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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Die genossenschaftliche Areditorganisatwn i>l der Landwirtschaft

und dem Raiffeisenschen Verein ist der, das; der Schulzische ganz und gar
nach kaufmännischen Rücksichten verfährt und sich nnr wenig kehrt an das
sonstige Verhalten seiner Mitglieder, wenn sie nnr zahlungsfähig sind; während
der Nniffeisensche Verein ganz und gar die sittlichen Prinzipien zur Richtschnur
nimmt und niemals jemand zum Mitglied aufnimmt, den der Verein nicht
für ganz einwandfrei hält, mag er auch pekuniär noch so sicher gestellt sein.
Dieser Grundsatz, den Raisfeisen für seine Vereine als maßgebend aufstellt,
mag zumünden Kaufmann recht sonderbar vorkommen. Aber wir dürfen dabei
uicht vergessen, daß dieses moralische Prinzip, wenn es überhaupt durchgeführt
werde" soll, nur in diesen ländlichen Genossenschaften durchgeführt werden
kann. Diese winzigen .Kassenbetriebe in jedem Dorf, in jeder kleinen Land¬
stadt ermöglichen es dem Leiter und den Mitgliedern, sofort zu beurteilen, ob
sie diesen oder jenen von der Mitgliedschaft nnsschließen sollen oder nicht. Es
üben ans diese Weise die Darlehnsvereine eine Art Dorfjustiz, indem sie gewisse
Leute von der Mitgliedschaft und den wirtschaftlichen Wohlthaten des Vereins
ausschließen. Allerdings muß man zugeben, daß das Sittengericht der Raifs-
cisenkassen uicht für alle Teile Deutschlands gleichmäßig passen würde; ich er¬
innere nnr an Westfalen, das mit seinen zerstreuten Hosen äußerst ungeeignet
hierfür ist.

Die Organisation des Kredits ans genossenschaftlichent Wege ist bei weitem
leichter als die Organisation des Einkaufs und des Verkaufs oder gar der
Produktion. Deal während alle Bauern des Kredits in gleichem Maße be¬
dürfen, spielen bei den Bezugsgenossenschaftcn doch oft anch Sonderinteresscn
eine Rolle, und jeder Bauer möchte die Genossenschaft ans andre Weise ge¬
ordnet haben, sodaß oft durch diese Jnteressenkollision der geplante Verein
nicht zustande kommt. Der ungeheure Aufschwung des ländlichen Genossen-
schaftswesens erstreckt sich meist auf die Kreditgenossenschaften. Die Bildung von
Bezngsgenossenschaften ist weit langsamer fortgeschritten. Zum Teil ist der
Zweck der Konsumvereine sogar überflüssig geworden, und man hat deshalb
von Neugründungen Abstand genommen, so im Großherzogtnm Hessen, wo
die Konsumvereine einen solchen Druck auf die Händler übten, daß diese frei¬
willig bessere Bezugsbedingungen einräumten. Das Prodicktivgenosscnschafts-
wesen steckt noch ganz in den Anfangsstadien, wird aber unzweifelhaft im Laufe
des Jahrhunderts, gestützt auf eine erprobte Organisation, eine großartige Ent-
wicklung nehmen.

Den: Industriellen, dem Gewerbetreibenden steht der Kredit der Banken,
dem Großgrundbesitzer der Kredit der Landschaft zur Verfügung. Der Kleiu-
gruudbesitzer war bis vor nicht lauger Zeit von jedem Kredit eines soliden
Instituts ausgeschlossen, und er mußte bei Geldbedarf, wenn er nicht Kredit
bei reichen Bauern, anständigen städtischen Kapitalisten, bei Kirchen- und
Stiftungsverwaltungen fand, seine Zuflucht zu unsolider Spekulanten nehmen,
die seine Notlage auf das schamloseste ausbeuteten. Der kleine Ackerbauer
bekam keinen Kredit aus solider Hand, nicht weil er dessen nicht würdig ge-


Die genossenschaftliche Areditorganisatwn i>l der Landwirtschaft

und dem Raiffeisenschen Verein ist der, das; der Schulzische ganz und gar
nach kaufmännischen Rücksichten verfährt und sich nnr wenig kehrt an das
sonstige Verhalten seiner Mitglieder, wenn sie nnr zahlungsfähig sind; während
der Nniffeisensche Verein ganz und gar die sittlichen Prinzipien zur Richtschnur
nimmt und niemals jemand zum Mitglied aufnimmt, den der Verein nicht
für ganz einwandfrei hält, mag er auch pekuniär noch so sicher gestellt sein.
Dieser Grundsatz, den Raisfeisen für seine Vereine als maßgebend aufstellt,
mag zumünden Kaufmann recht sonderbar vorkommen. Aber wir dürfen dabei
uicht vergessen, daß dieses moralische Prinzip, wenn es überhaupt durchgeführt
werde» soll, nur in diesen ländlichen Genossenschaften durchgeführt werden
kann. Diese winzigen .Kassenbetriebe in jedem Dorf, in jeder kleinen Land¬
stadt ermöglichen es dem Leiter und den Mitgliedern, sofort zu beurteilen, ob
sie diesen oder jenen von der Mitgliedschaft nnsschließen sollen oder nicht. Es
üben ans diese Weise die Darlehnsvereine eine Art Dorfjustiz, indem sie gewisse
Leute von der Mitgliedschaft und den wirtschaftlichen Wohlthaten des Vereins
ausschließen. Allerdings muß man zugeben, daß das Sittengericht der Raifs-
cisenkassen uicht für alle Teile Deutschlands gleichmäßig passen würde; ich er¬
innere nnr an Westfalen, das mit seinen zerstreuten Hosen äußerst ungeeignet
hierfür ist.

Die Organisation des Kredits ans genossenschaftlichent Wege ist bei weitem
leichter als die Organisation des Einkaufs und des Verkaufs oder gar der
Produktion. Deal während alle Bauern des Kredits in gleichem Maße be¬
dürfen, spielen bei den Bezugsgenossenschaftcn doch oft anch Sonderinteresscn
eine Rolle, und jeder Bauer möchte die Genossenschaft ans andre Weise ge¬
ordnet haben, sodaß oft durch diese Jnteressenkollision der geplante Verein
nicht zustande kommt. Der ungeheure Aufschwung des ländlichen Genossen-
schaftswesens erstreckt sich meist auf die Kreditgenossenschaften. Die Bildung von
Bezngsgenossenschaften ist weit langsamer fortgeschritten. Zum Teil ist der
Zweck der Konsumvereine sogar überflüssig geworden, und man hat deshalb
von Neugründungen Abstand genommen, so im Großherzogtnm Hessen, wo
die Konsumvereine einen solchen Druck auf die Händler übten, daß diese frei¬
willig bessere Bezugsbedingungen einräumten. Das Prodicktivgenosscnschafts-
wesen steckt noch ganz in den Anfangsstadien, wird aber unzweifelhaft im Laufe
des Jahrhunderts, gestützt auf eine erprobte Organisation, eine großartige Ent-
wicklung nehmen.

Den: Industriellen, dem Gewerbetreibenden steht der Kredit der Banken,
dem Großgrundbesitzer der Kredit der Landschaft zur Verfügung. Der Kleiu-
gruudbesitzer war bis vor nicht lauger Zeit von jedem Kredit eines soliden
Instituts ausgeschlossen, und er mußte bei Geldbedarf, wenn er nicht Kredit
bei reichen Bauern, anständigen städtischen Kapitalisten, bei Kirchen- und
Stiftungsverwaltungen fand, seine Zuflucht zu unsolider Spekulanten nehmen,
die seine Notlage auf das schamloseste ausbeuteten. Der kleine Ackerbauer
bekam keinen Kredit aus solider Hand, nicht weil er dessen nicht würdig ge-


