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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Bürgerliche und militärische Auffassung

Wird auch im Volk über das Militär; das darf nicht darüber täuschen, das;
das Volk sehr an seinem Militär hängt. Und nun denke man an die Reichs-
hauptstadt, in der zwar die meisten Sozialdemokraten wohnen, aber doch auch
sehr viel Militärs, in der ein lebhafter Sinn für das Militärische durch das
Dienen der Söhne aller Familien bei der Garde und den ständigen Anblick
strammen Soldatentums wach erhalten wird; hier hat jeder Droschkenkutscher
militärischen Sinn, und gerade die sozialdemokratische Organisation baut auf
der Disziplin ans, die durch Dienstpflicht und militärische Anschauung be¬
gründet wird. In dieser Umgebung hätte Herr Kauffmann als zweiter Bürger¬
meister keine leichte Stellung. In weiten Kreisen der Bürgerschaft -- denn
die gewesenen Militärs, die Militärs des Beurlaubteustauds und der gesamte
Anhang der militärischen Kreise gehören doch auch zur Berliner Bürgerschaft --
würde es ihm an Autorität fehlen. Man denke, er hätte mit Untergebnen zu
thun, die mit Freuden und Ehren Soldat gewesen sind oder dem Militär¬
stande im Benrlanbtenverhältnisse noch hente angehören und auf dieses Ver¬
hältnis Wert legen -- würden sie ihm gern gehorchen? Und wenn z. B. in
der Bürgerschaft Streitigkeiten entstünden, wenn der Bürgermeister es einem
Teile der Bürger nicht recht machte, so würde die gegnerische Partei sofort
mit dem Vorwürfe bei der Hand sein: "Beim Militär ist er hinausgeflogen!",
und die Logik des radikalen politischen Glaubensbekenntnisses würde nicht
davor schützen, daß dieser Vorwurf auch von demokratischer oder sozialdemv-
lratischer Seite erhoben würde. Der Kaiser hat die Stelle, auf die er durch
Namensunterschrift unter die Bestätigungsurkunde den Stadtrat Kauffmann
stellen sollte, hoch eingeschätzt, wenn er sich gesagt hat: "Hier muß einer stehn,
zu dem alle Leute mit gleicher rückhaltloser Achtung hinaufschauen"; jeder, dem
an der Kommunalvcrwaltung und ihrem Ansehen liegt, und der sich die Sache
recht überlegt, muß dem zustimmen.

Rein theoretisch betrachtet gab es ein Mittel, den Konflikt zu über¬
brücken: der Kaiser kounte den ihm durch Mehrheitsvotum der Berliner Stadt¬
verordneten zum Bürgermeister vorgeschlagnen Kauffmann militärisch rehabili¬
tieren. Kauffmann hätte dann zu den Offizieren des Beurlaubteustauds oder
der Landwehr zurückversetzt werden müssen. So außergewöhnlich eine solche
Maßregel gewesen wäre, so kann doch von einer positiven Unmöglichkeit in
solchen Dingen kaum geredet werden. Wenn auf feiten des Herrn Kauffmann
die Bereitwilligkeit vorhanden gewesen ist, die sich ans einem solchen Schritt
ergebenden Konsequenzen auf sich zu nehmen, so stehn wir nicht an, zu er¬
klären, daß uns nach der äußern Kenntnis des Falles dieser Weg als gangbar
erschienen wäre. Herr Kauffmann wird als ein gewissenhafter Beamter ge¬
schildert, er hat seit den Ereignissen, die zu seiner militärischen Maßregelung
führten, im Lichte der Öffentlichkeit gelebt, ohne daß, soviel man hört, ein
Vorwurf von irgeud einer Seite gegen seinen Charakter erhoben wäre; und
vor diesen Ereignissen muß er sich dienstlich und außerdienstlich so geführt
haben, daß ihn seine militärischen Vorgesetzten und seine Kameraden für ge-


