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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Lin Notschrei aus Bosnien und der Herzegowina

licher Weise durch die Klagesucht der Bevölkerung in Anspruch genommen
war, die dann folgerichtig bei manchen seiner Beamten ein rauhes und brutales
Benehmen erzeugen mußte, so kann man die Treue, mit der Herzog Wilhelm
aushielt, uur bewundern.

Schon im Dezember 1879 hatte der Herzog den drohenden Aufstand
vorausgesagt. Das fiskalische Borgehu der dem Einfluß des Herzogs fast
gänzlich entzognen, ja später ihm programmmäßig entgegengesetzten Landes-
finanzdirektion, Mißgriffe einzelner untergeordneter Organe, vor allem aber die
Schwäche des Ministeriums, jede Klage und Beschwerde durch eine kleine Kon¬
zession zu beruhigen, nährte die Unzufriedenheit. Wollte der Herzog nicht
schließlich die Verantwortung für die vou ihm bekämpfte Mißregiernng des
Landes mitübernehmen, so blieb ihm nichts übrig als zu gehn. An die Stelle des
Baron Hofmann, der den Herzog verehrte und ihn der nachdrücklichsten Unter¬
stützung versichert hatte, war 1880 der Ungar Joseph Slavy als Neichsfinanz-
minister getreten, und das Verhältnis des Herzogs zu diesem war keineswegs
günstig. Zu diesen persönlichen Verstimmungen kam aber und gab den Ausschlag,
daß der traurige Grundsatz der möglichsten Selbsterhaltung des Landes in Wien
siegte und im Budget von 1881 Anerkennung fand. Wenn Trenber sagt, der
Herzog sei unter diesen Umständen zu der Überzeugung gekommen, daß er gegen
eine Strömung nicht auszukommen vermöge, die die Erfüllung der durch die
Regierung gestellten Fordrungen mit den verfügbaren bescheidnen Mitteln von
einem besonders geschäftskundigen Manne modernster Schule, der frei von allen
Bedenken die Kunst der Bndgetregierung und der politischen miss la sehne
beherrscht, zu erwarten schien, so wird der kurze Sinn dieses etwas gewundne"
Ausdrucks sein: Der gescheite und grundehrliche Mann wollte sich nicht zu dem
einfältigen Schwindel hergeben, den man den österreichisch-ungarischen Parla¬
menten und der Welt vorzumachen gedachte, als habe mau über Nacht und
kostenlos die in Bosnien und der Herzegowina übernommne schwere Aufgabe
gelöst.

Damit man sich, wenigstens nach dem vorauszusehenden Krach einer
solchen miscz "zu soöns, der bleibenden Aufgaben im Okkupationsgebiet ent¬
sinnen könne, reichte der Herzog vor seinein Rücktritt eine Denkschrift ein; von
ihr sagt Treuber, auf dessen Angaben sich diese Ausführungen in weitem Um¬
fange wörtlich stützen: "Heutzutage haben die Ratschläge des Herzogs die Zu¬
stimmung aller Kenner böhmischer Verhältnisse erlangt." In dieser Denkschrift
verlangt er eine Regelung des Steuerwesens mehr nach nationalökonomischen als
nach deu allerdings bequemern fiskalischen Grundsätzen. Vor allem aber fordert
er die Schaffung eines freien Bauernstandes unter Wahrung der gerechten An¬
sprüche beider Parteien, des muhammedanischen Grundherrn wie des christlichen
Kneten (Pächters). Er warnt vor den politischen Gefahren eines laissör Wrg
auf dem Gebiete des Volksunterrichts, das bei dem Maugel an Interesse bei den
Muhammedanern nnr das orthodoxe Element fördern und in wenig Jahren
Z"r absolutem Herrschaft des serbischen Elements führen winde; dem entgegen


Lin Notschrei aus Bosnien und der Herzegowina

licher Weise durch die Klagesucht der Bevölkerung in Anspruch genommen
war, die dann folgerichtig bei manchen seiner Beamten ein rauhes und brutales
Benehmen erzeugen mußte, so kann man die Treue, mit der Herzog Wilhelm
aushielt, uur bewundern.

Schon im Dezember 1879 hatte der Herzog den drohenden Aufstand
vorausgesagt. Das fiskalische Borgehu der dem Einfluß des Herzogs fast
gänzlich entzognen, ja später ihm programmmäßig entgegengesetzten Landes-
finanzdirektion, Mißgriffe einzelner untergeordneter Organe, vor allem aber die
Schwäche des Ministeriums, jede Klage und Beschwerde durch eine kleine Kon¬
zession zu beruhigen, nährte die Unzufriedenheit. Wollte der Herzog nicht
schließlich die Verantwortung für die vou ihm bekämpfte Mißregiernng des
Landes mitübernehmen, so blieb ihm nichts übrig als zu gehn. An die Stelle des
Baron Hofmann, der den Herzog verehrte und ihn der nachdrücklichsten Unter¬
stützung versichert hatte, war 1880 der Ungar Joseph Slavy als Neichsfinanz-
minister getreten, und das Verhältnis des Herzogs zu diesem war keineswegs
günstig. Zu diesen persönlichen Verstimmungen kam aber und gab den Ausschlag,
daß der traurige Grundsatz der möglichsten Selbsterhaltung des Landes in Wien
siegte und im Budget von 1881 Anerkennung fand. Wenn Trenber sagt, der
Herzog sei unter diesen Umständen zu der Überzeugung gekommen, daß er gegen
eine Strömung nicht auszukommen vermöge, die die Erfüllung der durch die
Regierung gestellten Fordrungen mit den verfügbaren bescheidnen Mitteln von
einem besonders geschäftskundigen Manne modernster Schule, der frei von allen
Bedenken die Kunst der Bndgetregierung und der politischen miss la sehne
beherrscht, zu erwarten schien, so wird der kurze Sinn dieses etwas gewundne»
Ausdrucks sein: Der gescheite und grundehrliche Mann wollte sich nicht zu dem
einfältigen Schwindel hergeben, den man den österreichisch-ungarischen Parla¬
menten und der Welt vorzumachen gedachte, als habe mau über Nacht und
kostenlos die in Bosnien und der Herzegowina übernommne schwere Aufgabe
gelöst.

Damit man sich, wenigstens nach dem vorauszusehenden Krach einer
solchen miscz «zu soöns, der bleibenden Aufgaben im Okkupationsgebiet ent¬
sinnen könne, reichte der Herzog vor seinein Rücktritt eine Denkschrift ein; von
ihr sagt Treuber, auf dessen Angaben sich diese Ausführungen in weitem Um¬
fange wörtlich stützen: „Heutzutage haben die Ratschläge des Herzogs die Zu¬
stimmung aller Kenner böhmischer Verhältnisse erlangt." In dieser Denkschrift
verlangt er eine Regelung des Steuerwesens mehr nach nationalökonomischen als
nach deu allerdings bequemern fiskalischen Grundsätzen. Vor allem aber fordert
er die Schaffung eines freien Bauernstandes unter Wahrung der gerechten An¬
sprüche beider Parteien, des muhammedanischen Grundherrn wie des christlichen
Kneten (Pächters). Er warnt vor den politischen Gefahren eines laissör Wrg
auf dem Gebiete des Volksunterrichts, das bei dem Maugel an Interesse bei den
Muhammedanern nnr das orthodoxe Element fördern und in wenig Jahren
Z»r absolutem Herrschaft des serbischen Elements führen winde; dem entgegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/399>, abgerufen am 22.07.2024.