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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Wohnungs- und Bodenpolitik

sondern nur was noch unbebaut ist und man gerade braucht, um die Marotte
durchzuführen, durchaus in der Großstadt, an der ungeeignetsten, teuersten
Stelle im ganzen Land, die neuen Besiedlungen zu schaffen. Das Neben- und
Durcheinander von Privatwirtschaft und Gemeinwirtschaft, von kommunistischer
Beseitigung und individualistischer Erhaltung des Privateigentums am gro߬
städtischen Grund und Boden, wie es in den jetzt nustauchenden Projekten,
z. B. dem des Regierungsrath Bingner, aus dem Ärmel geschüttelt wird, kann
niemals zu einer dauernden, befriedigenden Ordnung führen, souderu immer
nur das ehrliche, klare, radikale Verlangen nach Abschaffung des großstädtischen
Grundeigentums und nach einer strikt durchzuführenden sozialistischen Reform
des großstädtischen Wohnwesens überhaupt ins Recht setzen, wie es Adolf
Wagner versieht, gegen das man aber doch mit Fug und Recht die allerent-
schiedenste Verwahrung einlegen muß.

Auch daran ist hier zu erinnern, daß nach Lage der heutigen Gemeinde¬
steuergesetzgebung in Preußen die von den Bvdenreformern den Großstadt¬
gemeinden zugemutete neue Wohnungs- und Bodenpolitik wahrscheinlich zu deu
ärgsten Ungerechtigkeiten gegen die gegenwärtigen Miethnusbesitzer führen würde,
die man freilich allgemein als grundschlechte Kerle und als vogelfrei behandeln
muß, wenn einem um der "MA poxnIariZ etwas liegt. Weil sie von den
Leistungen der Gemeinde einen besondern Vorteil in der Ertragslvcrtsteigerung
ihrer Häuser haben, hat man sie mit Recht auch ganz besonders zu den Ge¬
meindesteuern herangezogen. Mau wird sie ohne Schaden mit der Zeit noch
kräftiger heranziehn können und ihnen außerdem durch eine schärfere Bau- und
Wohnungspolizei die Erträge der Häuser noch weiter beschneiden müssen. Aber
sie für kommunale Aufwendungen, die unmittelbar und ausgesprochen den Zweck
haben, ihre Häuser zu entwerten, was die verlangte neue Wohnungs- und
Bodenpolitik will, mit Hähern Abgaben zu belasten, wäre doch auch solchen
Sündern gegenüber ein etwas starkes Stück. Es scheint mir überhaupt viel
zu wenig untersucht zu werden, ob und inwieweit denn überhaupt nach den
heute geltenden Rechtsgrundsätzen diese ganze neue Aufgabe den Gemeinden
aufgebürdet werden darf. Es scheint so, als ob man annähme, daß sich das
doch ganz von selbst verstehe. Schon in den im allgemeinen heute noch oder
vielmehr heute gerade sehr lesenswerten, maßvollen und durch Eingehn ans
die praktischen Schwierigkeiten der Frage sich vor den allerneusten Projekten-
machereien auszeichnenden Gutachten und Berichten, die in der zweiten Hälfte
der achtziger Jahre der Verein für Sozialpolitik über die Wohnungsnot der
örmern Klassen in deutschen Großstädten herausgegeben hat, ist diese Frage
mehrfach nicht richtig behandelt worden.

