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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Der Vater der Memoirenlitteratur

Ist nur meine Kriegslist um nicht nach Wunsch gelungen? So zeigte er in
Worten und Handlungen viel Humor, wenn er trank oder scherzte. In der
Politik aber war er weder sehr klug "och thatkräftig, sondern nur so, wie anch
wohl ein andrer ehrbarer Athener,"

Alis die kunstvolle Ausmalung der kleinen Szene einzugehn ist hier nicht
am Platze; wen es interessiert, der möge die feine Analyse, die I, Bruns in
seinem Buche "Das litterarische Porträt der Griechen" Seite 51 ff, gegeben
hat, nachlesen. Nur soviel sei noch bemerkt, daß dieser Bericht eines Augen¬
zeugen für nus ein nnschützbarer Beitrag zur Charakteristik des Sophokles ist,
des Dichters, den Ion an einer andern Stelle seines Werks den einzigen
Schüler Homers nannte. Auch des Dichters Äschhlos wurde in den Epidemien
an einer Reihe von Stellen gedacht. Bei irgend einer Gelegenheit berichtete
Ion -- gewiß auf Grund einer eignen Erzählung von Äschhlos -- über dessen
Teilnahme all der Schlacht vou Salamis, und dem dürftigen Zitat dieser
Stelle verdauten wir die Gewißheit, daß der große Tragiker zu den Salamis-
kümpfern gehörte. Auch die oben erzählte Anekdote von dem Verkehr der
beiden Dichter bei den isthmischen Spielen ist ohne Zweifel den Epidemien
entnommen. Noch manche Angabe späterer Schriftsteller über die beiden ältern
Tragiker wird auf Ions Memoiren zurückgehn, so z. B. der bekannte Aus¬
spruch des Äschhlos, seine Dichtungen seien mir Brocken von der reichen Tafel
des Homer, vielleicht anch die Bemerkung des Aristoteles in der Poetik
(Kapitel 25), Sophokles habe gesagt, er stelle die Menschen dar, wie sie sein
müßten, Euripides aber, wie sie wirklich seien. Daß Ions Werk anch über
den dritten großen Tragiker, Euripides, Mitteilungen brachte, ist wahrscheinlich,
läßt sich jedoch nicht durch sichere Zeugnisse belegen.

Über die Feldherren und Staatsmänner der Blütezeit Athens haben Nur
keine unmittelbaren Fragmente aus den Epidemien, jedoch zeigen die Zitate
in Plutarchs Lebensbeschreibungen, daß auch sie in dem Werke keineswegs zu
kurz kamen. Mit besondrer Vorliebe verweilte Ion bei seinem Freunde und
Gesinnungsgenossen Kimon. Das nennte Kapitel von Plutarchs Kimon ist
dein Inhalte nach ganz Ions Eigentum, wenn es freilich auch die ursprüng¬
liche Frische durch die Umwandlung des Stils eingebüßt hat. Das hier von
Plutarch wiedergegebne Bild versetzt uns in ein heiteres Gelage im Hanse des
Laomedon. Kimon, der Mittelpunkt des fröhlichen Kreises, erfreut alle durch
seine geselligen Talente; er singt Lieder und erzählt, als die Rede auf seine
Thaten kommt, mit behaglicher Breite eine List, durch die er nach der Er¬
oberung von Byzanz und Schlof die Klugheit der Bundesgenossen übertrumpft
hat: bei freier Wahl hätten diese die Kostbarkeiten der Gefangnen an sich ge¬
nommen, die Athener aber hätten später für die ihnen überlassenen nackten
Personen ein Lösegeld erhalten, das den Wert jener andern Beute bei weitem
überstiegen Hütte. In andern: Zusammenhange stand wohl die kurze Charak¬
teristik, die Ion bei Plutarch Kimon 5 von dein Äußern des Feldherrn giebt:
"Es war aber auch seine äußere Erscheinung ohne Tadel, er war groß ge-


