Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.habe, läßt sich nicht ausreden, er habe vor etlichen Jahren in einer mondhellen Armer Pancratius, so bist du also ein ganz gewöhnliches Burggespenst ge¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches Zur Malthusfrage. Franz Oppenheimer hat die hundert Jahre oder habe, läßt sich nicht ausreden, er habe vor etlichen Jahren in einer mondhellen Armer Pancratius, so bist du also ein ganz gewöhnliches Burggespenst ge¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches Zur Malthusfrage. Franz Oppenheimer hat die hundert Jahre oder <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0582" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235112"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1753" prev="#ID_1752"> habe, läßt sich nicht ausreden, er habe vor etlichen Jahren in einer mondhellen<lb/> Oktobcrnacht deutlich wahrgenommen, wie eine riesenhafte Gestalt in blankem Harnisch<lb/> plötzlich ein Fenster des dritten Stockwerks aufgerissen und mit einer Entenflintc<lb/> auf ihn gezielt habe. Als der überraschte Wandrer dreimal das Zeichen des Kreuzes<lb/> gemacht habe, sei die Erscheinung unter höhnischem Gelächter entwichen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1754"> Armer Pancratius, so bist du also ein ganz gewöhnliches Burggespenst ge¬<lb/> worden! Äo transit xloris, annal!</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <p xml:id="ID_1755" next="#ID_1756"> Zur Malthusfrage. Franz Oppenheimer hat die hundert Jahre oder<lb/> vielleicht auch ein paar tausend Jahre alte Frage — denn Malthus ist nicht der<lb/> erste, der sie aufgeworfen hat — in seiner Schrift: Das Bevölkerungsgesetz<lb/> des T. R. Malthus und der neuern Nationalökonomie (Dr. John Edel-<lb/> heini, Berlin-Bern, 1901) wenigstens in einem Punkte ins reine gebracht. Er<lb/> schält den echten Malthusianismus aus dem heraus, was sich heute so nennt, und<lb/> zeigt, daß sich die heutigen Malthusianer (nämlich die wissenschaftlichen; die prak¬<lb/> tischen Nenmalthusianer zieht er nicht in den Bereich seiner Untersuchungen) fälschlich<lb/> so nennen. Sie sprechen alle nur von der Tendenz zu einer Volksvermehrung, die<lb/> das richtige Verhältnis zur Nahrungsmittelvermehrnng überschreitet. Malthus habe<lb/> zwar auch das Wort Tendenz gebraucht, aber bei ihm habe dieses Wort einen<lb/> andern Sinn als bei den neuern. Diese denken dabei an ein Streben, das sich<lb/> nicht durchzusetzen braucht, Malthus lehrt, daß sich die Tendenz immer und überall<lb/> durchsetze, daß sich also thatsächlich die Bevölkerung, wenn nicht künstliche Mittel<lb/> dagegen angewandt werden, immer und notwendigerweise stärker vermehre als die<lb/> Unterhaltsmittel, sodaß also der Überschuß durch Hunger umkommen müsse; es soll dies<lb/> nur ein besondrer Fall des Gesetzes sein, das alle Organismen beherrsche. Dieser<lb/> echte Malthusianismus, darin hat Oppenheimer Recht, widerlegt sich selbst, denn<lb/> wenn das von Malthus aufgestellte Gesetz in der Natur waltete, hätten sich die<lb/> Organismen überhaupt nicht vermehren können, und es wäre bestenfalls bei der<lb/> Fortpflanzung der Gattungen in je zwei Exemplaren geblieben. Mit diesem Unsinn<lb/> hat also die moderne Nationalökonomie nichts zu schaffen. Diese lehrt nur, daß<lb/> bei starker Volksvermehrung Schwierigkeiten und Übel entstehn, deren Ursprung<lb/> weniger in der Natur als in den gesellschaftlichen Einrichtungen und in der Gemüts¬<lb/> beschaffenheit der Menschen liegen, und daß wegen der Kleinheit der Oberfläche<lb/> unsers Planeten nach einigen hundert oder tausend Jahren allerdings Wohl anch<lb/> die Natur einer weitern Vermehrung der Menschen Halt gebieten könnte. Oppen¬<lb/> heimer nennt das prophetischen Malthusianismus und teilt dessen Anhänger in zwei<lb/> Klassen, je nachdem sie mehr auf die in nächster Zukunft von den gesellschaftlichen<lb/> Einrichtungen oder auf die im dritten Jahrtausend von der Kleinheit der Erdober¬<lb/> fläche drohenden Übel hinweisen, und er sucht beider Befürchtungen zu widerlegen.<lb/> Auf das, was er über die zweite Spielart sagt, gehn wir nicht ein. Den Kopf<lb/> der Menschen des dritten Jahrtausends brauchen wir uns nicht zu zerbrechen.<lb/> Oppcnheimers Nachweis, daß die Erde bequem zweihundert Milliarden Menschen<lb/> zu ernähren vermöchte, ist ebenso wertlos, wie der Nachweis seiner Gegner, daß<lb/> es höchstens für neun Milliarden langt. Nur zweierlei wollen wir dazu bemerken:<lb/> daß wir keiner von den zweihundert Milliarden sein möchten, denn Menschen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0582]
habe, läßt sich nicht ausreden, er habe vor etlichen Jahren in einer mondhellen
Oktobcrnacht deutlich wahrgenommen, wie eine riesenhafte Gestalt in blankem Harnisch
plötzlich ein Fenster des dritten Stockwerks aufgerissen und mit einer Entenflintc
auf ihn gezielt habe. Als der überraschte Wandrer dreimal das Zeichen des Kreuzes
gemacht habe, sei die Erscheinung unter höhnischem Gelächter entwichen.
