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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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volksbibliotheken und Lesehallen

gebärde als das ganze Deutsche Reich, und die Geschenke und Vermächtnisse,
die seinen Volksbibliotheken bis jetzt zu teil geworden sind, belaufen sich auf
32 Millionen Mark, Die Buchhändler machen dort glänzende Geschäfte, denn
diese öffentlichen Bibliotheken kaufen jährlich für etwa 800000 Mark Bücher.
Auch Friedrich Ratzel hat in seinem Werk über die Vereinigten Staaten
dieser großartigen Erscheinung die gebührende Beachtung geschenkt und unter
anderm hervorgehoben, daß der herrschende Zug zum praktisch Nützlichen die
Schätzung des Schonen, die vorzugsweise durch Lektüre genährt werde, nicht
hindre, und daß die Amerikaner ihre Dichter nicht verhungern ließen. Nicht überall
steht es um das Bibliothekwesen so glänzend wie in Massachusetts, besonders
in Newyork nicht, am schlechtesten natürlich in den Südstaaten, aber das
Streben nach Verbreitung von Volksbildung ist überall lebendig, und die
Grundsätze, nach denen die Bibliotheken verwaltet werden, sind überall die¬
selben wie in dem Musterstaat.

In England hat es sogar schon vor dem Jahre 1500 ein paar öffent¬
liche Bibliotheken gegeben, aber bei dem bekannten Zustande des englischen
Volksschulwesens konnte bis in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts von
allgemeiner Volksbildung keine Rede sein. Schultze erinnert daran, daß es u. a.
die Grubenarbeiter gewesen sind, die für, und die Grubenbesitzer, die gegen
den Schulzwang gekämpst haben, und daß sich der Londoner Gewerkverein der
Setzer 1868 eine Bibliothek von 6000 Bänden angeschafft hat, die so stark benutzt
wird, daß jährlich viele Bücher buchstäblich zerlesen werden. Als in Blackbnrn
eine freie öffentliche Bibliothek gegründet werden sollte, brachten Arbeiter durch
Sammlung unter sich einen Beitrag von 8000 Mark auf. Den Anstoß zu
der Bewegung für Volksbibliotheken gab William Ewart, der 1849 ein Gesetz
einbrachte, wonach der Bürgermeister jeder über 5000 Einwohner zählenden
Stadt die Steuerpflichtigen darüber abstimmen lassen müsse, ob sie eine
Bibliotheksteuer zahlen wollten; zu deren Einführung sollte eine Zweidrittel¬
mehrheit erforderlich sein. Die Bill wurde angenommen und drei Jahre später
auf Schottland und Irland ausgedehnt. Von da ab entwickelte sich das
Bibliothekwesen in ähnlich großartiger Weise wie in Nordamerika und nach
den dort geltenden Grundsätzen. Merkwürdig ist, daß die Bewegung in Schott¬
land auf eine hartnäckige Opposition stieß. In Edinburgh wehrten sich die
Gegner dreizehn Jahre lang mit Händen und Füßen dagegen, bis endlich
Carnegie telegraphisch ein Geschenk von 50000 Pfund anbot, das zurückzu¬
weisen die Bürgerschaft denn doch Anstand nahm. Carnegie hat im ganzen
24 Millionen Mark für freie öffentliche Bibliotheken gespendet, davon 2 Mil¬
lionen seinem Vaterlands Schottland. Vor kurzem hat er, wie die Zeitungen
melden, Newyork durch sein Angebot, der Stadt 5 Millionen Dollars zu dem
Bau von fünfundsechzig Bibliothckgebüuden zu schenken, in Verlegenheit gesetzt.
Er knüpft nämlich sein Anerbieten an die Bedingung, daß die Stadt die Bau¬
plätze hergebe, die Bücher liefere und sich verpflichte, die Bibliotheken zu er¬
halten. Man schätzt die der Stadt zugemutete Kapitalanlage auf 22 Millionen