Bürgerliche und militärische Auffassung

Wird auch im Volk über das Militär; das darf nicht darüber täuschen, das;
das Volk sehr an seinem Militär hängt. Und nun denke man an die Reichs-
hauptstadt, in der zwar die meisten Sozialdemokraten wohnen, aber doch auch
sehr viel Militärs, in der ein lebhafter Sinn für das Militärische durch das
Dienen der Söhne aller Familien bei der Garde und den ständigen Anblick
strammen Soldatentums wach erhalten wird; hier hat jeder Droschkenkutscher
militärischen Sinn, und gerade die sozialdemokratische Organisation baut auf
der Disziplin ans, die durch Dienstpflicht und militärische Anschauung be¬
gründet wird. In dieser Umgebung hätte Herr Kauffmann als zweiter Bürger¬
meister keine leichte Stellung. In weiten Kreisen der Bürgerschaft — denn
die gewesenen Militärs, die Militärs des Beurlaubteustauds und der gesamte
Anhang der militärischen Kreise gehören doch auch zur Berliner Bürgerschaft —
würde es ihm an Autorität fehlen. Man denke, er hätte mit Untergebnen zu
thun, die mit Freuden und Ehren Soldat gewesen sind oder dem Militär¬
stande im Benrlanbtenverhältnisse noch hente angehören und auf dieses Ver¬
hältnis Wert legen — würden sie ihm gern gehorchen? Und wenn z. B. in
der Bürgerschaft Streitigkeiten entstünden, wenn der Bürgermeister es einem
Teile der Bürger nicht recht machte, so würde die gegnerische Partei sofort
mit dem Vorwürfe bei der Hand sein: „Beim Militär ist er hinausgeflogen!",
und die Logik des radikalen politischen Glaubensbekenntnisses würde nicht
davor schützen, daß dieser Vorwurf auch von demokratischer oder sozialdemv-
lratischer Seite erhoben würde. Der Kaiser hat die Stelle, auf die er durch
Namensunterschrift unter die Bestätigungsurkunde den Stadtrat Kauffmann
stellen sollte, hoch eingeschätzt, wenn er sich gesagt hat: „Hier muß einer stehn,
zu dem alle Leute mit gleicher rückhaltloser Achtung hinaufschauen"; jeder, dem
an der Kommunalvcrwaltung und ihrem Ansehen liegt, und der sich die Sache
recht überlegt, muß dem zustimmen.

Rein theoretisch betrachtet gab es ein Mittel, den Konflikt zu über¬
brücken: der Kaiser kounte den ihm durch Mehrheitsvotum der Berliner Stadt¬
verordneten zum Bürgermeister vorgeschlagnen Kauffmann militärisch rehabili¬
tieren. Kauffmann hätte dann zu den Offizieren des Beurlaubteustauds oder
der Landwehr zurückversetzt werden müssen. So außergewöhnlich eine solche
Maßregel gewesen wäre, so kann doch von einer positiven Unmöglichkeit in
solchen Dingen kaum geredet werden. Wenn auf feiten des Herrn Kauffmann
die Bereitwilligkeit vorhanden gewesen ist, die sich ans einem solchen Schritt
ergebenden Konsequenzen auf sich zu nehmen, so stehn wir nicht an, zu er¬
klären, daß uns nach der äußern Kenntnis des Falles dieser Weg als gangbar
erschienen wäre. Herr Kauffmann wird als ein gewissenhafter Beamter ge¬
schildert, er hat seit den Ereignissen, die zu seiner militärischen Maßregelung
führten, im Lichte der Öffentlichkeit gelebt, ohne daß, soviel man hört, ein
Vorwurf von irgeud einer Seite gegen seinen Charakter erhoben wäre; und
vor diesen Ereignissen muß er sich dienstlich und außerdienstlich so geführt
haben, daß ihn seine militärischen Vorgesetzten und seine Kameraden für ge-