Der Vater der Memoirenlitteratur

Ist nur meine Kriegslist um nicht nach Wunsch gelungen? So zeigte er in
Worten und Handlungen viel Humor, wenn er trank oder scherzte. In der
Politik aber war er weder sehr klug «och thatkräftig, sondern nur so, wie anch
wohl ein andrer ehrbarer Athener,"

Alis die kunstvolle Ausmalung der kleinen Szene einzugehn ist hier nicht
am Platze; wen es interessiert, der möge die feine Analyse, die I, Bruns in
seinem Buche „Das litterarische Porträt der Griechen" Seite 51 ff, gegeben
hat, nachlesen. Nur soviel sei noch bemerkt, daß dieser Bericht eines Augen¬
zeugen für nus ein nnschützbarer Beitrag zur Charakteristik des Sophokles ist,
des Dichters, den Ion an einer andern Stelle seines Werks den einzigen
Schüler Homers nannte. Auch des Dichters Äschhlos wurde in den Epidemien
an einer Reihe von Stellen gedacht. Bei irgend einer Gelegenheit berichtete
Ion — gewiß auf Grund einer eignen Erzählung von Äschhlos — über dessen
Teilnahme all der Schlacht vou Salamis, und dem dürftigen Zitat dieser
Stelle verdauten wir die Gewißheit, daß der große Tragiker zu den Salamis-
kümpfern gehörte. Auch die oben erzählte Anekdote von dem Verkehr der
beiden Dichter bei den isthmischen Spielen ist ohne Zweifel den Epidemien
entnommen. Noch manche Angabe späterer Schriftsteller über die beiden ältern
Tragiker wird auf Ions Memoiren zurückgehn, so z. B. der bekannte Aus¬
spruch des Äschhlos, seine Dichtungen seien mir Brocken von der reichen Tafel
des Homer, vielleicht anch die Bemerkung des Aristoteles in der Poetik
(Kapitel 25), Sophokles habe gesagt, er stelle die Menschen dar, wie sie sein
müßten, Euripides aber, wie sie wirklich seien. Daß Ions Werk anch über
den dritten großen Tragiker, Euripides, Mitteilungen brachte, ist wahrscheinlich,
läßt sich jedoch nicht durch sichere Zeugnisse belegen.

Über die Feldherren und Staatsmänner der Blütezeit Athens haben Nur
keine unmittelbaren Fragmente aus den Epidemien, jedoch zeigen die Zitate
in Plutarchs Lebensbeschreibungen, daß auch sie in dem Werke keineswegs zu
kurz kamen. Mit besondrer Vorliebe verweilte Ion bei seinem Freunde und
Gesinnungsgenossen Kimon. Das nennte Kapitel von Plutarchs Kimon ist
dein Inhalte nach ganz Ions Eigentum, wenn es freilich auch die ursprüng¬
liche Frische durch die Umwandlung des Stils eingebüßt hat. Das hier von
Plutarch wiedergegebne Bild versetzt uns in ein heiteres Gelage im Hanse des
Laomedon. Kimon, der Mittelpunkt des fröhlichen Kreises, erfreut alle durch
seine geselligen Talente; er singt Lieder und erzählt, als die Rede auf seine
Thaten kommt, mit behaglicher Breite eine List, durch die er nach der Er¬
oberung von Byzanz und Schlof die Klugheit der Bundesgenossen übertrumpft
hat: bei freier Wahl hätten diese die Kostbarkeiten der Gefangnen an sich ge¬
nommen, die Athener aber hätten später für die ihnen überlassenen nackten
Personen ein Lösegeld erhalten, das den Wert jener andern Beute bei weitem
überstiegen Hütte. In andern: Zusammenhange stand wohl die kurze Charak¬
teristik, die Ion bei Plutarch Kimon 5 von dein Äußern des Feldherrn giebt:
„Es war aber auch seine äußere Erscheinung ohne Tadel, er war groß ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/516>, abgerufen am 24.08.2024.