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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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volksbibliotheken mit Lesehallen

auf 628198 Bände erhoben. Zu einer gründlichen Reform fehlt es am besten:
am Gelde. Vor sechs Jahren hat die Gesellschaft für ethische Kultur im Hause
der Volkskaffee- und Speisehalleugesellschaft auch eine Lesehalle errichtet, die
vom Magistrat mit 3000 Mark jährlich subventioniert wird und im Jahre
1899 von beinahe 90000 Personen benutzt worden ist. Der Magistrat hat
denn zwei weitere solche Hallen errichtet, denen im Laufe der nächsten Jahre
uoch acht folgen sollen. Nach einer Reihe von Jahren werden für Volks¬
bibliotheken die Zinsen eines Vermächtnisses des Professors F. A. Leo zur
Verfügung stehn.

Über das deutsche Vaterland im allgemeinen nach Schultze zu berichten,
wäre überflüssig, da sich ja jeder Leser nur an seinem Wohnort umzusehen
braucht, um sich zu überzeugen, daß nichts oder so gut wie nichts da ist; jeden¬
falls nichts, was den amerikanischen Mustern entspräche. Nur ein nicht sehr
erfreuliches Kuriosum wollen wir hervorheben. In den sechziger Jahren des
vorigen Jahrhunderts hatte die Pariser IiiZ'nez as I'snsöig'römhild (sollte es
nicht heißen as l'öusöig'nsmout vorMglrö?) das Elsaß mit einem Netz von
-- natürlich französischen -- Volksbibliotheken überzogen; diese sind nach 1870
eingegangen und nicht durch deutsche ersetzt worden, sodaß das Reichsland
heute ärmer an solchen Vvlksbildungsmitteln ist als irgend ein andres deutsches
Land. Fabrikbibliotheken sind in Deutschland nicht ganz selten, und manche
Großindustriellen haben in dieser Beziehung viel gethan. Die von Krupp in
Essen ist nach Schultzes Urteil die beste freie öffentliche Bibliothek, die wir
in ganz Deutschland haben. Sie enthält über 16000 Bände und wird von
einem Fachmann, Herrn Dr. Ladewig, verwaltet, dem zwanzig Helfer zur Seite
stehn. Die Stadtbibliotheken rechnet Schultze nicht zu den Volksbildungs¬
anstalten; sie seien weit davou entfernt, freie öffentliche Bibliotheken zu sein.
Ihren ursprünglichen Zweck habe man vollständig aus deu Augen verloren.
Anstatt die Schätze der Litteratur jedermann zugänglich zu machen und dem¬
entsprechend Bücherbestand und Benutzungsbedingungen immer mit den Bedürf¬
nissen der Zeit in Einklang zu erhalten, habe man sich darauf beschränkt, zu
dem vorgefuudueu Bücherbestand, der hauptsächlich Theologie, Geschichte und
Philologie enthielt, Bücher aus denselben Fächern hinzuzukaufen und die
Bibliothek einigen Gelehrten zu öffnen. Als dann der Staat die Ausgaben
für seine Bibliotheken erhöhte, hätten auch die Stadtverwaltungen mehr auf
ihre Bibliotheken verwandt und versucht, mit den Universitüts- und Landes-
bibliotheken zu konkurrieren. Damit hüllen sie Fiasko gemacht, sowohl im
Bücherreichtum wie in der Einheitlichkeit des Anschaffungsplans, und in der
Benutzungszeit blieben die städtischem weit hinter den Staatsbibliotheken zurück.
So kosteten sie den Städten Unsummen, die weit zweckmäßiger für wirkliche
freie öffentliche Bibliotheken verwandt werden könnten. Zwei Städte seien
von dieser Kritik aufzunehmen, weil sie weder eine Universitüts- noch eine
Landesbibliothek hätten und doch, als große Städte, eine große gelehrte
Bibliothek brauchten: Hamburg und Frankfurt a. M-, womit nicht gesagt sein


