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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich List

damals hat List die ganze Entwicklung der Volkswirtschaft und des Verkehrs,
wie sie durch die Eisenbahn gestaltet worden ist, und wie sie heilte jedes Kind
kennt, auf das genauste vorausgesagt: daß Gebirge und Flachland ihre Er¬
zeugnisse austauschen, daß jetzt erst Landwirtschaft, Garten- und Weinbau
rentabel werden würden durch die Möglichkeit der Verwertung ihrer Erzeug¬
nisse; daß ein rationeller Betrieb der Landwirtschaft allgemein werden werde
durch den Bezug mineralischer Dnngmittel ans der Ferne, daß es keine Hungers¬
nöte mehr geben werde, daß das erleichterte Reisen ans dem Arbeitsmarkt
Angebot und Nachfrage ausgleichen werde und arme Landbevölkerungen den
Winter nicht mehr müßig durchzuhungern brnnchen würden, weil ihnen die
Industrie Beschäftigung darbieten werde; daß der Reiseverkehr unendlich steigen,
die Städte vergrößern und bereichern, die städtische Grundrente erhöhen werde,
und daß alle diese Vorteile keinem Lande in größerm Maße zu gute kommen
würden als Deutschland, einmal weil es ärmer an Wasserverbindungen sei als
seine westlichem nördlichen und südlichen Nachbarn, dann wegen seiner zentralen
Lage, die seinen Bädern, Residenzen, Kunststätten, Lehranstalten einen ge¬
waltigen Fremdenverkehr zuführen werde. Eben diese zentrale Lage werde in
Verbindung mit der hohen Bildung, geistigen Regsamkeit und Tüchtigkeit seines
Volks Deutschland zum Zentrum des geistigen Lebens von Europa machen,
und das werde sich unter anderm bei dem Besuche der Industrie- und Kunst-
auSstelluugeu, der Gelehrten- und Fachkongresse zeigen, die ohne Zweifel ver¬
anstaltet werden würden, (Als das List schrieb -- er nennt alle die Jahres¬
versammlungen, die wir jetzt wirtlich haben --, gab es in Deutschland erst
einen Fachkongreß, den der Land- und Forstwirte, und noch gar leine Aus¬
stellungen,) lind er entwickelt die Bedeutung der Eisenbahnen für die
Landesverteidigung, für den Krieg, genan so, wie wir sie 1866 und 1870 sich
haben entfalten sehen. Auch in dieser Beziehung fand er nur bei wenigen
hohen Militärs in Berlin einiges Verständnis.

Also List hat in der That nicht bloß durch seiue Schlltzzolltheorie die
Nationalökonomik bereichert und vertieft; trotzdem thut man ihm geradezu un-
recht, wenn man ihn unter die gelehrten Nationalökonomen einreiht und seine
Größe und Bedeutung an denen mißt. Er war ein durchaus praktischer Mann,
ist niemals Theoretiker gewesen, hat es niemals sein wollen, und hat die
Theorie nnr gepflegt, so weit es seine praktischen Bestrebungen forderten.
Sogar sein "Nationales Shstem" ist im Grnnde genommen "ur eine Agitations¬
schrift zu dem Zwecke, den Zollverein zu Zollerhöhuugeu zu treiben. Er hatte
den unfehlbaren Blick des genialen Praktikers für das im Augenblick not¬
wendige und den ungestümen, ""bändigen Willen, das als notwendig erkannte
durchzusetzen. Dadurch ist er der volkswirtschaftliche Bismarck Deutschlands
geworden, ohne den der politische Bismarck kaum möglich gewesen wäre. Hätte
er nicht dnrch eine Agitation, die den Regierungen ein Greuel war und den
Besonnenen alles Maß zu übersteigen schien, die Deutschen aufgerüttelt, ihre
Blicke von der Litteratur, Philosophie und Religion ans das wirtschaftliche


