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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Charakterstimmung eines Malers: Rubens, Tiepolo, Goya, als sahen wir ihn
bei der Arbeit oder vor dein Empfang eines Auftraggebers, Diese Sachen
sind meisterhaft: Porträt des Marquis de , . ., stolz und wegwerfend. Die
Fürstin und der Page, La Duchesse de , . ,, lüstern und schmeichelnd. Der
Gesandte, der sich von seiner Königin verabschiedet, beide mit dem Pfeil im
Herzen, fein und großartig. Das Lieblingsroß beim Schulritt im Schloßpark,
man fühlt den Rhythmus und meint jede Bewegung zu sehen. Was vor
hundert Jahren August Wilhelm Schlegel und Karoline in ihren "Gemälden"
versuchten, ein Bild in ein Gedicht umzusetzen, das scheint uns hier beinähe
gelungen in dem "Porträt eines spanischen Infanten von Velazqnez." Wir
wählen ein kürzeres Gedicht, um an einer vollständigen Probe die Prägnanz
der Schilderung zeigen zu können:

Der Brnvo
Bis zum Spiegel dürft ihr gehen,
stützet euch auf meinen Arm,
Mögt euch uoch einmal sehen
Vom blonden Haar bis zu den rosa Zehen,
Weiß wie ihr seid und warm. Dann aber, schöne Frau,
Beachtet meine Gebärde,
Schließt die Augen kornblumenblau:
Ich dress euch ins Herz genau
Und leg euch achtsam aus die Erde,

Schaukal kann vielen seiner dichtenden Kollegen darin ein Vorbild sein,
daß bei ihm die verhüllenden, nichts bedeutenden Wörter fehlen. Er überläßt
seinen Lesern noch etwas zum Denken, weil er weiß, daß eine Skizze lebendiger
wirken kann als die Ausführung, verfällt aber doch uicht in die billige Manier,
die bloß mit Fragmenten kokettiert. Das setzt Studium und Muster voraus,
man spürt Heinrich von Kleists warmes Blut, Platens Feile, Konrad Ferdinand
Meyers gedrängten Ausdruck, auch die Vorliebe für die formstreugere Kunst
der Romanen, zu denen sich der Österreicher ja wohl immer leichter hingezogen
fühlt als der Reichsdeutsche,

Ein höchst originelles Buch nicht bloß der Ausstattung und dem Bilder-
schmuck nach sind die "Balladen" von Börries Freiherrn von Münch-
hausen (Berlin, Breslauer und Meyer), Es fängt an mit fünf ritterlichen
Liebesgeschichten von Pagen und entführten oder vertauschten Frauen mit hoch-
singenden altfranzösischen Namen in einem gehobnen Bänkelsängerton, halb
komisch und halb feierlich, stark dekadent, was der Verfasser wohl als ein Lob
ansehen wird, und temperamentvoll. Dann kommen nordische Sachen, die ge¬
künstelter sind, schwülstig und übermäßig pathetisch, mit zu vielen Orts- und
Personenname,:, die für uns kein Leben mehr haben. Ganz in seinem Element
ist der Dichter wieder mit einigen Sagen und Sänger von niedersüchsischen
Rittern und Bauern, in die auch die Vorzeit seines eignen Geschlechts mit


Charakterstimmung eines Malers: Rubens, Tiepolo, Goya, als sahen wir ihn
bei der Arbeit oder vor dein Empfang eines Auftraggebers, Diese Sachen
sind meisterhaft: Porträt des Marquis de , . ., stolz und wegwerfend. Die
Fürstin und der Page, La Duchesse de , . ,, lüstern und schmeichelnd. Der
Gesandte, der sich von seiner Königin verabschiedet, beide mit dem Pfeil im
Herzen, fein und großartig. Das Lieblingsroß beim Schulritt im Schloßpark,
man fühlt den Rhythmus und meint jede Bewegung zu sehen. Was vor
hundert Jahren August Wilhelm Schlegel und Karoline in ihren „Gemälden"
versuchten, ein Bild in ein Gedicht umzusetzen, das scheint uns hier beinähe
gelungen in dem „Porträt eines spanischen Infanten von Velazqnez." Wir
wählen ein kürzeres Gedicht, um an einer vollständigen Probe die Prägnanz
der Schilderung zeigen zu können:

Der Brnvo
Bis zum Spiegel dürft ihr gehen,
stützet euch auf meinen Arm,
Mögt euch uoch einmal sehen
Vom blonden Haar bis zu den rosa Zehen,
Weiß wie ihr seid und warm. Dann aber, schöne Frau,
Beachtet meine Gebärde,
Schließt die Augen kornblumenblau:
Ich dress euch ins Herz genau
Und leg euch achtsam aus die Erde,

Schaukal kann vielen seiner dichtenden Kollegen darin ein Vorbild sein,
daß bei ihm die verhüllenden, nichts bedeutenden Wörter fehlen. Er überläßt
seinen Lesern noch etwas zum Denken, weil er weiß, daß eine Skizze lebendiger
wirken kann als die Ausführung, verfällt aber doch uicht in die billige Manier,
die bloß mit Fragmenten kokettiert. Das setzt Studium und Muster voraus,
man spürt Heinrich von Kleists warmes Blut, Platens Feile, Konrad Ferdinand
Meyers gedrängten Ausdruck, auch die Vorliebe für die formstreugere Kunst
der Romanen, zu denen sich der Österreicher ja wohl immer leichter hingezogen
fühlt als der Reichsdeutsche,

Ein höchst originelles Buch nicht bloß der Ausstattung und dem Bilder-
schmuck nach sind die „Balladen" von Börries Freiherrn von Münch-
hausen (Berlin, Breslauer und Meyer), Es fängt an mit fünf ritterlichen
Liebesgeschichten von Pagen und entführten oder vertauschten Frauen mit hoch-
singenden altfranzösischen Namen in einem gehobnen Bänkelsängerton, halb
komisch und halb feierlich, stark dekadent, was der Verfasser wohl als ein Lob
ansehen wird, und temperamentvoll. Dann kommen nordische Sachen, die ge¬
künstelter sind, schwülstig und übermäßig pathetisch, mit zu vielen Orts- und
Personenname,:, die für uns kein Leben mehr haben. Ganz in seinem Element
ist der Dichter wieder mit einigen Sagen und Sänger von niedersüchsischen
Rittern und Bauern, in die auch die Vorzeit seines eignen Geschlechts mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/189>, abgerufen am 22.07.2024.