andern Weise durch die Geschichte aller Völker.

Vor nichts hat im Laufe ihrer Tage die Freiheit der Völker mehr zu
zittern gehabt als vor dem Andrängen der Habgier. Die Ausschreitungen des
Absolutismus siud in ihren Folgen gegen die Verheerungen, die die Geldgier
und die sich daranschließende Genußsucht angerichtet haben, von untergeordneter
Bedeutung. In römischer Zeit hatten es die Provinzen unter einem Caligula
und Nero besser als währeud der letzten hundert Jahre der Republik. Wem
das wegen der weiten Entfernung in der Zeit zu matt und farblos erscheint,
der möge sich aus der Geschichte Indiens, aus der des Burenkriegs und aus
dem Schicksal der amerikanischen Rothänte die Illustrativ" dazu herstellen.
Den Wert der Zeit unter Tiberius bemißt man gewöhnlich nach den galligen
Auslassungen des Taeitus. Gewiß, dem Republikanismus ging es damals
schlecht, und es war schlimm, daß vielfach der Unschuldige mit dem Schuldigen
leiden mußte. Aber man vergißt dabei, daß aus den Provinzen keine außer¬
gewöhnlichen Klagen mehr kamen. Mit dem kapitalistischen Ausbeutertum war
durch die Ordnung, die mit den Adlern der kaiserlichen Legionen in die er¬
oberten Länder einzog, kräftig aufgeräumt worden.

Über die Härte und die Einseitigkeit des kapitalistischen Ausbeutertums,
das ohne die Eigenschaft des weitausschauenden politischen und staatswirt-
schaftlichen Blicks die Kräfte des Staats zuerst für seinen Vorteil in Be¬
wegung setzt, kaun auch die Geschichte der Niederlande mehr als genug erzählen.
Es ist schon auf die Übelstände hingewiesen worden, die durch das Verhalten
der reichen holländischen Kaufmannschaft in der Verwaltung und der Ver¬
wendung der Staatsmittel herbeigeführt wurden. Man kann über das Schicksal
der Brüder Johann und Cornelius de Witt weinen, aber sie waren zu sehr
in die geltende Mißwirtschaft verstrickt, als daß der ruhige Beobachter es als
unverdient ansehen könnte. Der Geist, der sich damals gegen die Wehrbcir-
mnchung des Volks zu Lande auflehnte, ruhsam und auf Genuß gerichtet, regt
auch jetzt noch seine matten Schwingen.

Es liegt noch fast in unmittelbarer Erinnerung, welches Getöse in den
Reihen der Geldleute bei uns laut wurde, als vor Jahresfrist die Zeitungen
die Nachricht brachten, daß die Anleihe von achtzig Millionen, die der Krieg
in China für die deutsche Regierung notwendig gemacht hatte, in Amerika
untergebracht worden sei. Gründe dafür, das Geschäft nicht auf dem heimischen
Markte zu machen, wird die sparsame Finanzpolitik des jetzt abgegangnen
Herrn von Miquel schon gehabt haben; ausreichend ist der eine, daß, wie es
hieß, das Angebot in Dentschland selbst wegen angeblichen Kapitalmangels


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werden sie nicht leicht erschüttert, obwohl diese dein ernsten und arbeitshcirten
Streben des Menschen gefährlicher sind als sonst irgend etwas. Auf den ge¬
deihlichen Fortgang im Einzel- und im Staatsleben wirkt nichts so hemmend
und zerstörend ein wie die Hypertrophie des auf den Erwerb gerichteten
Wollens. Der Niedergang in Familien und Völkern ist in der Regel auf
diesen Hang zurückzuführen. Eine Wahrheit sehr trauriger Natur, aber sie
leuchtet in der einen oder der andern Weise durch die Geschichte aller Völker.

Vor nichts hat im Laufe ihrer Tage die Freiheit der Völker mehr zu
zittern gehabt als vor dem Andrängen der Habgier. Die Ausschreitungen des
Absolutismus siud in ihren Folgen gegen die Verheerungen, die die Geldgier
und die sich daranschließende Genußsucht angerichtet haben, von untergeordneter
Bedeutung. In römischer Zeit hatten es die Provinzen unter einem Caligula
und Nero besser als währeud der letzten hundert Jahre der Republik. Wem
das wegen der weiten Entfernung in der Zeit zu matt und farblos erscheint,
der möge sich aus der Geschichte Indiens, aus der des Burenkriegs und aus
dem Schicksal der amerikanischen Rothänte die Illustrativ» dazu herstellen.
Den Wert der Zeit unter Tiberius bemißt man gewöhnlich nach den galligen
Auslassungen des Taeitus. Gewiß, dem Republikanismus ging es damals
schlecht, und es war schlimm, daß vielfach der Unschuldige mit dem Schuldigen
leiden mußte. Aber man vergißt dabei, daß aus den Provinzen keine außer¬
gewöhnlichen Klagen mehr kamen. Mit dem kapitalistischen Ausbeutertum war
durch die Ordnung, die mit den Adlern der kaiserlichen Legionen in die er¬
oberten Länder einzog, kräftig aufgeräumt worden.

