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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Aus Reichsrat und Delegationen

dein Verkehr zwischen Donau, Elbe, Oder und Weichsel neue Bahnen weisen
werden. Und niemand zweifelt, daß sich die hierzu erforderlichen vielen hundert
Millionen ohne übermäßige Belastung der Bevölkerung werdeu aufbringen
lassen. Der Kredit Österreichs, der durch die mehrjährige Herrschaft des H 14
schon recht bedenklich ins Schwanken gekommen war, ist durch die Wiederher¬
stellung geordneter Parlamentsverhältnisse neu gekräftigt worden, und der
österreichische Finanzminister darf mit den Bedingungen, unter denen er eine
Investitionsanleihe abschließen konnte, ganz zufrieden sein.

Freilich hat es nicht an kritischen Augenblicken gefehlt, wo man die Be¬
fürchtung hegen mußte, daß der parlamentarische Gottesfriede gleich einem
Kartenhanse zusammenstürzen werde. Kaum war es gelungen, das von den
Jungtschechen geforderte Junctim zwischen Jnvestitionsvorlage und Kanal¬
projett praktisch herzustellen und den mehr taktischen als sachlichen Widerstand
der Altdeutschen gegen diese Nachgiebigkeit unschädlich zu machen, so drohte
die von den böhmischen Feudalen und vou den Agrariern beiderlei Nationalität
erhobne Forderung, daß die Regulierung der Flüsse den Kanalbauten voran¬
gehn müsse, die Durchführung des friedenbringenden Verkehrsprogrnmms zu
vereiteln. Allgemein glaubte man in dieser zuerst vom Fürsten Schwarzenberg
aufgeworfnen Schwierigkeit das Bestreben des Fendaladels zu erkennen, jede
Verständigung zwischen Tschechen und Deutschen zu hintertreiben. Der Geduld
Dr. Körbers und der endlich erwachten Arbeitslust aller Parteien gelang es,
auch in dieser Frage ein billiges Übereinkommen zu treffen. Dabei wurden
aber auch die geheimen Treibereien des Feudaladels, sein Versuch, sich die
agrarische Bewegung gegen die bisher Verbündeten Jnngtschechen dienstbar zu
machen, enthüllt, und die deutschen Parteien können nur mit der größten Be¬
friedigung die Spannung begrüßen, die sich hieraus zwischen den beiden gegne¬
rischen Parteien entwickelt hat. Die von der Obstruktionspolitik jahrelang in
Erregung gehaltnen tschechischen Volksmassen beginnen sich zu beruhigen. Neben
der Aussicht auf die aus dem Bau der Wasserstraßen erwachsenden wirtschaft¬
lichen Vorteile, die übrigens auch deutschen Gegenden zu gute kommen, ist
auch die Berufung zweier tschechischer Notabilitäten der Litteratur und der
Kunst in das Herrenhaus und die durch ein großherziges Geschenk des Kaisers
ermöglichte Errichtung einer böhmischen Nationalgalerie von großem Einfluß
auf die Herbeiführung dieses erfreulichen Stimmungswechsels gewesen.

Auch eine sozialpolitische Errungenschaft war die Bedingung und ist nun
ein gesicherter Erfolg der ungestörten parlamentarischen Arbeit, das Verg-
arbeitergesetz. Die Sozialdemokraten haben zwar den Achtstundentag im Kohlen¬
bergbau nicht durchsetzen können und sich mit dem Neunstundentag begnügen
müssen. Aber wenn auch die Beratung dieses Gesetzes die Veranlassung eines
der wenigen stürmischen Auftritte während der letzten Wochen im Abgeordneten¬
hause war, so ist es eben doch zustande gekommen und bedeutet immerhin eine
wesentliche Verbesserung der Lage der Bergarbeiter, wie sogar die sozialdemo¬
kratische Presse anerkennt.


Aus Reichsrat und Delegationen

dein Verkehr zwischen Donau, Elbe, Oder und Weichsel neue Bahnen weisen
werden. Und niemand zweifelt, daß sich die hierzu erforderlichen vielen hundert
Millionen ohne übermäßige Belastung der Bevölkerung werdeu aufbringen
lassen. Der Kredit Österreichs, der durch die mehrjährige Herrschaft des H 14
schon recht bedenklich ins Schwanken gekommen war, ist durch die Wiederher¬
stellung geordneter Parlamentsverhältnisse neu gekräftigt worden, und der
österreichische Finanzminister darf mit den Bedingungen, unter denen er eine
Investitionsanleihe abschließen konnte, ganz zufrieden sein.

Freilich hat es nicht an kritischen Augenblicken gefehlt, wo man die Be¬
fürchtung hegen mußte, daß der parlamentarische Gottesfriede gleich einem
Kartenhanse zusammenstürzen werde. Kaum war es gelungen, das von den
Jungtschechen geforderte Junctim zwischen Jnvestitionsvorlage und Kanal¬
projett praktisch herzustellen und den mehr taktischen als sachlichen Widerstand
der Altdeutschen gegen diese Nachgiebigkeit unschädlich zu machen, so drohte
die von den böhmischen Feudalen und vou den Agrariern beiderlei Nationalität
erhobne Forderung, daß die Regulierung der Flüsse den Kanalbauten voran¬
gehn müsse, die Durchführung des friedenbringenden Verkehrsprogrnmms zu
vereiteln. Allgemein glaubte man in dieser zuerst vom Fürsten Schwarzenberg
aufgeworfnen Schwierigkeit das Bestreben des Fendaladels zu erkennen, jede
Verständigung zwischen Tschechen und Deutschen zu hintertreiben. Der Geduld
Dr. Körbers und der endlich erwachten Arbeitslust aller Parteien gelang es,
auch in dieser Frage ein billiges Übereinkommen zu treffen. Dabei wurden
aber auch die geheimen Treibereien des Feudaladels, sein Versuch, sich die
agrarische Bewegung gegen die bisher Verbündeten Jnngtschechen dienstbar zu
machen, enthüllt, und die deutschen Parteien können nur mit der größten Be¬
friedigung die Spannung begrüßen, die sich hieraus zwischen den beiden gegne¬
rischen Parteien entwickelt hat. Die von der Obstruktionspolitik jahrelang in
Erregung gehaltnen tschechischen Volksmassen beginnen sich zu beruhigen. Neben
der Aussicht auf die aus dem Bau der Wasserstraßen erwachsenden wirtschaft¬
lichen Vorteile, die übrigens auch deutschen Gegenden zu gute kommen, ist
auch die Berufung zweier tschechischer Notabilitäten der Litteratur und der
Kunst in das Herrenhaus und die durch ein großherziges Geschenk des Kaisers
ermöglichte Errichtung einer böhmischen Nationalgalerie von großem Einfluß
auf die Herbeiführung dieses erfreulichen Stimmungswechsels gewesen.

Auch eine sozialpolitische Errungenschaft war die Bedingung und ist nun
ein gesicherter Erfolg der ungestörten parlamentarischen Arbeit, das Verg-
arbeitergesetz. Die Sozialdemokraten haben zwar den Achtstundentag im Kohlen¬
bergbau nicht durchsetzen können und sich mit dem Neunstundentag begnügen
müssen. Aber wenn auch die Beratung dieses Gesetzes die Veranlassung eines
der wenigen stürmischen Auftritte während der letzten Wochen im Abgeordneten¬
hause war, so ist es eben doch zustande gekommen und bedeutet immerhin eine
wesentliche Verbesserung der Lage der Bergarbeiter, wie sogar die sozialdemo¬
kratische Presse anerkennt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/20>, abgerufen am 22.07.2024.