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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Ein Notschrei aus Bosnien und der Herzegowina

is einen Notschrei wird man eine Schrift bezeichnen können,
die Bozidar Nikaschinowitsch (im Kommissionsverlag von Thor¬
mann und Goethes in Berlin, 1901) herausgegeben hat unter
dem Titel "Bosnien und die Herzegowina nnter der Verwaltung
der österreichisch-ungarischen Monarchie und die österreichisch-
ungarische Balkanpolitik, Eine politisch-ökonomische Darstellung der gegen¬
wärtigen Zustände in vier Bänden." Der erste Band behandelt auf 171 Seiten
den Berliner Kongreß von 1878 nud die Agrarfrage. Bezieht sich der aus¬
gesetzte Preis von 6 Franken 25 Centimes auf diese 171 Seiten, so darf er
wohl als ein Phantasie- und Liebhaberpreis bezeichnet werden. Druck und
Papier sind zwar gut, aber Ausstattungskosten hat diese, wie wir sagen würden,
volkswirtschaftliche Studie gnr nicht verursacht, da ihr keinerlei Karten, Pläne,
Tabellen oder Abbildungen beigegeben sind, und was den Inhalt betrifft, so
kann von irgend welcher kostspieligen Arbeit des Autors keine Rede sein.
Dieser -- früher Lehrer in Neljevo -- ist nicht nur, wie er sagt, des Deutschen
unvollkommen mächtig, soudern sein Buch enthält neben vielen Schnitzern, die
der Verlag nicht hätte durchgeh" lassen sollen, auch vielfach Sätze, die man
uicht versteh" kann. Dazu kommt, daß Verwechslungen von Knltnsfreiheit
und Kulturfortschritt (S. 21), vou paralysieren und parallelisieren (S. 148)
doch über eine bloße Unvollkommenheit in der Sprache ziemlich weit hinaus-
ttchn, und wenn Herzog Wilhelm von Württemberg, der Organisator von
Bosnien und der Herzegowina nach der österreichischen Okkupation, wiederholt
als "Großherzog von Württemberg" bezeichnet wird, so beweist dies eine große
Politische Unwissenheit im allgemeinen und eine verblüffende Unkenntnis des
Allerwichtigsteu von der unmittelbarsten Vergangenheit der behandelten Länder
im besondern. Hätte Nikaschinowitsch von den zwei namhaften Werken, die über
Herzog Wilhelm erschienen sind, much nur das letzte, die ausführliche und vor¬
treffliche Lebensbeschreibung von Oskar Treuber (Wien, Seidel und Sohn, 1889)


