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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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gegnung des Dichters mit Sophokles, der im Jahre 441 während des snmischen
Kriegs als Stratege mit einigen Schiffen noch der Insel Lesbos gesandt wurde
und auf dieser Fahrt auch Chios berührte. Weil das Fragment uns ein an¬
mutiges Erlebnis des großen Dichters vor die Augen führt und zugleich von dem
Charakter des ganzen Werks ein getreues Bild giebt, lasse ich hier die Übersetzung
folgen: "Mit dem Dichter Sophokles, einem beim Wein zum Scherz bereiten und
klugen Manne, traf ich auf Chios zusammen, als er als Stratege nach Lesbos
fuhr. Hermesilevs aber, der sein Gastfreund und zugleich der Konsul der
Athener war, bewirtete ihn, und als nun der den Wein einschenkende Knabe
durch das Feuer, bei dem er stand, von einem rosigen Schein Übergossen wurde,
freute sich der Dichter über ihn und sagte: Willst du, daß ich mit Vergnügen
trinke? und als jener ja sagte, fuhr er fort: Dann beeile dich nicht zu sehr,
wenn du den Becher bringst und ihn wieder fortnimmst. Da errötete der
Knabe noch viel mehr, der Dichter aber sagte zu seinem Nachbar: Wie schön
ist doch das Wort des Phrhnichos: Auf Purpurwcmgcn strahlt der Liebe
Glanz, Darauf erwiderte der Schulmeister aus Eretria, der auch zugegen
war: Dn verstehst dich zwar gut auf die Dichtkunst, o Sophokles, jedoch hat
Phrhnichos meiner Meinung nach nicht Recht, wenn er die Wangen des schönen
Knaben purpurfarben nennt. Denn wenn ein Maler die Wangen dieses
Knaben hier mit Purpurfarbe bestreichen würde, dann würde er wohl nicht
mehr schön erscheinen. Man darf doch das Schöne nicht durch etwas Un¬
schönes anschaulich machen wollen. Sophokles lachte über den Eretrier und
sagte: Dann hat gewiß auch das Wort des Simonides nicht deinen Beifall,
o Freund, das doch nach der Meinung der Hellenen ganz vortrefflich ist: Von
Purpurlippen tönt der Jungfrau Rede. Und auch der Dichter, fuhr er fort,
der den Apollo goldgelockt nennt, wird dir mißfallen; denn wenn ein Künstler
die Haare des Gottes golden und nicht schwarz malen würde, dann wäre das
Bild doch von geringerm Werte. Ebenso wenig wirst du dem Homer zu¬
stimmen, wenn er von der Rosenfingrigen spricht; denn wenn jemand die
Finger in Rosenfarbe tauchen wollte, dann würde er die Hände eines Purpur¬
färbers, nicht aber die eines schönen Weibes zeigen.

Die Gäste lachten lant ans, und während der Eretrier, über die Ab¬
fertigung beschämt, schwieg, richtete jener wiederum das Wort an den Knaben.
Als dieser nämlich gerade mit dem kleinen Finger ein Hälmchen ans dem
Becher entfernen wollte, fragte er ihn, ob er das Hälmchen sähe. Auf die
bejahende Antwort des Knaben fuhr er fort: Nun dann blase es fort, damit
dein Finger nicht naß wird. Während nun jener das Antlitz dem Becher
zuneigte, führte Sophokles den Becher näher an den Mund, damit sein Haupt
dem des Knaben näher käme. Sowie der Knabe ihm ganz nahe war, um¬
schlang er sein Haupt und küßte ihn. Als um alle mit lautem Lachen ihm
Beifall zujubelten, weil er den Knaben so schön angeführt habe, sagte er:
Ich übe mich, Freunde, in der Feldherrnkunst, denn Perikles hat mir gesagt,
ich verstehe mich zwar darauf zu dichten, aber nicht könne ich ein Heer führen'


