Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.Wohnnngs- und Bodenpolitik Bedingungen wird man den Ansiedlern stellen müssen. Hier heißt es büreau- Ganz besonders ist bei der hoffentlich bald in Gang kommenden systema¬ Mit der innern Kolonisation und der ganzen großen Sozialreform ans Wohnnngs- und Bodenpolitik Bedingungen wird man den Ansiedlern stellen müssen. Hier heißt es büreau- Ganz besonders ist bei der hoffentlich bald in Gang kommenden systema¬ Mit der innern Kolonisation und der ganzen großen Sozialreform ans <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0562" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235092"/> <fw type="header" place="top"> Wohnnngs- und Bodenpolitik</fw><lb/> <p xml:id="ID_1679" prev="#ID_1678"> Bedingungen wird man den Ansiedlern stellen müssen. Hier heißt es büreau-<lb/> kratische und fiskalische Kleinlichkeit gründlich ablegen. Auch das Chikaniereu<lb/> solider Privatunternehmungen soll mau bleiben lassen, wenn auch wucherischer<lb/> Güterschlüchteru, mögen sie heißen, wie sie wollen, das Handwerk rücksichtslos<lb/> gelegt werden muß. Ob mau mit der einseitigen Vorliebe für Fideikonunisse<lb/> und die möglichst vollständige Einführung des Anerbenrechts nicht auf den<lb/> Holzweg gerate» wird, wollen wir abwarten. Im Osten fehlt es thatsächlich,<lb/> trotz der rechtlichen Zulässigkeit an der nötigen Beweglichkeit und Teilbarkeit<lb/> des Bodens, im genauen Gegensatz zu den übervölkerten Westbezirken. Eine<lb/> lange Reihe fetter Jahre hat unsre Landwirte viel zu lauge in der Sitte er¬<lb/> halten, nichts zu verkaufen und nicht zu teilen. Daher rührt zum guten Teil<lb/> die üble Lage der Arbeiter, die selbständig werden wollen, daher ihr Mangel<lb/> an Heimatsinn, ihre Landflucht. Es ist die verkehrte Welt, im Osten, wo wir<lb/> Hunderttausende vou neuen Kleinbauern, Stellenbesitzern und Eigenhäuslern<lb/> schaffen müssen, den Anfang damit zu macheu, daß wir die ohnedies zu un¬<lb/> beweglichen Grundstücke noch unbeweglicher machen. Es scheint sehr viel Dok¬<lb/> trinarismus und Prinzipienreiterei dabei in Spiele zu sei«, und der große Irrtum,<lb/> daß die westfälische und hannöversche Schablone ohne weiteres für die Neu-<lb/> besiedluug des Ostens passe. Im Osten ist es jetzt am wenigsten an der Zeit,<lb/> das Land zu aristokratisieren und aristokratisch festzulegen, hier heißt es jetzt<lb/> systematisch demokratisieren. Wer aus politischer Parteieingenommenheit das<lb/> Gegenteil betreibt, der kennt entweder Land und Leute nicht, oder er ver¬<lb/> sündigt sich schwer an beiden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1680"> Ganz besonders ist bei der hoffentlich bald in Gang kommenden systema¬<lb/> tischen innern Kolonisation auch Bedacht zu nehmen auf die Menge von kleinen<lb/> Landstädten, die jetzt, auch wenn sie, wie viele dcwou, durch altes Vermögen<lb/> recht leistungsfähige Gemeinwesen sind, in den Ostprvvinzen dahinsiechen. Von<lb/> einem mehrfachen Gürtel großer Güter umschlossen, die früher die Kleinstadt<lb/> zum Verkehrszentrum hatten, jetzt uach der Verbesserung der Verkehrswege<lb/> direkt mit der größern Stadt verkehren, können sie nicht leben und nicht sterben.<lb/> Statt der zwanzig Rittergüter zehn solche und zehn Bauerngemeinden in der<lb/> Nähe, und die Stadt bekommt wieder Blut und Leben. Die Landstadt, „ihre"<lb/> Stadt war für den Kleinbauern und Landarbeiter ein wichtiger Bestandteil der<lb/> Heimat. Stadt und Land beleben sich gegenseitig, schützen sich vor der Ver¬<lb/> ödung und dem trostlosen Einerlei, das ein rechtes Heimatgefühl in deu wenig<lb/> oder nichts als ihre Arbeit besitzenden Dorfarbeitern jetzt nicht mehr aufkommen<lb/> läßt, je „intensiver" gewirtschaftet wird, um so weniger.</p><lb/> <p xml:id="ID_1681" next="#ID_1682"> Mit der innern Kolonisation und der ganzen großen Sozialreform ans<lb/> dem Lande muß eine ganz neue Ära bewußter, systematischer Heimatspflege,<lb/> ein energischer, Verständnis- und liebevoller Heimatsschntz Hand in Hand gehn.<lb/> Die letzten anderthalb Menschenalter haben in dieser Beziehung in den technisch<lb/> gut bewirtschafteten Ebenen des Ostens, besonders auch in deu altprotestan¬<lb/> tischen Bezirken geradezu verwüstend gewirkt. Jede Pietät, jedes Interesse für</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0562]