Armer Pancratius, so bist du also ein ganz gewöhnliches Burggespenst ge¬
worden! Äo transit xloris, annal!
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Zur Malthusfrage. Franz Oppenheimer hat die hundert Jahre oder
vielleicht auch ein paar tausend Jahre alte Frage — denn Malthus ist nicht der
erste, der sie aufgeworfen hat — in seiner Schrift: Das Bevölkerungsgesetz
des T. R. Malthus und der neuern Nationalökonomie (Dr. John Edel-
heini, Berlin-Bern, 1901) wenigstens in einem Punkte ins reine gebracht. Er
schält den echten Malthusianismus aus dem heraus, was sich heute so nennt, und
zeigt, daß sich die heutigen Malthusianer (nämlich die wissenschaftlichen; die prak¬
tischen Nenmalthusianer zieht er nicht in den Bereich seiner Untersuchungen) fälschlich
so nennen. Sie sprechen alle nur von der Tendenz zu einer Volksvermehrung, die
das richtige Verhältnis zur Nahrungsmittelvermehrnng überschreitet. Malthus habe
zwar auch das Wort Tendenz gebraucht, aber bei ihm habe dieses Wort einen
andern Sinn als bei den neuern. Diese denken dabei an ein Streben, das sich
nicht durchzusetzen braucht, Malthus lehrt, daß sich die Tendenz immer und überall
durchsetze, daß sich also thatsächlich die Bevölkerung, wenn nicht künstliche Mittel
dagegen angewandt werden, immer und notwendigerweise stärker vermehre als die
Unterhaltsmittel, sodaß also der Überschuß durch Hunger umkommen müsse; es soll dies
nur ein besondrer Fall des Gesetzes sein, das alle Organismen beherrsche. Dieser
echte Malthusianismus, darin hat Oppenheimer Recht, widerlegt sich selbst, denn
wenn das von Malthus aufgestellte Gesetz in der Natur waltete, hätten sich die
Organismen überhaupt nicht vermehren können, und es wäre bestenfalls bei der
Fortpflanzung der Gattungen in je zwei Exemplaren geblieben. Mit diesem Unsinn
hat also die moderne Nationalökonomie nichts zu schaffen. Diese lehrt nur, daß
bei starker Volksvermehrung Schwierigkeiten und Übel entstehn, deren Ursprung
weniger in der Natur als in den gesellschaftlichen Einrichtungen und in der Gemüts¬
beschaffenheit der Menschen liegen, und daß wegen der Kleinheit der Oberfläche
unsers Planeten nach einigen hundert oder tausend Jahren allerdings Wohl anch
die Natur einer weitern Vermehrung der Menschen Halt gebieten könnte. Oppen¬
heimer nennt das prophetischen Malthusianismus und teilt dessen Anhänger in zwei
Klassen, je nachdem sie mehr auf die in nächster Zukunft von den gesellschaftlichen
Einrichtungen oder auf die im dritten Jahrtausend von der Kleinheit der Erdober¬
fläche drohenden Übel hinweisen, und er sucht beider Befürchtungen zu widerlegen.
Auf das, was er über die zweite Spielart sagt, gehn wir nicht ein. Den Kopf
der Menschen des dritten Jahrtausends brauchen wir uns nicht zu zerbrechen.
Oppcnheimers Nachweis, daß die Erde bequem zweihundert Milliarden Menschen
zu ernähren vermöchte, ist ebenso wertlos, wie der Nachweis seiner Gegner, daß
es höchstens für neun Milliarden langt. Nur zweierlei wollen wir dazu bemerken:
daß wir keiner von den zweihundert Milliarden sein möchten, denn Menschen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |