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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Ein Notschrei aus Bosnien und der Herzegowina

dauern wurde zwar unter türkischer Herrschaft zeitweise zurückgedrängt durch
eine milde und nachsichtige türkische Proviuzialregieruug und durch die patriar¬
chalischen Sitten, die nicht nur unter der Naja, sondern auch zwischen dieser
und den muhnmmcdanischen Gutsherren walteten, führte aber dazwischcuhiueiu
immer wieder zu blutigen Aufstünden und Kämpfen in dieser am weitesten
zwischen Länder einer mehr fortgeschrittncu Wirtschaftsvcrfassuug hinaus vor¬
geschobnen türkischen Provinz; zuletzt zu den schweren Aufständen, die seit 1875
in diesen Landen wüteten und im Bunde mit den bulgarischen Metzeleien zu
den Kriegen Serbiens, dann Rußlands und Rumäniens gegen die Türkei 1876
bis 1878 führten.

Der unmittelbare Erfolg dieses Kriegs war für Rußland der, daß es sich
südöstlich wieder bis an die Donau vorschob und hier das im Krimkrieg Ver¬
lorne Land wieder gewann; der mittelbare aber, und uoch viel bedeutendere,
war, daß die südslawische Bevölkerung der Balkanhalbinsel wieder ihr ganzes
Vertrauen auf den rassen- und religionsverwandten Zarenstant im Osten setzte.
Ganz abgesehen davon, daß Osterreich nun durch die rumänisch-russisch-bul¬
garische Barre der Ausweg nach dem Schwarzen Meer endgiltig versperrt
war und nur noch die eine Aussicht blieb, bei einem etwaigen Verfall der
Türkei über Saloniki ans Meer gelangen zu können, mußte Österreich im Hin¬
blick uns diese Stimmung in der Balkanhalbinsel ein Gegengewicht suchen gegen
das Überwiegen Rußlands. Dieses suchte und fand Andrassy auf dem Berliner
Kongreß, von Bismarck kräftig unterstützt, in einer Besetzung von Bosnien
und der Herzegowina, auf deren Gewinnung schon Radetzky und Tegetthoff
hingewiesen hatten, indem sie es für unmöglich erklärten, das schmale Dal-
matien auf die Dauer zu halten, wenn nicht dessen Hinterland in Österreichs
Hände komme. Den Rechtsgrund aber für das europäische Mandat zur Be¬
setzung von Bosnien und der Herzegowina, das Österreich erteilt wurde, gaben
die vielfachen laugen Unruhen hier, die für den benachbarten Kaiserstaat
namentlich auch dadurch empfindlich waren, daß z. B. 1878 nicht weniger als
150000 Flüchtlinge aus deu Aufstandsgebieten von ihm erhalten werden
mußten.

Daß min Österreich mit der Übernahme dieses Maubads die Verpflichtung
mit übernommen habe, much die Quelle dieser Unruhen zu verstopfen und die
überlebte Baucruhörigkeit auch hier abzuschaffen, kann kaum bestritten werden.
Dazu kommt aber das weitere, daß es auch sehr im politischen Interesse Öster¬
reichs gewesen wäre, wenn es, und zwar in kürzester Frist, in den von ihm besetzten
Gebieten Zustände geschaffen hätte, auf die die in weit überwiegender Zahl
bäuerlichen Bewohner der Balkanhalbinsel mit Bewundrung und Neid hätten
sehen können. Ein solches Imponderabile wäre für die Zukunft von Öster¬
reichs Orientpolitik von weit größerer Bedeutung gewesen als jede positive
Machtstellung und Erhöhung seiner eignen Angriffsfähigkeit, und uach Er-
reichung oder auch nur Anbahnung dieses Erfolgs Hütte kaum das Urteil mehr
ausgesprochen werden können, zu dein sich Adolf Beer 1883 in seinein Werke


Ein Notschrei aus Bosnien und der Herzegowina

dauern wurde zwar unter türkischer Herrschaft zeitweise zurückgedrängt durch
eine milde und nachsichtige türkische Proviuzialregieruug und durch die patriar¬
chalischen Sitten, die nicht nur unter der Naja, sondern auch zwischen dieser
und den muhnmmcdanischen Gutsherren walteten, führte aber dazwischcuhiueiu
immer wieder zu blutigen Aufstünden und Kämpfen in dieser am weitesten
zwischen Länder einer mehr fortgeschrittncu Wirtschaftsvcrfassuug hinaus vor¬
geschobnen türkischen Provinz; zuletzt zu den schweren Aufständen, die seit 1875
in diesen Landen wüteten und im Bunde mit den bulgarischen Metzeleien zu
den Kriegen Serbiens, dann Rußlands und Rumäniens gegen die Türkei 1876
bis 1878 führten.

Der unmittelbare Erfolg dieses Kriegs war für Rußland der, daß es sich
südöstlich wieder bis an die Donau vorschob und hier das im Krimkrieg Ver¬
lorne Land wieder gewann; der mittelbare aber, und uoch viel bedeutendere,
war, daß die südslawische Bevölkerung der Balkanhalbinsel wieder ihr ganzes
Vertrauen auf den rassen- und religionsverwandten Zarenstant im Osten setzte.
Ganz abgesehen davon, daß Osterreich nun durch die rumänisch-russisch-bul¬
garische Barre der Ausweg nach dem Schwarzen Meer endgiltig versperrt
war und nur noch die eine Aussicht blieb, bei einem etwaigen Verfall der
Türkei über Saloniki ans Meer gelangen zu können, mußte Österreich im Hin¬
blick uns diese Stimmung in der Balkanhalbinsel ein Gegengewicht suchen gegen
das Überwiegen Rußlands. Dieses suchte und fand Andrassy auf dem Berliner
Kongreß, von Bismarck kräftig unterstützt, in einer Besetzung von Bosnien
und der Herzegowina, auf deren Gewinnung schon Radetzky und Tegetthoff
hingewiesen hatten, indem sie es für unmöglich erklärten, das schmale Dal-
matien auf die Dauer zu halten, wenn nicht dessen Hinterland in Österreichs
Hände komme. Den Rechtsgrund aber für das europäische Mandat zur Be¬
setzung von Bosnien und der Herzegowina, das Österreich erteilt wurde, gaben
die vielfachen laugen Unruhen hier, die für den benachbarten Kaiserstaat
namentlich auch dadurch empfindlich waren, daß z. B. 1878 nicht weniger als
150000 Flüchtlinge aus deu Aufstandsgebieten von ihm erhalten werden
mußten.

