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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich List

Industriearbeiter zum Hungertode verurteilen würden. Jeder Versuch, solche
Preise durch Schutzzölle zu erzwingen, muß natürlich scheitern, und es erscheint
deshalb nicht klug von der Negierung eines Industriestaats, wenn sie sich auf
solche Versuche einläßt.

Übrigens ist aber List seinem ursprünglichen Grundgedanken niemals ganz
untreu geworden, sondern er hat ihn nnr modifiziert. An die Stelle des un¬
mittelbare!? lokalen Nahverkehrs, den der alles umwälzenden Dampfkraft gegen¬
über aufrecht zu erhalten unmöglich schien, ist ihm der Inlandverkehr getreten:
der Ausgleich der Ungleichheiten und der Umtausch der Erzeugnisse der Pro¬
vinzen sowie der Industrie und der Landwirtschaft desselben Landes. Diesen
Inlandverkehr hat er, wie schon Adam Smith, bis zuletzt für weit fruchtreicher
erklärt als den Auslandhandel, und als Ideal stellt er nicht den reinen In-
dustriestaat oder Jndlistriehandelsstaat anf, sondern, bei seiner Terminologie zu
bleiben, den Agrikultur-Mannfaktnrhandelsstaat. Daß er England für einen
solchen ansieht, nud wie er sich die von ihm oft gepriesene Harmonie zwischen
Landwirtschaft und Gewerbe denkt, davon später. Aus seinem Verhältnis zu
England, das er als Ideal liebte nud als übermächtigen Konkurrenten Deutsch¬
lands haßte, erklären sich auch seine ungerechten und zum Teil irrtümlichen
Urteile über Adam Smith, Er bildete sich ein, der grundehrliche Smith habe
seine Freihandelstheorie nnr zu dem Zweck erfunden, zu dem sie allerdings
später von seinen Landsleuten gemißbraucht worden ist, nämlich die Festland¬
staaten von der Nachahmung der Schutzzollpolitik, womit England seinen
Handel übermächtig gemacht hat, abzuhalten; und da sich die Deutsche" that¬
sächlich durch die heuchlerische Freiheitspredigt der Engländer zu einer falsche"
Handelspolitik verführen ließen, so hielt sich List für verpflichtet, das Ansehen
des vermeintlichen Urhebers alles Unheils zu untergraben, und las und inter¬
pretierte ihn, das Gute und mit Lifts eignen Ansichten Übereinstimmende
übersehend, gerade so einseitig und vorurteilsvoll, wie die Smithianer zu thun
Pflegten,

Eugen Dühring rühmt sich, in den sechziger Jahren das Andenken des
schon ganz vergessenen Lifts wieder erweckt zu haben. Dieses Verdienst soll
ihm nicht bestritten werden; aber er hat es beinahe zu nichte gemacht durch
die Maßlosigkeit, mit der er List als den größten, ja als den einzigen deutschen
Nationalökonomien feiert (er läßt ttberhanpt in der ganzen Welt, außer sich
selbst, nur drei gelten: Adam Smith, List und Cnrey), alle andern deutschen
Nationnlökonomen aber, namentlich Röscher, als anmaßende Charlatane, hohl-
töpfige Zunftperücken lind wichtig thuende Notizenkrämer lächerlich macht.
Damit konnte er gegen List nur ungünstige Vorurteile erwecken und seine
Würdigung hindern oder wenigstens verzögern. Es ist wahr, List hat wich¬
tige uationalökononnsche Wahrheiten aufgedeckt und klar gemacht. Besonders
zwei. Einmal das Wesen und die Entstehungsweise des Kapitals; freilich
leider nur nebenbei in hente ganz unbekannten und beinahe unzugänglichen
Schriften, sodaß diese seiue Leistung theoretisch gar nicht gewirkt hat, wenn


Friedrich List

Industriearbeiter zum Hungertode verurteilen würden. Jeder Versuch, solche
Preise durch Schutzzölle zu erzwingen, muß natürlich scheitern, und es erscheint
deshalb nicht klug von der Negierung eines Industriestaats, wenn sie sich auf
solche Versuche einläßt.

Übrigens ist aber List seinem ursprünglichen Grundgedanken niemals ganz
untreu geworden, sondern er hat ihn nnr modifiziert. An die Stelle des un¬
mittelbare!? lokalen Nahverkehrs, den der alles umwälzenden Dampfkraft gegen¬
über aufrecht zu erhalten unmöglich schien, ist ihm der Inlandverkehr getreten:
der Ausgleich der Ungleichheiten und der Umtausch der Erzeugnisse der Pro¬
vinzen sowie der Industrie und der Landwirtschaft desselben Landes. Diesen
Inlandverkehr hat er, wie schon Adam Smith, bis zuletzt für weit fruchtreicher
erklärt als den Auslandhandel, und als Ideal stellt er nicht den reinen In-
dustriestaat oder Jndlistriehandelsstaat anf, sondern, bei seiner Terminologie zu
bleiben, den Agrikultur-Mannfaktnrhandelsstaat. Daß er England für einen
solchen ansieht, nud wie er sich die von ihm oft gepriesene Harmonie zwischen
Landwirtschaft und Gewerbe denkt, davon später. Aus seinem Verhältnis zu
England, das er als Ideal liebte nud als übermächtigen Konkurrenten Deutsch¬
lands haßte, erklären sich auch seine ungerechten und zum Teil irrtümlichen
Urteile über Adam Smith, Er bildete sich ein, der grundehrliche Smith habe
seine Freihandelstheorie nnr zu dem Zweck erfunden, zu dem sie allerdings
später von seinen Landsleuten gemißbraucht worden ist, nämlich die Festland¬
staaten von der Nachahmung der Schutzzollpolitik, womit England seinen
Handel übermächtig gemacht hat, abzuhalten; und da sich die Deutsche» that¬
sächlich durch die heuchlerische Freiheitspredigt der Engländer zu einer falsche«
Handelspolitik verführen ließen, so hielt sich List für verpflichtet, das Ansehen
des vermeintlichen Urhebers alles Unheils zu untergraben, und las und inter¬
pretierte ihn, das Gute und mit Lifts eignen Ansichten Übereinstimmende
übersehend, gerade so einseitig und vorurteilsvoll, wie die Smithianer zu thun
Pflegten,