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[0446] Die genossenschaftliche Areditorganisatwn i>l der Landwirtschaft und dem Raiffeisenschen Verein ist der, das; der Schulzische ganz und gar nach kaufmännischen Rücksichten verfährt und sich nnr wenig kehrt an das sonstige Verhalten seiner Mitglieder, wenn sie nnr zahlungsfähig sind; während der Nniffeisensche Verein ganz und gar die sittlichen Prinzipien zur Richtschnur nimmt und niemals jemand zum Mitglied aufnimmt, den der Verein nicht für ganz einwandfrei hält, mag er auch pekuniär noch so sicher gestellt sein. Dieser Grundsatz, den Raisfeisen für seine Vereine als maßgebend aufstellt, mag zumünden Kaufmann recht sonderbar vorkommen. Aber wir dürfen dabei uicht vergessen, daß dieses moralische Prinzip, wenn es überhaupt durchgeführt werde» soll, nur in diesen ländlichen Genossenschaften durchgeführt werden kann. Diese winzigen .Kassenbetriebe in jedem Dorf, in jeder kleinen Land¬ stadt ermöglichen es dem Leiter und den Mitgliedern, sofort zu beurteilen, ob sie diesen oder jenen von der Mitgliedschaft nnsschließen sollen oder nicht. Es üben ans diese Weise die Darlehnsvereine eine Art Dorfjustiz, indem sie gewisse Leute von der Mitgliedschaft und den wirtschaftlichen Wohlthaten des Vereins ausschließen. Allerdings muß man zugeben, daß das Sittengericht der Raifs- cisenkassen uicht für alle Teile Deutschlands gleichmäßig passen würde; ich er¬ innere nnr an Westfalen, das mit seinen zerstreuten Hosen äußerst ungeeignet hierfür ist. Die Organisation des Kredits ans genossenschaftlichent Wege ist bei weitem leichter als die Organisation des Einkaufs und des Verkaufs oder gar der Produktion. Deal während alle Bauern des Kredits in gleichem Maße be¬ dürfen, spielen bei den Bezugsgenossenschaftcn doch oft anch Sonderinteresscn eine Rolle, und jeder Bauer möchte die Genossenschaft ans andre Weise ge¬ ordnet haben, sodaß oft durch diese Jnteressenkollision der geplante Verein nicht zustande kommt. Der ungeheure Aufschwung des ländlichen Genossen- schaftswesens erstreckt sich meist auf die Kreditgenossenschaften. Die Bildung von Bezngsgenossenschaften ist weit langsamer fortgeschritten. Zum Teil ist der Zweck der Konsumvereine sogar überflüssig geworden, und man hat deshalb von Neugründungen Abstand genommen, so im Großherzogtnm Hessen, wo die Konsumvereine einen solchen Druck auf die Händler übten, daß diese frei¬ willig bessere Bezugsbedingungen einräumten. Das Prodicktivgenosscnschafts- wesen steckt noch ganz in den Anfangsstadien, wird aber unzweifelhaft im Laufe des Jahrhunderts, gestützt auf eine erprobte Organisation, eine großartige Ent- wicklung nehmen. Den: Industriellen, dem Gewerbetreibenden steht der Kredit der Banken, dem Großgrundbesitzer der Kredit der Landschaft zur Verfügung. Der Kleiu- gruudbesitzer war bis vor nicht lauger Zeit von jedem Kredit eines soliden Instituts ausgeschlossen, und er mußte bei Geldbedarf, wenn er nicht Kredit bei reichen Bauern, anständigen städtischen Kapitalisten, bei Kirchen- und Stiftungsverwaltungen fand, seine Zuflucht zu unsolider Spekulanten nehmen, die seine Notlage auf das schamloseste ausbeuteten. Der kleine Ackerbauer bekam keinen Kredit aus solider Hand, nicht weil er dessen nicht würdig ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/446>, abgerufen am 22.07.2024.