volksbibliotheken mit Lesehallen

auf 628198 Bände erhoben. Zu einer gründlichen Reform fehlt es am besten:
am Gelde. Vor sechs Jahren hat die Gesellschaft für ethische Kultur im Hause
der Volkskaffee- und Speisehalleugesellschaft auch eine Lesehalle errichtet, die
vom Magistrat mit 3000 Mark jährlich subventioniert wird und im Jahre
1899 von beinahe 90000 Personen benutzt worden ist. Der Magistrat hat
denn zwei weitere solche Hallen errichtet, denen im Laufe der nächsten Jahre
uoch acht folgen sollen. Nach einer Reihe von Jahren werden für Volks¬
bibliotheken die Zinsen eines Vermächtnisses des Professors F. A. Leo zur
Verfügung stehn.

Über das deutsche Vaterland im allgemeinen nach Schultze zu berichten,
wäre überflüssig, da sich ja jeder Leser nur an seinem Wohnort umzusehen
braucht, um sich zu überzeugen, daß nichts oder so gut wie nichts da ist; jeden¬
falls nichts, was den amerikanischen Mustern entspräche. Nur ein nicht sehr
erfreuliches Kuriosum wollen wir hervorheben. In den sechziger Jahren des
vorigen Jahrhunderts hatte die Pariser IiiZ'nez as I'snsöig'römhild (sollte es
nicht heißen as l'öusöig'nsmout vorMglrö?) das Elsaß mit einem Netz von
— natürlich französischen — Volksbibliotheken überzogen; diese sind nach 1870
eingegangen und nicht durch deutsche ersetzt worden, sodaß das Reichsland
heute ärmer an solchen Vvlksbildungsmitteln ist als irgend ein andres deutsches
Land. Fabrikbibliotheken sind in Deutschland nicht ganz selten, und manche
Großindustriellen haben in dieser Beziehung viel gethan. Die von Krupp in
Essen ist nach Schultzes Urteil die beste freie öffentliche Bibliothek, die wir
in ganz Deutschland haben. Sie enthält über 16000 Bände und wird von
einem Fachmann, Herrn Dr. Ladewig, verwaltet, dem zwanzig Helfer zur Seite
stehn. Die Stadtbibliotheken rechnet Schultze nicht zu den Volksbildungs¬
anstalten; sie seien weit davou entfernt, freie öffentliche Bibliotheken zu sein.
Ihren ursprünglichen Zweck habe man vollständig aus deu Augen verloren.
Anstatt die Schätze der Litteratur jedermann zugänglich zu machen und dem¬
entsprechend Bücherbestand und Benutzungsbedingungen immer mit den Bedürf¬
nissen der Zeit in Einklang zu erhalten, habe man sich darauf beschränkt, zu
dem vorgefuudueu Bücherbestand, der hauptsächlich Theologie, Geschichte und
Philologie enthielt, Bücher aus denselben Fächern hinzuzukaufen und die
Bibliothek einigen Gelehrten zu öffnen. Als dann der Staat die Ausgaben
für seine Bibliotheken erhöhte, hätten auch die Stadtverwaltungen mehr auf
ihre Bibliotheken verwandt und versucht, mit den Universitüts- und Landes-
bibliotheken zu konkurrieren. Damit hüllen sie Fiasko gemacht, sowohl im
Bücherreichtum wie in der Einheitlichkeit des Anschaffungsplans, und in der
Benutzungszeit blieben die städtischem weit hinter den Staatsbibliotheken zurück.
So kosteten sie den Städten Unsummen, die weit zweckmäßiger für wirkliche
freie öffentliche Bibliotheken verwandt werden könnten. Zwei Städte seien
von dieser Kritik aufzunehmen, weil sie weder eine Universitüts- noch eine
Landesbibliothek hätten und doch, als große Städte, eine große gelehrte
Bibliothek brauchten: Hamburg und Frankfurt a. M-, womit nicht gesagt sein


