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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Holland und Deutschland

Noch vor dreißig Jahren war Deutschland el" vorzugsweise cickerbnu-
treibender Staat, während Handel und Industrie die zweite Stelle einnahmen.
Dies ist nun in der Weise anders geworden, daß die Landwirtschaft nicht bloß
in den Hintergrund gedrängt, sondern in der That notleidend geworden ist.
Aber was die eine zu wenig hat, daran hat zum guten Gluck die andre den
reichlichen Überschuß, und so "mag eins dem andern helfen." Die deutsche
Industrie, die sich noch vor wenig Jahren den Vorwurf des "billig und schlecht"
gefallen lassen mußte, ist in ihren Hnupterzeugnissen jetzt führend in der Welt,
und in allen andern kann sie die Konkurrenz halten. Hieraus ergiebt sich der
glückliche Schluß, das; die deutsche Regierung, wenn in drei Jahren die Handels¬
verträge abgelaufen sind, dreist eine Erhöhung der Kornzölle eintreten lassen
kann, ohne eine gegen unsre Ausfuhr gerichtete Retorsiou befürchten zu brauchen.
Unsre Industrie ist in der That stark genug, Unfreundlichkeiten und Wider¬
wärtigkeiten in der Aufnahme zu begegnen, weil sie die eigne Tragfähigkeit
hat. Viele, und zwar die wertvollsten unsrer Fabrikate überfliegen jetzt schon
hochgespannte Zollschranken, und an andern Herstellungsstätten wird man es
lernen, ihnen den hohen Flug zu geben, der ausreichend ist. In einem Zoll¬
kriege entscheidet auf die Dauer die Tüchtigkeit und die Güte in der Her¬
stellung, zumal wenn wie in Deutschland die Arbeitslöhne noch verhältnismäßig
niedrig sind, und wenn bei einer guten Finanzwirtschaft eine zeitweise ein¬
tretende Unzufriedenheit in der Bevölkerung nicht gefürchtet werden muß.

Eine gute Finanzwirtschaft hat England so gut wie wir, aber in der
Höhe der Löhne ist es uns weit voraus, und dieser Unterschied wird bleiben,
wenn es nicht von einem "unordentlichen nationalen Unglück betroffen wird.
Allein in diesem Umstände hat Deutschland einen Vorsprung, deu die englische
Industrie da, wo sie einmal geschlagen ist, deshalb nicht einholen kann, weil
die siegreiche Gegnerin in steigendem Maße an Schaffenstnchtigkeit zunehmen
muß. Das weltbekannte maäs in tAerman/ giebt nach dieser Richtung aller¬
hand zu denken. Aber uicht auf die Arbeit als solche allein kommt es an,
nicht darauf bloß, daß der Gegner erschlagen werde, mag es kommen, wie es
will, sondern im deutschen Fabrikat ist uoch immer ein gutes Stück Idealismus,
eine Menge individueller Freude am Schaffell mit verarbeitet. Dies ist es,
was wir aus dem Grübeln und Denken ins Blaue hinein in die heiße Praxis
des Lebens mit hinübergenommen haben, und dieser Schwung der Seele wird
unsrer Industrie nicht minder als die bloße Technik auf unabsehbare Zeit hin
vor aller andern Konkurrenz den Vortritt geben.

Um kurz zu sein, so wird unsre Industrie, wenn demnächst die Handels¬
verträge erneuert werden, die Landwirtschaft aus ihrer gedrückten Lage empor¬
reißen, und dazu hat sie die Pflicht, nachdem jene im Umschwung der Zeiten
aus der rechten die linke Hand des arbeitenden Staatsorganismus geworden
ist. Aber uicht nur nach außen hin wird sie Nutzen schaffen, sondern unter
dem vermehrten Druck der Notwendigkeit auch in sich wieder den Antrieb finden,
ans dem Gebiete freier Möglichkeiten forschend uachzufassen und dadurch Wirt-


Holland und Deutschland

Noch vor dreißig Jahren war Deutschland el» vorzugsweise cickerbnu-
treibender Staat, während Handel und Industrie die zweite Stelle einnahmen.
Dies ist nun in der Weise anders geworden, daß die Landwirtschaft nicht bloß
in den Hintergrund gedrängt, sondern in der That notleidend geworden ist.
Aber was die eine zu wenig hat, daran hat zum guten Gluck die andre den
reichlichen Überschuß, und so „mag eins dem andern helfen." Die deutsche
Industrie, die sich noch vor wenig Jahren den Vorwurf des „billig und schlecht"
gefallen lassen mußte, ist in ihren Hnupterzeugnissen jetzt führend in der Welt,
und in allen andern kann sie die Konkurrenz halten. Hieraus ergiebt sich der
glückliche Schluß, das; die deutsche Regierung, wenn in drei Jahren die Handels¬
verträge abgelaufen sind, dreist eine Erhöhung der Kornzölle eintreten lassen
kann, ohne eine gegen unsre Ausfuhr gerichtete Retorsiou befürchten zu brauchen.
Unsre Industrie ist in der That stark genug, Unfreundlichkeiten und Wider¬
wärtigkeiten in der Aufnahme zu begegnen, weil sie die eigne Tragfähigkeit
hat. Viele, und zwar die wertvollsten unsrer Fabrikate überfliegen jetzt schon
hochgespannte Zollschranken, und an andern Herstellungsstätten wird man es
lernen, ihnen den hohen Flug zu geben, der ausreichend ist. In einem Zoll¬
kriege entscheidet auf die Dauer die Tüchtigkeit und die Güte in der Her¬
stellung, zumal wenn wie in Deutschland die Arbeitslöhne noch verhältnismäßig
niedrig sind, und wenn bei einer guten Finanzwirtschaft eine zeitweise ein¬
tretende Unzufriedenheit in der Bevölkerung nicht gefürchtet werden muß.

Eine gute Finanzwirtschaft hat England so gut wie wir, aber in der
Höhe der Löhne ist es uns weit voraus, und dieser Unterschied wird bleiben,
wenn es nicht von einem «unordentlichen nationalen Unglück betroffen wird.
Allein in diesem Umstände hat Deutschland einen Vorsprung, deu die englische
Industrie da, wo sie einmal geschlagen ist, deshalb nicht einholen kann, weil
die siegreiche Gegnerin in steigendem Maße an Schaffenstnchtigkeit zunehmen
muß. Das weltbekannte maäs in tAerman/ giebt nach dieser Richtung aller¬
hand zu denken. Aber uicht auf die Arbeit als solche allein kommt es an,
nicht darauf bloß, daß der Gegner erschlagen werde, mag es kommen, wie es
will, sondern im deutschen Fabrikat ist uoch immer ein gutes Stück Idealismus,
eine Menge individueller Freude am Schaffell mit verarbeitet. Dies ist es,
was wir aus dem Grübeln und Denken ins Blaue hinein in die heiße Praxis
des Lebens mit hinübergenommen haben, und dieser Schwung der Seele wird
unsrer Industrie nicht minder als die bloße Technik auf unabsehbare Zeit hin
vor aller andern Konkurrenz den Vortritt geben.

Um kurz zu sein, so wird unsre Industrie, wenn demnächst die Handels¬
verträge erneuert werden, die Landwirtschaft aus ihrer gedrückten Lage empor¬
reißen, und dazu hat sie die Pflicht, nachdem jene im Umschwung der Zeiten
aus der rechten die linke Hand des arbeitenden Staatsorganismus geworden
ist. Aber uicht nur nach außen hin wird sie Nutzen schaffen, sondern unter
dem vermehrten Druck der Notwendigkeit auch in sich wieder den Antrieb finden,
ans dem Gebiete freier Möglichkeiten forschend uachzufassen und dadurch Wirt-