Über die Härte und die Einseitigkeit des kapitalistischen Ausbeutertums,
das ohne die Eigenschaft des weitausschauenden politischen und staatswirt-
schaftlichen Blicks die Kräfte des Staats zuerst für seinen Vorteil in Be¬
wegung setzt, kaun auch die Geschichte der Niederlande mehr als genug erzählen.
Es ist schon auf die Übelstände hingewiesen worden, die durch das Verhalten
der reichen holländischen Kaufmannschaft in der Verwaltung und der Ver¬
wendung der Staatsmittel herbeigeführt wurden. Man kann über das Schicksal
der Brüder Johann und Cornelius de Witt weinen, aber sie waren zu sehr
in die geltende Mißwirtschaft verstrickt, als daß der ruhige Beobachter es als
unverdient ansehen könnte. Der Geist, der sich damals gegen die Wehrbcir-
mnchung des Volks zu Lande auflehnte, ruhsam und auf Genuß gerichtet, regt
auch jetzt noch seine matten Schwingen.

Es liegt noch fast in unmittelbarer Erinnerung, welches Getöse in den
Reihen der Geldleute bei uns laut wurde, als vor Jahresfrist die Zeitungen
die Nachricht brachten, daß die Anleihe von achtzig Millionen, die der Krieg
in China für die deutsche Regierung notwendig gemacht hatte, in Amerika
untergebracht worden sei. Gründe dafür, das Geschäft nicht auf dem heimischen
Markte zu machen, wird die sparsame Finanzpolitik des jetzt abgegangnen
Herrn von Miquel schon gehabt haben; ausreichend ist der eine, daß, wie es
hieß, das Angebot in Dentschland selbst wegen angeblichen Kapitalmangels


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[0274] Holland und Deutschland werden sie nicht leicht erschüttert, obwohl diese dein ernsten und arbeitshcirten Streben des Menschen gefährlicher sind als sonst irgend etwas. Auf den ge¬ deihlichen Fortgang im Einzel- und im Staatsleben wirkt nichts so hemmend und zerstörend ein wie die Hypertrophie des auf den Erwerb gerichteten Wollens. Der Niedergang in Familien und Völkern ist in der Regel auf diesen Hang zurückzuführen. Eine Wahrheit sehr trauriger Natur, aber sie leuchtet in der einen oder der andern Weise durch die Geschichte aller Völker. Vor nichts hat im Laufe ihrer Tage die Freiheit der Völker mehr zu zittern gehabt als vor dem Andrängen der Habgier. Die Ausschreitungen des Absolutismus siud in ihren Folgen gegen die Verheerungen, die die Geldgier und die sich daranschließende Genußsucht angerichtet haben, von untergeordneter Bedeutung. In römischer Zeit hatten es die Provinzen unter einem Caligula und Nero besser als währeud der letzten hundert Jahre der Republik. Wem das wegen der weiten Entfernung in der Zeit zu matt und farblos erscheint, der möge sich aus der Geschichte Indiens, aus der des Burenkriegs und aus dem Schicksal der amerikanischen Rothänte die Illustrativ» dazu herstellen. Den Wert der Zeit unter Tiberius bemißt man gewöhnlich nach den galligen Auslassungen des Taeitus. Gewiß, dem Republikanismus ging es damals schlecht, und es war schlimm, daß vielfach der Unschuldige mit dem Schuldigen leiden mußte. Aber man vergißt dabei, daß aus den Provinzen keine außer¬ gewöhnlichen Klagen mehr kamen. Mit dem kapitalistischen Ausbeutertum war durch die Ordnung, die mit den Adlern der kaiserlichen Legionen in die er¬ oberten Länder einzog, kräftig aufgeräumt worden. Über die Härte und die Einseitigkeit des kapitalistischen Ausbeutertums, das ohne die Eigenschaft des weitausschauenden politischen und staatswirt- schaftlichen Blicks die Kräfte des Staats zuerst für seinen Vorteil in Be¬ wegung setzt, kaun auch die Geschichte der Niederlande mehr als genug erzählen. Es ist schon auf die Übelstände hingewiesen worden, die durch das Verhalten der reichen holländischen Kaufmannschaft in der Verwaltung und der Ver¬ wendung der Staatsmittel herbeigeführt wurden. Man kann über das Schicksal der Brüder Johann und Cornelius de Witt weinen, aber sie waren zu sehr in die geltende Mißwirtschaft verstrickt, als daß der ruhige Beobachter es als unverdient ansehen könnte. Der Geist, der sich damals gegen die Wehrbcir- mnchung des Volks zu Lande auflehnte, ruhsam und auf Genuß gerichtet, regt auch jetzt noch seine matten Schwingen. Es liegt noch fast in unmittelbarer Erinnerung, welches Getöse in den Reihen der Geldleute bei uns laut wurde, als vor Jahresfrist die Zeitungen die Nachricht brachten, daß die Anleihe von achtzig Millionen, die der Krieg in China für die deutsche Regierung notwendig gemacht hatte, in Amerika untergebracht worden sei. Gründe dafür, das Geschäft nicht auf dem heimischen Markte zu machen, wird die sparsame Finanzpolitik des jetzt abgegangnen Herrn von Miquel schon gehabt haben; ausreichend ist der eine, daß, wie es hieß, das Angebot in Dentschland selbst wegen angeblichen Kapitalmangels

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/274>, abgerufen am 25.08.2024.