volksbibliotheken und Lesehallen

gebärde als das ganze Deutsche Reich, und die Geschenke und Vermächtnisse,
die seinen Volksbibliotheken bis jetzt zu teil geworden sind, belaufen sich auf
32 Millionen Mark, Die Buchhändler machen dort glänzende Geschäfte, denn
diese öffentlichen Bibliotheken kaufen jährlich für etwa 800000 Mark Bücher.
Auch Friedrich Ratzel hat in seinem Werk über die Vereinigten Staaten
dieser großartigen Erscheinung die gebührende Beachtung geschenkt und unter
anderm hervorgehoben, daß der herrschende Zug zum praktisch Nützlichen die
Schätzung des Schonen, die vorzugsweise durch Lektüre genährt werde, nicht
hindre, und daß die Amerikaner ihre Dichter nicht verhungern ließen. Nicht überall
steht es um das Bibliothekwesen so glänzend wie in Massachusetts, besonders
in Newyork nicht, am schlechtesten natürlich in den Südstaaten, aber das
Streben nach Verbreitung von Volksbildung ist überall lebendig, und die
Grundsätze, nach denen die Bibliotheken verwaltet werden, sind überall die¬
selben wie in dem Musterstaat.

In England hat es sogar schon vor dem Jahre 1500 ein paar öffent¬
liche Bibliotheken gegeben, aber bei dem bekannten Zustande des englischen
Volksschulwesens konnte bis in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts von
allgemeiner Volksbildung keine Rede sein. Schultze erinnert daran, daß es u. a.
die Grubenarbeiter gewesen sind, die für, und die Grubenbesitzer, die gegen
den Schulzwang gekämpst haben, und daß sich der Londoner Gewerkverein der
Setzer 1868 eine Bibliothek von 6000 Bänden angeschafft hat, die so stark benutzt
wird, daß jährlich viele Bücher buchstäblich zerlesen werden. Als in Blackbnrn
eine freie öffentliche Bibliothek gegründet werden sollte, brachten Arbeiter durch
Sammlung unter sich einen Beitrag von 8000 Mark auf. Den Anstoß zu
der Bewegung für Volksbibliotheken gab William Ewart, der 1849 ein Gesetz
einbrachte, wonach der Bürgermeister jeder über 5000 Einwohner zählenden
Stadt die Steuerpflichtigen darüber abstimmen lassen müsse, ob sie eine
Bibliotheksteuer zahlen wollten; zu deren Einführung sollte eine Zweidrittel¬
mehrheit erforderlich sein. Die Bill wurde angenommen und drei Jahre später
auf Schottland und Irland ausgedehnt. Von da ab entwickelte sich das
Bibliothekwesen in ähnlich großartiger Weise wie in Nordamerika und nach
den dort geltenden Grundsätzen. Merkwürdig ist, daß die Bewegung in Schott¬
land auf eine hartnäckige Opposition stieß. In Edinburgh wehrten sich die
Gegner dreizehn Jahre lang mit Händen und Füßen dagegen, bis endlich
Carnegie telegraphisch ein Geschenk von 50000 Pfund anbot, das zurückzu¬
weisen die Bürgerschaft denn doch Anstand nahm. Carnegie hat im ganzen
24 Millionen Mark für freie öffentliche Bibliotheken gespendet, davon 2 Mil¬
lionen seinem Vaterlands Schottland. Vor kurzem hat er, wie die Zeitungen
melden, Newyork durch sein Angebot, der Stadt 5 Millionen Dollars zu dem
Bau von fünfundsechzig Bibliothckgebüuden zu schenken, in Verlegenheit gesetzt.
Er knüpft nämlich sein Anerbieten an die Bedingung, daß die Stadt die Bau¬
plätze hergebe, die Bücher liefere und sich verpflichte, die Bibliotheken zu er¬
halten. Man schätzt die der Stadt zugemutete Kapitalanlage auf 22 Millionen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/366>, abgerufen am 22.07.2024.