Eugen Dühring rühmt sich, in den sechziger Jahren das Andenken des
schon ganz vergessenen Lifts wieder erweckt zu haben. Dieses Verdienst soll
ihm nicht bestritten werden; aber er hat es beinahe zu nichte gemacht durch
die Maßlosigkeit, mit der er List als den größten, ja als den einzigen deutschen
Nationalökonomien feiert (er läßt ttberhanpt in der ganzen Welt, außer sich
selbst, nur drei gelten: Adam Smith, List und Cnrey), alle andern deutschen
Nationnlökonomen aber, namentlich Röscher, als anmaßende Charlatane, hohl-
töpfige Zunftperücken lind wichtig thuende Notizenkrämer lächerlich macht.
Damit konnte er gegen List nur ungünstige Vorurteile erwecken und seine
Würdigung hindern oder wenigstens verzögern. Es ist wahr, List hat wich¬
tige uationalökononnsche Wahrheiten aufgedeckt und klar gemacht. Besonders
zwei. Einmal das Wesen und die Entstehungsweise des Kapitals; freilich
leider nur nebenbei in hente ganz unbekannten und beinahe unzugänglichen
Schriften, sodaß diese seiue Leistung theoretisch gar nicht gewirkt hat, wenn


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[0495] Friedrich List Industriearbeiter zum Hungertode verurteilen würden. Jeder Versuch, solche Preise durch Schutzzölle zu erzwingen, muß natürlich scheitern, und es erscheint deshalb nicht klug von der Negierung eines Industriestaats, wenn sie sich auf solche Versuche einläßt. Übrigens ist aber List seinem ursprünglichen Grundgedanken niemals ganz untreu geworden, sondern er hat ihn nnr modifiziert. An die Stelle des un¬ mittelbare!? lokalen Nahverkehrs, den der alles umwälzenden Dampfkraft gegen¬ über aufrecht zu erhalten unmöglich schien, ist ihm der Inlandverkehr getreten: der Ausgleich der Ungleichheiten und der Umtausch der Erzeugnisse der Pro¬ vinzen sowie der Industrie und der Landwirtschaft desselben Landes. Diesen Inlandverkehr hat er, wie schon Adam Smith, bis zuletzt für weit fruchtreicher erklärt als den Auslandhandel, und als Ideal stellt er nicht den reinen In- dustriestaat oder Jndlistriehandelsstaat anf, sondern, bei seiner Terminologie zu bleiben, den Agrikultur-Mannfaktnrhandelsstaat. Daß er England für einen solchen ansieht, nud wie er sich die von ihm oft gepriesene Harmonie zwischen Landwirtschaft und Gewerbe denkt, davon später. Aus seinem Verhältnis zu England, das er als Ideal liebte nud als übermächtigen Konkurrenten Deutsch¬ lands haßte, erklären sich auch seine ungerechten und zum Teil irrtümlichen Urteile über Adam Smith, Er bildete sich ein, der grundehrliche Smith habe seine Freihandelstheorie nnr zu dem Zweck erfunden, zu dem sie allerdings später von seinen Landsleuten gemißbraucht worden ist, nämlich die Festland¬ staaten von der Nachahmung der Schutzzollpolitik, womit England seinen Handel übermächtig gemacht hat, abzuhalten; und da sich die Deutsche» that¬ sächlich durch die heuchlerische Freiheitspredigt der Engländer zu einer falsche« Handelspolitik verführen ließen, so hielt sich List für verpflichtet, das Ansehen des vermeintlichen Urhebers alles Unheils zu untergraben, und las und inter¬ pretierte ihn, das Gute und mit Lifts eignen Ansichten Übereinstimmende übersehend, gerade so einseitig und vorurteilsvoll, wie die Smithianer zu thun Pflegten, Eugen Dühring rühmt sich, in den sechziger Jahren das Andenken des schon ganz vergessenen Lifts wieder erweckt zu haben. Dieses Verdienst soll ihm nicht bestritten werden; aber er hat es beinahe zu nichte gemacht durch die Maßlosigkeit, mit der er List als den größten, ja als den einzigen deutschen Nationalökonomien feiert (er läßt ttberhanpt in der ganzen Welt, außer sich selbst, nur drei gelten: Adam Smith, List und Cnrey), alle andern deutschen Nationnlökonomen aber, namentlich Röscher, als anmaßende Charlatane, hohl- töpfige Zunftperücken lind wichtig thuende Notizenkrämer lächerlich macht. Damit konnte er gegen List nur ungünstige Vorurteile erwecken und seine Würdigung hindern oder wenigstens verzögern. Es ist wahr, List hat wich¬ tige uationalökononnsche Wahrheiten aufgedeckt und klar gemacht. Besonders zwei. Einmal das Wesen und die Entstehungsweise des Kapitals; freilich leider nur nebenbei in hente ganz unbekannten und beinahe unzugänglichen Schriften, sodaß diese seiue Leistung theoretisch gar nicht gewirkt hat, wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/495>, abgerufen am 01.10.2024.