gegnung des Dichters mit Sophokles, der im Jahre 441 während des snmischen
Kriegs als Stratege mit einigen Schiffen noch der Insel Lesbos gesandt wurde
und auf dieser Fahrt auch Chios berührte. Weil das Fragment uns ein an¬
mutiges Erlebnis des großen Dichters vor die Augen führt und zugleich von dem
Charakter des ganzen Werks ein getreues Bild giebt, lasse ich hier die Übersetzung
folgen: „Mit dem Dichter Sophokles, einem beim Wein zum Scherz bereiten und
klugen Manne, traf ich auf Chios zusammen, als er als Stratege nach Lesbos
fuhr. Hermesilevs aber, der sein Gastfreund und zugleich der Konsul der
Athener war, bewirtete ihn, und als nun der den Wein einschenkende Knabe
durch das Feuer, bei dem er stand, von einem rosigen Schein Übergossen wurde,
freute sich der Dichter über ihn und sagte: Willst du, daß ich mit Vergnügen
trinke? und als jener ja sagte, fuhr er fort: Dann beeile dich nicht zu sehr,
wenn du den Becher bringst und ihn wieder fortnimmst. Da errötete der
Knabe noch viel mehr, der Dichter aber sagte zu seinem Nachbar: Wie schön
ist doch das Wort des Phrhnichos: Auf Purpurwcmgcn strahlt der Liebe
Glanz, Darauf erwiderte der Schulmeister aus Eretria, der auch zugegen
war: Dn verstehst dich zwar gut auf die Dichtkunst, o Sophokles, jedoch hat
Phrhnichos meiner Meinung nach nicht Recht, wenn er die Wangen des schönen
Knaben purpurfarben nennt. Denn wenn ein Maler die Wangen dieses
Knaben hier mit Purpurfarbe bestreichen würde, dann würde er wohl nicht
mehr schön erscheinen. Man darf doch das Schöne nicht durch etwas Un¬
schönes anschaulich machen wollen. Sophokles lachte über den Eretrier und
sagte: Dann hat gewiß auch das Wort des Simonides nicht deinen Beifall,
o Freund, das doch nach der Meinung der Hellenen ganz vortrefflich ist: Von
Purpurlippen tönt der Jungfrau Rede. Und auch der Dichter, fuhr er fort,
der den Apollo goldgelockt nennt, wird dir mißfallen; denn wenn ein Künstler
die Haare des Gottes golden und nicht schwarz malen würde, dann wäre das
Bild doch von geringerm Werte. Ebenso wenig wirst du dem Homer zu¬
stimmen, wenn er von der Rosenfingrigen spricht; denn wenn jemand die
Finger in Rosenfarbe tauchen wollte, dann würde er die Hände eines Purpur¬
färbers, nicht aber die eines schönen Weibes zeigen.

Die Gäste lachten lant ans, und während der Eretrier, über die Ab¬
fertigung beschämt, schwieg, richtete jener wiederum das Wort an den Knaben.
Als dieser nämlich gerade mit dem kleinen Finger ein Hälmchen ans dem
Becher entfernen wollte, fragte er ihn, ob er das Hälmchen sähe. Auf die
bejahende Antwort des Knaben fuhr er fort: Nun dann blase es fort, damit
dein Finger nicht naß wird. Während nun jener das Antlitz dem Becher
zuneigte, führte Sophokles den Becher näher an den Mund, damit sein Haupt
dem des Knaben näher käme. Sowie der Knabe ihm ganz nahe war, um¬
schlang er sein Haupt und küßte ihn. Als um alle mit lautem Lachen ihm
Beifall zujubelten, weil er den Knaben so schön angeführt habe, sagte er:
Ich übe mich, Freunde, in der Feldherrnkunst, denn Perikles hat mir gesagt,
ich verstehe mich zwar darauf zu dichten, aber nicht könne ich ein Heer führen'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/515>, abgerufen am 22.07.2024.