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[0205] Bürgerliche und militärische Auffassung Wird auch im Volk über das Militär; das darf nicht darüber täuschen, das; das Volk sehr an seinem Militär hängt. Und nun denke man an die Reichs- hauptstadt, in der zwar die meisten Sozialdemokraten wohnen, aber doch auch sehr viel Militärs, in der ein lebhafter Sinn für das Militärische durch das Dienen der Söhne aller Familien bei der Garde und den ständigen Anblick strammen Soldatentums wach erhalten wird; hier hat jeder Droschkenkutscher militärischen Sinn, und gerade die sozialdemokratische Organisation baut auf der Disziplin ans, die durch Dienstpflicht und militärische Anschauung be¬ gründet wird. In dieser Umgebung hätte Herr Kauffmann als zweiter Bürger¬ meister keine leichte Stellung. In weiten Kreisen der Bürgerschaft — denn die gewesenen Militärs, die Militärs des Beurlaubteustauds und der gesamte Anhang der militärischen Kreise gehören doch auch zur Berliner Bürgerschaft — würde es ihm an Autorität fehlen. Man denke, er hätte mit Untergebnen zu thun, die mit Freuden und Ehren Soldat gewesen sind oder dem Militär¬ stande im Benrlanbtenverhältnisse noch hente angehören und auf dieses Ver¬ hältnis Wert legen — würden sie ihm gern gehorchen? Und wenn z. B. in der Bürgerschaft Streitigkeiten entstünden, wenn der Bürgermeister es einem Teile der Bürger nicht recht machte, so würde die gegnerische Partei sofort mit dem Vorwürfe bei der Hand sein: „Beim Militär ist er hinausgeflogen!", und die Logik des radikalen politischen Glaubensbekenntnisses würde nicht davor schützen, daß dieser Vorwurf auch von demokratischer oder sozialdemv- lratischer Seite erhoben würde. Der Kaiser hat die Stelle, auf die er durch Namensunterschrift unter die Bestätigungsurkunde den Stadtrat Kauffmann stellen sollte, hoch eingeschätzt, wenn er sich gesagt hat: „Hier muß einer stehn, zu dem alle Leute mit gleicher rückhaltloser Achtung hinaufschauen"; jeder, dem an der Kommunalvcrwaltung und ihrem Ansehen liegt, und der sich die Sache recht überlegt, muß dem zustimmen. Rein theoretisch betrachtet gab es ein Mittel, den Konflikt zu über¬ brücken: der Kaiser kounte den ihm durch Mehrheitsvotum der Berliner Stadt¬ verordneten zum Bürgermeister vorgeschlagnen Kauffmann militärisch rehabili¬ tieren. Kauffmann hätte dann zu den Offizieren des Beurlaubteustauds oder der Landwehr zurückversetzt werden müssen. So außergewöhnlich eine solche Maßregel gewesen wäre, so kann doch von einer positiven Unmöglichkeit in solchen Dingen kaum geredet werden. Wenn auf feiten des Herrn Kauffmann die Bereitwilligkeit vorhanden gewesen ist, die sich ans einem solchen Schritt ergebenden Konsequenzen auf sich zu nehmen, so stehn wir nicht an, zu er¬ klären, daß uns nach der äußern Kenntnis des Falles dieser Weg als gangbar erschienen wäre. Herr Kauffmann wird als ein gewissenhafter Beamter ge¬ schildert, er hat seit den Ereignissen, die zu seiner militärischen Maßregelung führten, im Lichte der Öffentlichkeit gelebt, ohne daß, soviel man hört, ein Vorwurf von irgeud einer Seite gegen seinen Charakter erhoben wäre; und vor diesen Ereignissen muß er sich dienstlich und außerdienstlich so geführt haben, daß ihn seine militärischen Vorgesetzten und seine Kameraden für ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/205>, abgerufen am 05.07.2024.