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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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einem eingehenden Studium unterworfen, so wäre er in der Lage gewesen, eine
wertvolle und dabei seinen Österreich feindlichen Bestrebungen sehr viel mehr
dienliche Arbeit zu liefern.

Statt dessen giebt er auf Seite 1 bis 24 seines Buchs den Abdruck von
Artikel 25 des Berliner Kongresses und der sich anschließenden Konvention
zwischen Österreich-Ungarn und der Türkei, sowie der österreichisch-ungarischen
Proklamation beim Einmarsch in Bosnien mit einigen oberflächlichen Rand¬
bemerkungen und bespricht Seite 25 bis 150 unter einer Flut von Anschuldi-
gungen gegen den Reichsfinanzminister von Knllay und Seitenlängen, balknn-
bündlerischen und scrbophileu Drohungen gegen den Kaiserstaat "die Agrar¬
frage" und "die landwirtschaftlichen Institutionen der neuen Verwaltung,"
ohne etwas wesentlich andres zu bringen, als was die im Anhang Seite 151
bis 171 veröffentlichte Bittschrift böhmischer Bauern um den Kaiser vom
20. April 1897 schon enthält. Von der Bittschrift unterscheiden sich Nika¬
schinowitsch eus Ausführungen nur durch ihre uoch handgreiflichem Über¬
treibungen; so wenn er (S. 75) den Zustand unter türkischer Herrschaft als
ideal gegenüber dem unter österreichischer darstellt. Wer Karl Brauns türkische
Reise (Stuttgart, 1876 bis 1878) gelesen hat, weiß, was man davon halten
muß, noch mehr weiß das, wer in der Türkei gelebt hat. Wenn Nikaschinowitsch
(S. 67 ff.) herausrechnet, der böhmische Bauer müßte selbst in Normaljahreu
nicht nur seine ganze Ernte drangeben, sondern alljährlich noch einen Teil
seines Viehs veräußern, nnr um seine Steuern und Abgaben zu bezahle", so
muß man doch sagen, einen solchen jährlichen Ruin hätte das Land nicht
zwanzig Jahre lang aushalten können.

Wenn hier an das Buch von Nikaschinowitsch eine eingehendere Be¬
sprechung der höhnisch-herzegowinischen Zustünde geknüpft wird, so liegt hier¬
nach die Veranlassung dazu in diesen Zuständen selbst. Einerseits ist die
böhmische Agrarfrage volkswirtschaftlich sehr interessant und nach Überwindung
der Hörigkeit im übrigen Europa einzig in ihrer Art, andrerseits sind die leb¬
haften Ausbrüche des Hasses gegen das von innern Stürmen erschütterte
Österreich in den okkupierten Gebieten der Balkanhalbinsel, wie sie dieses Buch
bringt, bei der nimmerrnhenden Thätigkeit von Nußland in dieser Wetterecke
von Europa wohl der Aufmerksamkeit wert.

Während überall in Europa, sogar in Nußland, im neunzehnten Jahr¬
hundert die letzten Reste der Leibeigenschaft aufgehoben wurden, fanden die
Österreicher sie bei der Okkupation von Bosnien und der Herzegowina im
Jahre 1878 in voller Blüte vor, und zwar hatte diese Wirtschaftsverfassung
in dein fast nur Ackerbau und Viehzucht treibenden Lande deshalb ein be¬
sonders übles Aussehen, weil die Gutsbesitzer Muhammedaner waren, während
die "Kneten," die an die Scholle gelmndnen hörigen Bauern, als Christen
zum weit überwiegenden Teil der orientalisch-katholischen, zum kleinern als
"Lateiner" der römisch-katholischen Kirche angehörten. Dieser doppelte Gegen¬
satz zwischen dem muhammedanischen Gutsherrn und den christlichen Schollen-


einem eingehenden Studium unterworfen, so wäre er in der Lage gewesen, eine
wertvolle und dabei seinen Österreich feindlichen Bestrebungen sehr viel mehr
dienliche Arbeit zu liefern.

Statt dessen giebt er auf Seite 1 bis 24 seines Buchs den Abdruck von
Artikel 25 des Berliner Kongresses und der sich anschließenden Konvention
zwischen Österreich-Ungarn und der Türkei, sowie der österreichisch-ungarischen
Proklamation beim Einmarsch in Bosnien mit einigen oberflächlichen Rand¬
bemerkungen und bespricht Seite 25 bis 150 unter einer Flut von Anschuldi-
gungen gegen den Reichsfinanzminister von Knllay und Seitenlängen, balknn-
bündlerischen und scrbophileu Drohungen gegen den Kaiserstaat „die Agrar¬
frage" und „die landwirtschaftlichen Institutionen der neuen Verwaltung,"
ohne etwas wesentlich andres zu bringen, als was die im Anhang Seite 151
bis 171 veröffentlichte Bittschrift böhmischer Bauern um den Kaiser vom
20. April 1897 schon enthält. Von der Bittschrift unterscheiden sich Nika¬
schinowitsch eus Ausführungen nur durch ihre uoch handgreiflichem Über¬
treibungen; so wenn er (S. 75) den Zustand unter türkischer Herrschaft als
ideal gegenüber dem unter österreichischer darstellt. Wer Karl Brauns türkische
Reise (Stuttgart, 1876 bis 1878) gelesen hat, weiß, was man davon halten
muß, noch mehr weiß das, wer in der Türkei gelebt hat. Wenn Nikaschinowitsch
(S. 67 ff.) herausrechnet, der böhmische Bauer müßte selbst in Normaljahreu
nicht nur seine ganze Ernte drangeben, sondern alljährlich noch einen Teil
seines Viehs veräußern, nnr um seine Steuern und Abgaben zu bezahle», so
muß man doch sagen, einen solchen jährlichen Ruin hätte das Land nicht
zwanzig Jahre lang aushalten können.