Grenzboten II 1901 49


Ein Notschrei aus Bosnien und der Herzegowina

is einen Notschrei wird man eine Schrift bezeichnen können,
die Bozidar Nikaschinowitsch (im Kommissionsverlag von Thor¬
mann und Goethes in Berlin, 1901) herausgegeben hat unter
dem Titel „Bosnien und die Herzegowina nnter der Verwaltung
der österreichisch-ungarischen Monarchie und die österreichisch-
ungarische Balkanpolitik, Eine politisch-ökonomische Darstellung der gegen¬
wärtigen Zustände in vier Bänden." Der erste Band behandelt auf 171 Seiten
den Berliner Kongreß von 1878 nud die Agrarfrage. Bezieht sich der aus¬
gesetzte Preis von 6 Franken 25 Centimes auf diese 171 Seiten, so darf er
wohl als ein Phantasie- und Liebhaberpreis bezeichnet werden. Druck und
Papier sind zwar gut, aber Ausstattungskosten hat diese, wie wir sagen würden,
volkswirtschaftliche Studie gnr nicht verursacht, da ihr keinerlei Karten, Pläne,
Tabellen oder Abbildungen beigegeben sind, und was den Inhalt betrifft, so
kann von irgend welcher kostspieligen Arbeit des Autors keine Rede sein.
Dieser — früher Lehrer in Neljevo — ist nicht nur, wie er sagt, des Deutschen
unvollkommen mächtig, soudern sein Buch enthält neben vielen Schnitzern, die
der Verlag nicht hätte durchgeh« lassen sollen, auch vielfach Sätze, die man
uicht versteh» kann. Dazu kommt, daß Verwechslungen von Knltnsfreiheit
und Kulturfortschritt (S. 21), vou paralysieren und parallelisieren (S. 148)
doch über eine bloße Unvollkommenheit in der Sprache ziemlich weit hinaus-
ttchn, und wenn Herzog Wilhelm von Württemberg, der Organisator von
Bosnien und der Herzegowina nach der österreichischen Okkupation, wiederholt
als „Großherzog von Württemberg" bezeichnet wird, so beweist dies eine große
Politische Unwissenheit im allgemeinen und eine verblüffende Unkenntnis des
Allerwichtigsteu von der unmittelbarsten Vergangenheit der behandelten Länder
im besondern. Hätte Nikaschinowitsch von den zwei namhaften Werken, die über
Herzog Wilhelm erschienen sind, much nur das letzte, die ausführliche und vor¬
treffliche Lebensbeschreibung von Oskar Treuber (Wien, Seidel und Sohn, 1889)


Grenzboten II 1901 49
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[0393] [Abbildung] Ein Notschrei aus Bosnien und der Herzegowina is einen Notschrei wird man eine Schrift bezeichnen können, die Bozidar Nikaschinowitsch (im Kommissionsverlag von Thor¬ mann und Goethes in Berlin, 1901) herausgegeben hat unter dem Titel „Bosnien und die Herzegowina nnter der Verwaltung der österreichisch-ungarischen Monarchie und die österreichisch- ungarische Balkanpolitik, Eine politisch-ökonomische Darstellung der gegen¬ wärtigen Zustände in vier Bänden." Der erste Band behandelt auf 171 Seiten den Berliner Kongreß von 1878 nud die Agrarfrage. Bezieht sich der aus¬ gesetzte Preis von 6 Franken 25 Centimes auf diese 171 Seiten, so darf er wohl als ein Phantasie- und Liebhaberpreis bezeichnet werden. Druck und Papier sind zwar gut, aber Ausstattungskosten hat diese, wie wir sagen würden, volkswirtschaftliche Studie gnr nicht verursacht, da ihr keinerlei Karten, Pläne, Tabellen oder Abbildungen beigegeben sind, und was den Inhalt betrifft, so kann von irgend welcher kostspieligen Arbeit des Autors keine Rede sein. Dieser — früher Lehrer in Neljevo — ist nicht nur, wie er sagt, des Deutschen unvollkommen mächtig, soudern sein Buch enthält neben vielen Schnitzern, die der Verlag nicht hätte durchgeh« lassen sollen, auch vielfach Sätze, die man uicht versteh» kann. Dazu kommt, daß Verwechslungen von Knltnsfreiheit und Kulturfortschritt (S. 21), vou paralysieren und parallelisieren (S. 148) doch über eine bloße Unvollkommenheit in der Sprache ziemlich weit hinaus- ttchn, und wenn Herzog Wilhelm von Württemberg, der Organisator von Bosnien und der Herzegowina nach der österreichischen Okkupation, wiederholt als „Großherzog von Württemberg" bezeichnet wird, so beweist dies eine große Politische Unwissenheit im allgemeinen und eine verblüffende Unkenntnis des Allerwichtigsteu von der unmittelbarsten Vergangenheit der behandelten Länder im besondern. Hätte Nikaschinowitsch von den zwei namhaften Werken, die über Herzog Wilhelm erschienen sind, much nur das letzte, die ausführliche und vor¬ treffliche Lebensbeschreibung von Oskar Treuber (Wien, Seidel und Sohn, 1889) Grenzboten II 1901 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/393>, abgerufen am 22.07.2024.