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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Lin Notschrei aus Bosnien und der Herzegowina

finanziellen Mittel ungenügend waren, sondern es auch an der erforderlichen
Zahl und Tüchtigkeit des Beamtenpersonals fehlte. Was Trenbcr hierüber
veröffentlicht, ist deshalb vom größten Interesse, weil es nicht mir das Scheitern
Herzog Wilhelms in den Okkupationsgebieten und die nicht völlig befriedigenden
Ergebnisse der österreichischen Verwaltung in diesen erklärt, sondern weil es
einen Einblick gewährt in die Gründe der Verwirrung und des Niedergangs im
heutigen Österreich überhaupt. Neben den Weisungen seiner hinlänglich zahl¬
reichen unmittelbar und mittelbar vorgesetzten Behörden empfing er noch von
besondrer Stelle Direktiven, offenbar vom Kaiser selbst. Diese Direktiven trafen
nun zwar nicht nur mit seinen eignen Anschauungen zusammen, souderu trugen
auch der Sachlage am besten Rechnung, entsprachen aber durchaus nicht immer
den Ansichten seines vorgesetzten Ministeriums. Neben rückhaltloser Anerkennung
des Geleisteten durch den Monarchen enthalten diese Briefe positive Ratschläge
und Hinweise auf besondre Wünsche, aber oft mit dem einschränkenden Vermerk,
davon nach keiner Richtung Gebrauch zu machen, da man in gewissen Ämtern
andrer Allsicht sei, weshalb eine Durchkreuzung des Gewünschten zu fürchten
wäre. Dazu kam dann noch die auffallende Verschiedenheit der Ansichten bei
der österreichische" und der ungarischen Regierung über einzelne sehr wesent¬
liche Einrichtungen im Okkupationsgebiete, wie Eisenbahnen, Schulen usw.
Der Herzog mußte angesichts dieser divergierenden Anschauungen und Stand¬
punkte zu dem Glauben gelangen, daß man an der Zentralstelle selbst kein
feststehendes Prinzip, kein klares Ziel habe.

Man sieht, ganz abgesehen von den Reibungen zwischen Militär- und
Zivilbehörden, einen verwickelten, reibungsreichen Verwaltungskörper, dabei
ein an Zahl und Güte unzulängliches Ausführungspersonal, und zu cilledcm
noch den schroffen Gegensatz zwischen den ungarischen und den österreichischen
Interessen und Ansichten, der einen unwillkürlich an die Karikatur von 1848
erinnert, die die Germania unter dem Doppeladler in Verzweiflung auf einem
Wagen darstellt, an dem vorn und hinten Pferde nach beiden Seiten hin aus
Leibeskräften ziehn. Kaum irgendwo aber wird man das Bild des Kaisers
so deutlich gezeichnet finden wie hier, wo er sich voll Verstand zeigt in der
Beurteilung dieser so ganz besonders schwierigen Angelegenheit, während ihm
zugleich einerseits die Macht oder die Entschiedenheit fehlt, sein besseres Wissen
in die That umzusetzen, andrerseits die Entsagungsfühigkeit, sich des Drein-
sprechens und einer uuter alleu Umstände" am meisten verderblichen Neben¬
regierung zu enthalten. Sollte dies nicht den Schlüssel in die Hand geben
zum Verständnis der unglückseligen Lage überhaupt, in der Osterreich heute ist?