So begründet z. B. der Bürgermeister Lange in seinem Gutachten über
die Wohnungsverhältnisse in Bochum die Verpflichtung der Stadtgemeinden
zur Verhütung und Beseitigung der Wohnungsnot und im besondern auch zur
Erbauung von Arbeiterwohnungen durch den H 1 des Ausführungsgesetzes über
den Unterstützungswohnsitz von, 8. Mürz 187.1, in dem es heißt: "Jedem hilfs¬
bedürftigen Deutschen ist in dem zu seiner Unterstützung verpflichteten Armen-


Wohnungs- und Bodenpolitik

sondern nur was noch unbebaut ist und man gerade braucht, um die Marotte
durchzuführen, durchaus in der Großstadt, an der ungeeignetsten, teuersten
Stelle im ganzen Land, die neuen Besiedlungen zu schaffen. Das Neben- und
Durcheinander von Privatwirtschaft und Gemeinwirtschaft, von kommunistischer
Beseitigung und individualistischer Erhaltung des Privateigentums am gro߬
städtischen Grund und Boden, wie es in den jetzt nustauchenden Projekten,
z. B. dem des Regierungsrath Bingner, aus dem Ärmel geschüttelt wird, kann
niemals zu einer dauernden, befriedigenden Ordnung führen, souderu immer
nur das ehrliche, klare, radikale Verlangen nach Abschaffung des großstädtischen
Grundeigentums und nach einer strikt durchzuführenden sozialistischen Reform
des großstädtischen Wohnwesens überhaupt ins Recht setzen, wie es Adolf
Wagner versieht, gegen das man aber doch mit Fug und Recht die allerent-
schiedenste Verwahrung einlegen muß.

Auch daran ist hier zu erinnern, daß nach Lage der heutigen Gemeinde¬
steuergesetzgebung in Preußen die von den Bvdenreformern den Großstadt¬
gemeinden zugemutete neue Wohnungs- und Bodenpolitik wahrscheinlich zu deu
ärgsten Ungerechtigkeiten gegen die gegenwärtigen Miethnusbesitzer führen würde,
die man freilich allgemein als grundschlechte Kerle und als vogelfrei behandeln
muß, wenn einem um der »MA poxnIariZ etwas liegt. Weil sie von den
Leistungen der Gemeinde einen besondern Vorteil in der Ertragslvcrtsteigerung
ihrer Häuser haben, hat man sie mit Recht auch ganz besonders zu den Ge¬
meindesteuern herangezogen. Mau wird sie ohne Schaden mit der Zeit noch
kräftiger heranziehn können und ihnen außerdem durch eine schärfere Bau- und
Wohnungspolizei die Erträge der Häuser noch weiter beschneiden müssen. Aber
sie für kommunale Aufwendungen, die unmittelbar und ausgesprochen den Zweck
haben, ihre Häuser zu entwerten, was die verlangte neue Wohnungs- und
Bodenpolitik will, mit Hähern Abgaben zu belasten, wäre doch auch solchen
Sündern gegenüber ein etwas starkes Stück. Es scheint mir überhaupt viel
zu wenig untersucht zu werden, ob und inwieweit denn überhaupt nach den
heute geltenden Rechtsgrundsätzen diese ganze neue Aufgabe den Gemeinden
aufgebürdet werden darf. Es scheint so, als ob man annähme, daß sich das
doch ganz von selbst verstehe. Schon in den im allgemeinen heute noch oder
vielmehr heute gerade sehr lesenswerten, maßvollen und durch Eingehn ans
die praktischen Schwierigkeiten der Frage sich vor den allerneusten Projekten-
machereien auszeichnenden Gutachten und Berichten, die in der zweiten Hälfte
der achtziger Jahre der Verein für Sozialpolitik über die Wohnungsnot der
örmern Klassen in deutschen Großstädten herausgegeben hat, ist diese Frage
mehrfach nicht richtig behandelt worden.

So begründet z. B. der Bürgermeister Lange in seinem Gutachten über
die Wohnungsverhältnisse in Bochum die Verpflichtung der Stadtgemeinden
zur Verhütung und Beseitigung der Wohnungsnot und im besondern auch zur
Erbauung von Arbeiterwohnungen durch den H 1 des Ausführungsgesetzes über
den Unterstützungswohnsitz von, 8. Mürz 187.1, in dem es heißt: „Jedem hilfs¬
bedürftigen Deutschen ist in dem zu seiner Unterstützung verpflichteten Armen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/600>, abgerufen am 22.07.2024.