Gwnzbolm II 1901 W
Friedrich List

damals hat List die ganze Entwicklung der Volkswirtschaft und des Verkehrs,
wie sie durch die Eisenbahn gestaltet worden ist, und wie sie heilte jedes Kind
kennt, auf das genauste vorausgesagt: daß Gebirge und Flachland ihre Er¬
zeugnisse austauschen, daß jetzt erst Landwirtschaft, Garten- und Weinbau
rentabel werden würden durch die Möglichkeit der Verwertung ihrer Erzeug¬
nisse; daß ein rationeller Betrieb der Landwirtschaft allgemein werden werde
durch den Bezug mineralischer Dnngmittel ans der Ferne, daß es keine Hungers¬
nöte mehr geben werde, daß das erleichterte Reisen ans dem Arbeitsmarkt
Angebot und Nachfrage ausgleichen werde und arme Landbevölkerungen den
Winter nicht mehr müßig durchzuhungern brnnchen würden, weil ihnen die
Industrie Beschäftigung darbieten werde; daß der Reiseverkehr unendlich steigen,
die Städte vergrößern und bereichern, die städtische Grundrente erhöhen werde,
und daß alle diese Vorteile keinem Lande in größerm Maße zu gute kommen
würden als Deutschland, einmal weil es ärmer an Wasserverbindungen sei als
seine westlichem nördlichen und südlichen Nachbarn, dann wegen seiner zentralen
Lage, die seinen Bädern, Residenzen, Kunststätten, Lehranstalten einen ge¬
waltigen Fremdenverkehr zuführen werde. Eben diese zentrale Lage werde in
Verbindung mit der hohen Bildung, geistigen Regsamkeit und Tüchtigkeit seines
Volks Deutschland zum Zentrum des geistigen Lebens von Europa machen,
und das werde sich unter anderm bei dem Besuche der Industrie- und Kunst-
auSstelluugeu, der Gelehrten- und Fachkongresse zeigen, die ohne Zweifel ver¬
anstaltet werden würden, (Als das List schrieb — er nennt alle die Jahres¬
versammlungen, die wir jetzt wirtlich haben —, gab es in Deutschland erst
einen Fachkongreß, den der Land- und Forstwirte, und noch gar leine Aus¬
stellungen,) lind er entwickelt die Bedeutung der Eisenbahnen für die
Landesverteidigung, für den Krieg, genan so, wie wir sie 1866 und 1870 sich
haben entfalten sehen. Auch in dieser Beziehung fand er nur bei wenigen
hohen Militärs in Berlin einiges Verständnis.

Also List hat in der That nicht bloß durch seiue Schlltzzolltheorie die
Nationalökonomik bereichert und vertieft; trotzdem thut man ihm geradezu un-
recht, wenn man ihn unter die gelehrten Nationalökonomen einreiht und seine
Größe und Bedeutung an denen mißt. Er war ein durchaus praktischer Mann,
ist niemals Theoretiker gewesen, hat es niemals sein wollen, und hat die
Theorie nnr gepflegt, so weit es seine praktischen Bestrebungen forderten.
Sogar sein „Nationales Shstem" ist im Grnnde genommen »ur eine Agitations¬
schrift zu dem Zwecke, den Zollverein zu Zollerhöhuugeu zu treiben. Er hatte
den unfehlbaren Blick des genialen Praktikers für das im Augenblick not¬
wendige und den ungestümen, »»bändigen Willen, das als notwendig erkannte
durchzusetzen. Dadurch ist er der volkswirtschaftliche Bismarck Deutschlands
geworden, ohne den der politische Bismarck kaum möglich gewesen wäre. Hätte
er nicht dnrch eine Agitation, die den Regierungen ein Greuel war und den
Besonnenen alles Maß zu übersteigen schien, die Deutschen aufgerüttelt, ihre
Blicke von der Litteratur, Philosophie und Religion ans das wirtschaftliche