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[0368] volksbibliotheken mit Lesehallen auf 628198 Bände erhoben. Zu einer gründlichen Reform fehlt es am besten: am Gelde. Vor sechs Jahren hat die Gesellschaft für ethische Kultur im Hause der Volkskaffee- und Speisehalleugesellschaft auch eine Lesehalle errichtet, die vom Magistrat mit 3000 Mark jährlich subventioniert wird und im Jahre 1899 von beinahe 90000 Personen benutzt worden ist. Der Magistrat hat denn zwei weitere solche Hallen errichtet, denen im Laufe der nächsten Jahre uoch acht folgen sollen. Nach einer Reihe von Jahren werden für Volks¬ bibliotheken die Zinsen eines Vermächtnisses des Professors F. A. Leo zur Verfügung stehn. Über das deutsche Vaterland im allgemeinen nach Schultze zu berichten, wäre überflüssig, da sich ja jeder Leser nur an seinem Wohnort umzusehen braucht, um sich zu überzeugen, daß nichts oder so gut wie nichts da ist; jeden¬ falls nichts, was den amerikanischen Mustern entspräche. Nur ein nicht sehr erfreuliches Kuriosum wollen wir hervorheben. In den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte die Pariser IiiZ'nez as I'snsöig'römhild (sollte es nicht heißen as l'öusöig'nsmout vorMglrö?) das Elsaß mit einem Netz von — natürlich französischen — Volksbibliotheken überzogen; diese sind nach 1870 eingegangen und nicht durch deutsche ersetzt worden, sodaß das Reichsland heute ärmer an solchen Vvlksbildungsmitteln ist als irgend ein andres deutsches Land. Fabrikbibliotheken sind in Deutschland nicht ganz selten, und manche Großindustriellen haben in dieser Beziehung viel gethan. Die von Krupp in Essen ist nach Schultzes Urteil die beste freie öffentliche Bibliothek, die wir in ganz Deutschland haben. Sie enthält über 16000 Bände und wird von einem Fachmann, Herrn Dr. Ladewig, verwaltet, dem zwanzig Helfer zur Seite stehn. Die Stadtbibliotheken rechnet Schultze nicht zu den Volksbildungs¬ anstalten; sie seien weit davou entfernt, freie öffentliche Bibliotheken zu sein. Ihren ursprünglichen Zweck habe man vollständig aus deu Augen verloren. Anstatt die Schätze der Litteratur jedermann zugänglich zu machen und dem¬ entsprechend Bücherbestand und Benutzungsbedingungen immer mit den Bedürf¬ nissen der Zeit in Einklang zu erhalten, habe man sich darauf beschränkt, zu dem vorgefuudueu Bücherbestand, der hauptsächlich Theologie, Geschichte und Philologie enthielt, Bücher aus denselben Fächern hinzuzukaufen und die Bibliothek einigen Gelehrten zu öffnen. Als dann der Staat die Ausgaben für seine Bibliotheken erhöhte, hätten auch die Stadtverwaltungen mehr auf ihre Bibliotheken verwandt und versucht, mit den Universitüts- und Landes- bibliotheken zu konkurrieren. Damit hüllen sie Fiasko gemacht, sowohl im Bücherreichtum wie in der Einheitlichkeit des Anschaffungsplans, und in der Benutzungszeit blieben die städtischem weit hinter den Staatsbibliotheken zurück. So kosteten sie den Städten Unsummen, die weit zweckmäßiger für wirkliche freie öffentliche Bibliotheken verwandt werden könnten. Zwei Städte seien von dieser Kritik aufzunehmen, weil sie weder eine Universitüts- noch eine Landesbibliothek hätten und doch, als große Städte, eine große gelehrte Bibliothek brauchten: Hamburg und Frankfurt a. M-, womit nicht gesagt sein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/368>, abgerufen am 22.07.2024.