Rechnet man dazu, in welchem Umfang Herzog Wilhelm mit religiösen,
politischen und nationalen Vorurteilen, mit Selbstsucht und Protektioussucht
kämpfen mußte, wie oft der dem Soldaten gegenüber hervortretende büreau¬
kratische Unfehlbarkeitsdünkel Verlegenheiten bereitete, zieht man noch das
Intriguen- und Denunziautentum, unvermeidliche Chnrakteriftika jeder Ver¬
waltung im Orient, in Betracht und bedenkt man, daß er in ganz unglaub-


Lin Notschrei aus Bosnien und der Herzegowina

finanziellen Mittel ungenügend waren, sondern es auch an der erforderlichen
Zahl und Tüchtigkeit des Beamtenpersonals fehlte. Was Trenbcr hierüber
veröffentlicht, ist deshalb vom größten Interesse, weil es nicht mir das Scheitern
Herzog Wilhelms in den Okkupationsgebieten und die nicht völlig befriedigenden
Ergebnisse der österreichischen Verwaltung in diesen erklärt, sondern weil es
einen Einblick gewährt in die Gründe der Verwirrung und des Niedergangs im
heutigen Österreich überhaupt. Neben den Weisungen seiner hinlänglich zahl¬
reichen unmittelbar und mittelbar vorgesetzten Behörden empfing er noch von
besondrer Stelle Direktiven, offenbar vom Kaiser selbst. Diese Direktiven trafen
nun zwar nicht nur mit seinen eignen Anschauungen zusammen, souderu trugen
auch der Sachlage am besten Rechnung, entsprachen aber durchaus nicht immer
den Ansichten seines vorgesetzten Ministeriums. Neben rückhaltloser Anerkennung
des Geleisteten durch den Monarchen enthalten diese Briefe positive Ratschläge
und Hinweise auf besondre Wünsche, aber oft mit dem einschränkenden Vermerk,
davon nach keiner Richtung Gebrauch zu machen, da man in gewissen Ämtern
andrer Allsicht sei, weshalb eine Durchkreuzung des Gewünschten zu fürchten
wäre. Dazu kam dann noch die auffallende Verschiedenheit der Ansichten bei
der österreichische» und der ungarischen Regierung über einzelne sehr wesent¬
liche Einrichtungen im Okkupationsgebiete, wie Eisenbahnen, Schulen usw.
Der Herzog mußte angesichts dieser divergierenden Anschauungen und Stand¬
punkte zu dem Glauben gelangen, daß man an der Zentralstelle selbst kein
feststehendes Prinzip, kein klares Ziel habe.

Man sieht, ganz abgesehen von den Reibungen zwischen Militär- und
Zivilbehörden, einen verwickelten, reibungsreichen Verwaltungskörper, dabei
ein an Zahl und Güte unzulängliches Ausführungspersonal, und zu cilledcm
noch den schroffen Gegensatz zwischen den ungarischen und den österreichischen
Interessen und Ansichten, der einen unwillkürlich an die Karikatur von 1848
erinnert, die die Germania unter dem Doppeladler in Verzweiflung auf einem
Wagen darstellt, an dem vorn und hinten Pferde nach beiden Seiten hin aus
Leibeskräften ziehn. Kaum irgendwo aber wird man das Bild des Kaisers
so deutlich gezeichnet finden wie hier, wo er sich voll Verstand zeigt in der
Beurteilung dieser so ganz besonders schwierigen Angelegenheit, während ihm
zugleich einerseits die Macht oder die Entschiedenheit fehlt, sein besseres Wissen
in die That umzusetzen, andrerseits die Entsagungsfühigkeit, sich des Drein-
sprechens und einer uuter alleu Umstände» am meisten verderblichen Neben¬
regierung zu enthalten. Sollte dies nicht den Schlüssel in die Hand geben
zum Verständnis der unglückseligen Lage überhaupt, in der Osterreich heute ist?

Rechnet man dazu, in welchem Umfang Herzog Wilhelm mit religiösen,
politischen und nationalen Vorurteilen, mit Selbstsucht und Protektioussucht
kämpfen mußte, wie oft der dem Soldaten gegenüber hervortretende büreau¬
kratische Unfehlbarkeitsdünkel Verlegenheiten bereitete, zieht man noch das
Intriguen- und Denunziautentum, unvermeidliche Chnrakteriftika jeder Ver¬
waltung im Orient, in Betracht und bedenkt man, daß er in ganz unglaub-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/398>, abgerufen am 24.08.2024.