Gwnzbolm II 1901 W
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[0497] Friedrich List damals hat List die ganze Entwicklung der Volkswirtschaft und des Verkehrs, wie sie durch die Eisenbahn gestaltet worden ist, und wie sie heilte jedes Kind kennt, auf das genauste vorausgesagt: daß Gebirge und Flachland ihre Er¬ zeugnisse austauschen, daß jetzt erst Landwirtschaft, Garten- und Weinbau rentabel werden würden durch die Möglichkeit der Verwertung ihrer Erzeug¬ nisse; daß ein rationeller Betrieb der Landwirtschaft allgemein werden werde durch den Bezug mineralischer Dnngmittel ans der Ferne, daß es keine Hungers¬ nöte mehr geben werde, daß das erleichterte Reisen ans dem Arbeitsmarkt Angebot und Nachfrage ausgleichen werde und arme Landbevölkerungen den Winter nicht mehr müßig durchzuhungern brnnchen würden, weil ihnen die Industrie Beschäftigung darbieten werde; daß der Reiseverkehr unendlich steigen, die Städte vergrößern und bereichern, die städtische Grundrente erhöhen werde, und daß alle diese Vorteile keinem Lande in größerm Maße zu gute kommen würden als Deutschland, einmal weil es ärmer an Wasserverbindungen sei als seine westlichem nördlichen und südlichen Nachbarn, dann wegen seiner zentralen Lage, die seinen Bädern, Residenzen, Kunststätten, Lehranstalten einen ge¬ waltigen Fremdenverkehr zuführen werde. Eben diese zentrale Lage werde in Verbindung mit der hohen Bildung, geistigen Regsamkeit und Tüchtigkeit seines Volks Deutschland zum Zentrum des geistigen Lebens von Europa machen, und das werde sich unter anderm bei dem Besuche der Industrie- und Kunst- auSstelluugeu, der Gelehrten- und Fachkongresse zeigen, die ohne Zweifel ver¬ anstaltet werden würden, (Als das List schrieb — er nennt alle die Jahres¬ versammlungen, die wir jetzt wirtlich haben —, gab es in Deutschland erst einen Fachkongreß, den der Land- und Forstwirte, und noch gar leine Aus¬ stellungen,) lind er entwickelt die Bedeutung der Eisenbahnen für die Landesverteidigung, für den Krieg, genan so, wie wir sie 1866 und 1870 sich haben entfalten sehen. Auch in dieser Beziehung fand er nur bei wenigen hohen Militärs in Berlin einiges Verständnis. Also List hat in der That nicht bloß durch seiue Schlltzzolltheorie die Nationalökonomik bereichert und vertieft; trotzdem thut man ihm geradezu un- recht, wenn man ihn unter die gelehrten Nationalökonomen einreiht und seine Größe und Bedeutung an denen mißt. Er war ein durchaus praktischer Mann, ist niemals Theoretiker gewesen, hat es niemals sein wollen, und hat die Theorie nnr gepflegt, so weit es seine praktischen Bestrebungen forderten. Sogar sein „Nationales Shstem" ist im Grnnde genommen »ur eine Agitations¬ schrift zu dem Zwecke, den Zollverein zu Zollerhöhuugeu zu treiben. Er hatte den unfehlbaren Blick des genialen Praktikers für das im Augenblick not¬ wendige und den ungestümen, »»bändigen Willen, das als notwendig erkannte durchzusetzen. Dadurch ist er der volkswirtschaftliche Bismarck Deutschlands geworden, ohne den der politische Bismarck kaum möglich gewesen wäre. Hätte er nicht dnrch eine Agitation, die den Regierungen ein Greuel war und den Besonnenen alles Maß zu übersteigen schien, die Deutschen aufgerüttelt, ihre Blicke von der Litteratur, Philosophie und Religion ans das wirtschaftliche Gwnzbolm II 1901 W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/497>, abgerufen am 24.08.2024.