Wohnnngs- und Bodenpolitik
Bedingungen wird man den Ansiedlern stellen müssen. Hier heißt es büreau-
kratische und fiskalische Kleinlichkeit gründlich ablegen. Auch das Chikaniereu
solider Privatunternehmungen soll mau bleiben lassen, wenn auch wucherischer
Güterschlüchteru, mögen sie heißen, wie sie wollen, das Handwerk rücksichtslos
gelegt werden muß. Ob mau mit der einseitigen Vorliebe für Fideikonunisse
und die möglichst vollständige Einführung des Anerbenrechts nicht auf den
Holzweg gerate» wird, wollen wir abwarten. Im Osten fehlt es thatsächlich,
trotz der rechtlichen Zulässigkeit an der nötigen Beweglichkeit und Teilbarkeit
des Bodens, im genauen Gegensatz zu den übervölkerten Westbezirken. Eine
lange Reihe fetter Jahre hat unsre Landwirte viel zu lauge in der Sitte er¬
halten, nichts zu verkaufen und nicht zu teilen. Daher rührt zum guten Teil
die üble Lage der Arbeiter, die selbständig werden wollen, daher ihr Mangel
an Heimatsinn, ihre Landflucht. Es ist die verkehrte Welt, im Osten, wo wir
Hunderttausende vou neuen Kleinbauern, Stellenbesitzern und Eigenhäuslern
schaffen müssen, den Anfang damit zu macheu, daß wir die ohnedies zu un¬
beweglichen Grundstücke noch unbeweglicher machen. Es scheint sehr viel Dok¬
trinarismus und Prinzipienreiterei dabei in Spiele zu sei«, und der große Irrtum,
daß die westfälische und hannöversche Schablone ohne weiteres für die Neu-
besiedluug des Ostens passe. Im Osten ist es jetzt am wenigsten an der Zeit,
das Land zu aristokratisieren und aristokratisch festzulegen, hier heißt es jetzt
systematisch demokratisieren. Wer aus politischer Parteieingenommenheit das
Gegenteil betreibt, der kennt entweder Land und Leute nicht, oder er ver¬
sündigt sich schwer an beiden.
Ganz besonders ist bei der hoffentlich bald in Gang kommenden systema¬
tischen innern Kolonisation auch Bedacht zu nehmen auf die Menge von kleinen
Landstädten, die jetzt, auch wenn sie, wie viele dcwou, durch altes Vermögen
recht leistungsfähige Gemeinwesen sind, in den Ostprvvinzen dahinsiechen. Von
einem mehrfachen Gürtel großer Güter umschlossen, die früher die Kleinstadt
zum Verkehrszentrum hatten, jetzt uach der Verbesserung der Verkehrswege
direkt mit der größern Stadt verkehren, können sie nicht leben und nicht sterben.
Statt der zwanzig Rittergüter zehn solche und zehn Bauerngemeinden in der
Nähe, und die Stadt bekommt wieder Blut und Leben. Die Landstadt, „ihre"
Stadt war für den Kleinbauern und Landarbeiter ein wichtiger Bestandteil der
Heimat. Stadt und Land beleben sich gegenseitig, schützen sich vor der Ver¬
ödung und dem trostlosen Einerlei, das ein rechtes Heimatgefühl in deu wenig
oder nichts als ihre Arbeit besitzenden Dorfarbeitern jetzt nicht mehr aufkommen
läßt, je „intensiver" gewirtschaftet wird, um so weniger.
Mit der innern Kolonisation und der ganzen großen Sozialreform ans
dem Lande muß eine ganz neue Ära bewußter, systematischer Heimatspflege,
ein energischer, Verständnis- und liebevoller Heimatsschntz Hand in Hand gehn.
Die letzten anderthalb Menschenalter haben in dieser Beziehung in den technisch
gut bewirtschafteten Ebenen des Ostens, besonders auch in deu altprotestan¬
tischen Bezirken geradezu verwüstend gewirkt. Jede Pietät, jedes Interesse für
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