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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Der wildsang

Ich gab keine Antwort und eilte durch den Läuteraum der steinernen Wendel¬
treppe zu.

Seid Ihr von Rat mit dem Läuten betraut? rief es herauf.

Nein!

So soll Jungfer Kunigunde kommen! schrie es zornig. Wer seid denn Ihr?

Da stellte ich die Laterne auf deu Boden und rief:

So kommt herauf und bestellt Eure Botschaft selber.

Fluchend und schimpfend begann der Mensch die Treppe herauf zu tappen.
Ich eilte voraus, Kunigunde die Nachricht zu bringen. Sie stand hvchnnfgerichtet
auf dem Vorplatz. Geht auf den Mau und wartet meiner! sagte sie. Ich ließ
das Pförtlein hinter mir offen stehn.

Der Büttel kam polternd die Stiege herauf, und als er oben war, dauerte
es eine Weile, bis er zu reden anfing.

Wer ist mir denn halbwegs entgegen gekommen? fragte er grimmig.

Meidet Eure Botschaft! erwiderte Kunigunde.

Das herrschaftliche Gericht bestellt auf morgen früh das Armesündergeläut.
Valentin Herbert wird um zehn Uhr ans dem Galgenbühl gerastet.

Kunigunde mußte etwas gesagt haben, denn nach einer Pause fuhr der Büttel
fort: Was seine Strafe ist? Sein Recht wäre das Schwert. Aber da er die
löbliche Absicht des Rates, das Volk in diesen betrübten Zeitläuften zu vermuntern,
freventlicherweise vereitelt hat, haben die Herren die Strafe geschärft: er soll mit
dein Rad vom Leben zum Tod gebracht werden. Von neun bis zehn Uhr ist zu
läuten, mit den drei Pausen, nach Vorschrift. -- Wer war denn der Mann, der
mir entgegen gekommen ist?

Geht Euers Weges! sagte Kunigunde tonlos.

Fluchend kehrte der Büttel um und tappte an mir vorbei die Treppe
hinunter. Mit großem Gekrach wurde nach einer Weile unten die Thür zu¬
geworfen.

Kunigunde tum hinter ihm her zu mir auf deu Altan und fragte ""ich: Habt
Jhrs gehört?

Ich nickte rin dem Kopfe und sank, von Jammer überwältigt, vor der Brüstung
nieder. Kunigunde stand neben mir und schaute uach dem Schlosse hinüber. Es
war völlig Nacht geworden.

Endlich faßte ich mich; ich dachte an ihren Jammer. Ich stand auf und
sagte: Ich will morgen für Euch lauten.

Sie schüttelte den Kopf: Niemand läutet ihm als ich allein. Aber eine andre
Bitte habe ich an Euch, Johannes. Ich möcht ihn noch einmal sehen. Wenn der
Zug an der Heiliggeistkirche angelangt ist, fängt die erste Pause an, und sie dauert,
bis der Henker ans innere Thor gelangt. Bis ich hierheranf geeilt bin, ist der
Wagen schon in der Hauptstraße, wo ich ihn nicht mehr sehen kann. Drum will
ich hinaus auf die Straße. Stellt Euch in die Nähe vom Turm und erwartet mich
und schafft mir Raum, daß ich ihn sehen kann, wenn er vorüber fährt.

Ich versprach ihr, was sie begehrte, und drückte ihr zum Abschied die Hemd.
Ich wollte ihr ein tröstlich Wort sagen, aber ich vermochte es nicht, und als ich
ihr ins Gesicht schaute, da sah sie mich so ruhig und groß an, daß ich es nicht
gewagt hätte, sie zu trösten, auch wenn ich die besten Worte gewußt hätte.

(Schluß folgt)




Der wildsang

Ich gab keine Antwort und eilte durch den Läuteraum der steinernen Wendel¬
treppe zu.

Seid Ihr von Rat mit dem Läuten betraut? rief es herauf.

Nein!

So soll Jungfer Kunigunde kommen! schrie es zornig. Wer seid denn Ihr?

Da stellte ich die Laterne auf deu Boden und rief:

So kommt herauf und bestellt Eure Botschaft selber.

Fluchend und schimpfend begann der Mensch die Treppe herauf zu tappen.
Ich eilte voraus, Kunigunde die Nachricht zu bringen. Sie stand hvchnnfgerichtet
auf dem Vorplatz. Geht auf den Mau und wartet meiner! sagte sie. Ich ließ
das Pförtlein hinter mir offen stehn.

Der Büttel kam polternd die Stiege herauf, und als er oben war, dauerte
es eine Weile, bis er zu reden anfing.

Wer ist mir denn halbwegs entgegen gekommen? fragte er grimmig.

Meidet Eure Botschaft! erwiderte Kunigunde.

Das herrschaftliche Gericht bestellt auf morgen früh das Armesündergeläut.
Valentin Herbert wird um zehn Uhr ans dem Galgenbühl gerastet.

Kunigunde mußte etwas gesagt haben, denn nach einer Pause fuhr der Büttel
fort: Was seine Strafe ist? Sein Recht wäre das Schwert. Aber da er die
löbliche Absicht des Rates, das Volk in diesen betrübten Zeitläuften zu vermuntern,
freventlicherweise vereitelt hat, haben die Herren die Strafe geschärft: er soll mit
dein Rad vom Leben zum Tod gebracht werden. Von neun bis zehn Uhr ist zu
läuten, mit den drei Pausen, nach Vorschrift. — Wer war denn der Mann, der
mir entgegen gekommen ist?