Wenn hier an das Buch von Nikaschinowitsch eine eingehendere Be¬
sprechung der höhnisch-herzegowinischen Zustünde geknüpft wird, so liegt hier¬
nach die Veranlassung dazu in diesen Zuständen selbst. Einerseits ist die
böhmische Agrarfrage volkswirtschaftlich sehr interessant und nach Überwindung
der Hörigkeit im übrigen Europa einzig in ihrer Art, andrerseits sind die leb¬
haften Ausbrüche des Hasses gegen das von innern Stürmen erschütterte
Österreich in den okkupierten Gebieten der Balkanhalbinsel, wie sie dieses Buch
bringt, bei der nimmerrnhenden Thätigkeit von Nußland in dieser Wetterecke
von Europa wohl der Aufmerksamkeit wert.

Während überall in Europa, sogar in Nußland, im neunzehnten Jahr¬
hundert die letzten Reste der Leibeigenschaft aufgehoben wurden, fanden die
Österreicher sie bei der Okkupation von Bosnien und der Herzegowina im
Jahre 1878 in voller Blüte vor, und zwar hatte diese Wirtschaftsverfassung
in dein fast nur Ackerbau und Viehzucht treibenden Lande deshalb ein be¬
sonders übles Aussehen, weil die Gutsbesitzer Muhammedaner waren, während
die „Kneten," die an die Scholle gelmndnen hörigen Bauern, als Christen
zum weit überwiegenden Teil der orientalisch-katholischen, zum kleinern als
„Lateiner" der römisch-katholischen Kirche angehörten. Dieser doppelte Gegen¬
satz zwischen dem muhammedanischen Gutsherrn und den christlichen Schollen-


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[0394] einem eingehenden Studium unterworfen, so wäre er in der Lage gewesen, eine wertvolle und dabei seinen Österreich feindlichen Bestrebungen sehr viel mehr dienliche Arbeit zu liefern. Statt dessen giebt er auf Seite 1 bis 24 seines Buchs den Abdruck von Artikel 25 des Berliner Kongresses und der sich anschließenden Konvention zwischen Österreich-Ungarn und der Türkei, sowie der österreichisch-ungarischen Proklamation beim Einmarsch in Bosnien mit einigen oberflächlichen Rand¬ bemerkungen und bespricht Seite 25 bis 150 unter einer Flut von Anschuldi- gungen gegen den Reichsfinanzminister von Knllay und Seitenlängen, balknn- bündlerischen und scrbophileu Drohungen gegen den Kaiserstaat „die Agrar¬ frage" und „die landwirtschaftlichen Institutionen der neuen Verwaltung," ohne etwas wesentlich andres zu bringen, als was die im Anhang Seite 151 bis 171 veröffentlichte Bittschrift böhmischer Bauern um den Kaiser vom 20. April 1897 schon enthält. Von der Bittschrift unterscheiden sich Nika¬ schinowitsch eus Ausführungen nur durch ihre uoch handgreiflichem Über¬ treibungen; so wenn er (S. 75) den Zustand unter türkischer Herrschaft als ideal gegenüber dem unter österreichischer darstellt. Wer Karl Brauns türkische Reise (Stuttgart, 1876 bis 1878) gelesen hat, weiß, was man davon halten muß, noch mehr weiß das, wer in der Türkei gelebt hat. Wenn Nikaschinowitsch (S. 67 ff.) herausrechnet, der böhmische Bauer müßte selbst in Normaljahreu nicht nur seine ganze Ernte drangeben, sondern alljährlich noch einen Teil seines Viehs veräußern, nnr um seine Steuern und Abgaben zu bezahle», so muß man doch sagen, einen solchen jährlichen Ruin hätte das Land nicht zwanzig Jahre lang aushalten können. Wenn hier an das Buch von Nikaschinowitsch eine eingehendere Be¬ sprechung der höhnisch-herzegowinischen Zustünde geknüpft wird, so liegt hier¬ nach die Veranlassung dazu in diesen Zuständen selbst. Einerseits ist die böhmische Agrarfrage volkswirtschaftlich sehr interessant und nach Überwindung der Hörigkeit im übrigen Europa einzig in ihrer Art, andrerseits sind die leb¬ haften Ausbrüche des Hasses gegen das von innern Stürmen erschütterte Österreich in den okkupierten Gebieten der Balkanhalbinsel, wie sie dieses Buch bringt, bei der nimmerrnhenden Thätigkeit von Nußland in dieser Wetterecke von Europa wohl der Aufmerksamkeit wert. Während überall in Europa, sogar in Nußland, im neunzehnten Jahr¬ hundert die letzten Reste der Leibeigenschaft aufgehoben wurden, fanden die Österreicher sie bei der Okkupation von Bosnien und der Herzegowina im Jahre 1878 in voller Blüte vor, und zwar hatte diese Wirtschaftsverfassung in dein fast nur Ackerbau und Viehzucht treibenden Lande deshalb ein be¬ sonders übles Aussehen, weil die Gutsbesitzer Muhammedaner waren, während die „Kneten," die an die Scholle gelmndnen hörigen Bauern, als Christen zum weit überwiegenden Teil der orientalisch-katholischen, zum kleinern als „Lateiner" der römisch-katholischen Kirche angehörten. Dieser doppelte Gegen¬ satz zwischen dem muhammedanischen Gutsherrn und den christlichen Schollen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/394>, abgerufen am 22.07.2024.