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[0271] Holland und Deutschland Noch vor dreißig Jahren war Deutschland el» vorzugsweise cickerbnu- treibender Staat, während Handel und Industrie die zweite Stelle einnahmen. Dies ist nun in der Weise anders geworden, daß die Landwirtschaft nicht bloß in den Hintergrund gedrängt, sondern in der That notleidend geworden ist. Aber was die eine zu wenig hat, daran hat zum guten Gluck die andre den reichlichen Überschuß, und so „mag eins dem andern helfen." Die deutsche Industrie, die sich noch vor wenig Jahren den Vorwurf des „billig und schlecht" gefallen lassen mußte, ist in ihren Hnupterzeugnissen jetzt führend in der Welt, und in allen andern kann sie die Konkurrenz halten. Hieraus ergiebt sich der glückliche Schluß, das; die deutsche Regierung, wenn in drei Jahren die Handels¬ verträge abgelaufen sind, dreist eine Erhöhung der Kornzölle eintreten lassen kann, ohne eine gegen unsre Ausfuhr gerichtete Retorsiou befürchten zu brauchen. Unsre Industrie ist in der That stark genug, Unfreundlichkeiten und Wider¬ wärtigkeiten in der Aufnahme zu begegnen, weil sie die eigne Tragfähigkeit hat. Viele, und zwar die wertvollsten unsrer Fabrikate überfliegen jetzt schon hochgespannte Zollschranken, und an andern Herstellungsstätten wird man es lernen, ihnen den hohen Flug zu geben, der ausreichend ist. In einem Zoll¬ kriege entscheidet auf die Dauer die Tüchtigkeit und die Güte in der Her¬ stellung, zumal wenn wie in Deutschland die Arbeitslöhne noch verhältnismäßig niedrig sind, und wenn bei einer guten Finanzwirtschaft eine zeitweise ein¬ tretende Unzufriedenheit in der Bevölkerung nicht gefürchtet werden muß. Eine gute Finanzwirtschaft hat England so gut wie wir, aber in der Höhe der Löhne ist es uns weit voraus, und dieser Unterschied wird bleiben, wenn es nicht von einem «unordentlichen nationalen Unglück betroffen wird. Allein in diesem Umstände hat Deutschland einen Vorsprung, deu die englische Industrie da, wo sie einmal geschlagen ist, deshalb nicht einholen kann, weil die siegreiche Gegnerin in steigendem Maße an Schaffenstnchtigkeit zunehmen muß. Das weltbekannte maäs in tAerman/ giebt nach dieser Richtung aller¬ hand zu denken. Aber uicht auf die Arbeit als solche allein kommt es an, nicht darauf bloß, daß der Gegner erschlagen werde, mag es kommen, wie es will, sondern im deutschen Fabrikat ist uoch immer ein gutes Stück Idealismus, eine Menge individueller Freude am Schaffell mit verarbeitet. Dies ist es, was wir aus dem Grübeln und Denken ins Blaue hinein in die heiße Praxis des Lebens mit hinübergenommen haben, und dieser Schwung der Seele wird unsrer Industrie nicht minder als die bloße Technik auf unabsehbare Zeit hin vor aller andern Konkurrenz den Vortritt geben. Um kurz zu sein, so wird unsre Industrie, wenn demnächst die Handels¬ verträge erneuert werden, die Landwirtschaft aus ihrer gedrückten Lage empor¬ reißen, und dazu hat sie die Pflicht, nachdem jene im Umschwung der Zeiten aus der rechten die linke Hand des arbeitenden Staatsorganismus geworden ist. Aber uicht nur nach außen hin wird sie Nutzen schaffen, sondern unter dem vermehrten Druck der Notwendigkeit auch in sich wieder den Antrieb finden, ans dem Gebiete freier Möglichkeiten forschend uachzufassen und dadurch Wirt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/271>, abgerufen am 22.07.2024.