Geht Euers Weges! sagte Kunigunde tonlos.

Fluchend kehrte der Büttel um und tappte an mir vorbei die Treppe
hinunter. Mit großem Gekrach wurde nach einer Weile unten die Thür zu¬
geworfen.

Kunigunde tum hinter ihm her zu mir auf deu Altan und fragte »»ich: Habt
Jhrs gehört?

Ich nickte rin dem Kopfe und sank, von Jammer überwältigt, vor der Brüstung
nieder. Kunigunde stand neben mir und schaute uach dem Schlosse hinüber. Es
war völlig Nacht geworden.

Endlich faßte ich mich; ich dachte an ihren Jammer. Ich stand auf und
sagte: Ich will morgen für Euch lauten.

Sie schüttelte den Kopf: Niemand läutet ihm als ich allein. Aber eine andre
Bitte habe ich an Euch, Johannes. Ich möcht ihn noch einmal sehen. Wenn der
Zug an der Heiliggeistkirche angelangt ist, fängt die erste Pause an, und sie dauert,
bis der Henker ans innere Thor gelangt. Bis ich hierheranf geeilt bin, ist der
Wagen schon in der Hauptstraße, wo ich ihn nicht mehr sehen kann. Drum will
ich hinaus auf die Straße. Stellt Euch in die Nähe vom Turm und erwartet mich
und schafft mir Raum, daß ich ihn sehen kann, wenn er vorüber fährt.

Ich versprach ihr, was sie begehrte, und drückte ihr zum Abschied die Hemd.
Ich wollte ihr ein tröstlich Wort sagen, aber ich vermochte es nicht, und als ich
ihr ins Gesicht schaute, da sah sie mich so ruhig und groß an, daß ich es nicht
gewagt hätte, sie zu trösten, auch wenn ich die besten Worte gewußt hätte.

(Schluß folgt)




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[0247] Der wildsang Ich gab keine Antwort und eilte durch den Läuteraum der steinernen Wendel¬ treppe zu. Seid Ihr von Rat mit dem Läuten betraut? rief es herauf. Nein! So soll Jungfer Kunigunde kommen! schrie es zornig. Wer seid denn Ihr? Da stellte ich die Laterne auf deu Boden und rief: So kommt herauf und bestellt Eure Botschaft selber. Fluchend und schimpfend begann der Mensch die Treppe herauf zu tappen. Ich eilte voraus, Kunigunde die Nachricht zu bringen. Sie stand hvchnnfgerichtet auf dem Vorplatz. Geht auf den Mau und wartet meiner! sagte sie. Ich ließ das Pförtlein hinter mir offen stehn. Der Büttel kam polternd die Stiege herauf, und als er oben war, dauerte es eine Weile, bis er zu reden anfing. Wer ist mir denn halbwegs entgegen gekommen? fragte er grimmig. Meidet Eure Botschaft! erwiderte Kunigunde. Das herrschaftliche Gericht bestellt auf morgen früh das Armesündergeläut. Valentin Herbert wird um zehn Uhr ans dem Galgenbühl gerastet. Kunigunde mußte etwas gesagt haben, denn nach einer Pause fuhr der Büttel fort: Was seine Strafe ist? Sein Recht wäre das Schwert. Aber da er die löbliche Absicht des Rates, das Volk in diesen betrübten Zeitläuften zu vermuntern, freventlicherweise vereitelt hat, haben die Herren die Strafe geschärft: er soll mit dein Rad vom Leben zum Tod gebracht werden. Von neun bis zehn Uhr ist zu läuten, mit den drei Pausen, nach Vorschrift. — Wer war denn der Mann, der mir entgegen gekommen ist? Geht Euers Weges! sagte Kunigunde tonlos. Fluchend kehrte der Büttel um und tappte an mir vorbei die Treppe hinunter. Mit großem Gekrach wurde nach einer Weile unten die Thür zu¬ geworfen. Kunigunde tum hinter ihm her zu mir auf deu Altan und fragte »»ich: Habt Jhrs gehört? Ich nickte rin dem Kopfe und sank, von Jammer überwältigt, vor der Brüstung nieder. Kunigunde stand neben mir und schaute uach dem Schlosse hinüber. Es war völlig Nacht geworden. Endlich faßte ich mich; ich dachte an ihren Jammer. Ich stand auf und sagte: Ich will morgen für Euch lauten. Sie schüttelte den Kopf: Niemand läutet ihm als ich allein. Aber eine andre Bitte habe ich an Euch, Johannes. Ich möcht ihn noch einmal sehen. Wenn der Zug an der Heiliggeistkirche angelangt ist, fängt die erste Pause an, und sie dauert, bis der Henker ans innere Thor gelangt. Bis ich hierheranf geeilt bin, ist der Wagen schon in der Hauptstraße, wo ich ihn nicht mehr sehen kann. Drum will ich hinaus auf die Straße. Stellt Euch in die Nähe vom Turm und erwartet mich und schafft mir Raum, daß ich ihn sehen kann, wenn er vorüber fährt. Ich versprach ihr, was sie begehrte, und drückte ihr zum Abschied die Hemd. Ich wollte ihr ein tröstlich Wort sagen, aber ich vermochte es nicht, und als ich ihr ins Gesicht schaute, da sah sie mich so ruhig und groß an, daß ich es nicht gewagt hätte, sie zu trösten, auch wenn ich die besten Worte gewußt hätte. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/247>, abgerufen am 27.07.2024.