Daß min Österreich mit der Übernahme dieses Maubads die Verpflichtung
mit übernommen habe, much die Quelle dieser Unruhen zu verstopfen und die
überlebte Baucruhörigkeit auch hier abzuschaffen, kann kaum bestritten werden.
Dazu kommt aber das weitere, daß es auch sehr im politischen Interesse Öster¬
reichs gewesen wäre, wenn es, und zwar in kürzester Frist, in den von ihm besetzten
Gebieten Zustände geschaffen hätte, auf die die in weit überwiegender Zahl
bäuerlichen Bewohner der Balkanhalbinsel mit Bewundrung und Neid hätten
sehen können. Ein solches Imponderabile wäre für die Zukunft von Öster¬
reichs Orientpolitik von weit größerer Bedeutung gewesen als jede positive
Machtstellung und Erhöhung seiner eignen Angriffsfähigkeit, und uach Er-
reichung oder auch nur Anbahnung dieses Erfolgs Hütte kaum das Urteil mehr
ausgesprochen werden können, zu dein sich Adolf Beer 1883 in seinein Werke


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[0395] Ein Notschrei aus Bosnien und der Herzegowina dauern wurde zwar unter türkischer Herrschaft zeitweise zurückgedrängt durch eine milde und nachsichtige türkische Proviuzialregieruug und durch die patriar¬ chalischen Sitten, die nicht nur unter der Naja, sondern auch zwischen dieser und den muhnmmcdanischen Gutsherren walteten, führte aber dazwischcuhiueiu immer wieder zu blutigen Aufstünden und Kämpfen in dieser am weitesten zwischen Länder einer mehr fortgeschrittncu Wirtschaftsvcrfassuug hinaus vor¬ geschobnen türkischen Provinz; zuletzt zu den schweren Aufständen, die seit 1875 in diesen Landen wüteten und im Bunde mit den bulgarischen Metzeleien zu den Kriegen Serbiens, dann Rußlands und Rumäniens gegen die Türkei 1876 bis 1878 führten. Der unmittelbare Erfolg dieses Kriegs war für Rußland der, daß es sich südöstlich wieder bis an die Donau vorschob und hier das im Krimkrieg Ver¬ lorne Land wieder gewann; der mittelbare aber, und uoch viel bedeutendere, war, daß die südslawische Bevölkerung der Balkanhalbinsel wieder ihr ganzes Vertrauen auf den rassen- und religionsverwandten Zarenstant im Osten setzte. Ganz abgesehen davon, daß Osterreich nun durch die rumänisch-russisch-bul¬ garische Barre der Ausweg nach dem Schwarzen Meer endgiltig versperrt war und nur noch die eine Aussicht blieb, bei einem etwaigen Verfall der Türkei über Saloniki ans Meer gelangen zu können, mußte Österreich im Hin¬ blick uns diese Stimmung in der Balkanhalbinsel ein Gegengewicht suchen gegen das Überwiegen Rußlands. Dieses suchte und fand Andrassy auf dem Berliner Kongreß, von Bismarck kräftig unterstützt, in einer Besetzung von Bosnien und der Herzegowina, auf deren Gewinnung schon Radetzky und Tegetthoff hingewiesen hatten, indem sie es für unmöglich erklärten, das schmale Dal- matien auf die Dauer zu halten, wenn nicht dessen Hinterland in Österreichs Hände komme. Den Rechtsgrund aber für das europäische Mandat zur Be¬ setzung von Bosnien und der Herzegowina, das Österreich erteilt wurde, gaben die vielfachen laugen Unruhen hier, die für den benachbarten Kaiserstaat namentlich auch dadurch empfindlich waren, daß z. B. 1878 nicht weniger als 150000 Flüchtlinge aus deu Aufstandsgebieten von ihm erhalten werden mußten. Daß min Österreich mit der Übernahme dieses Maubads die Verpflichtung mit übernommen habe, much die Quelle dieser Unruhen zu verstopfen und die überlebte Baucruhörigkeit auch hier abzuschaffen, kann kaum bestritten werden. Dazu kommt aber das weitere, daß es auch sehr im politischen Interesse Öster¬ reichs gewesen wäre, wenn es, und zwar in kürzester Frist, in den von ihm besetzten Gebieten Zustände geschaffen hätte, auf die die in weit überwiegender Zahl bäuerlichen Bewohner der Balkanhalbinsel mit Bewundrung und Neid hätten sehen können. Ein solches Imponderabile wäre für die Zukunft von Öster¬ reichs Orientpolitik von weit größerer Bedeutung gewesen als jede positive Machtstellung und Erhöhung seiner eignen Angriffsfähigkeit, und uach Er- reichung oder auch nur Anbahnung dieses Erfolgs Hütte kaum das Urteil mehr ausgesprochen werden können, zu dein sich Adolf Beer 1883 in seinein Werke

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/395>, abgerufen am 22.07.2024.