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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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suchen wir uns auf einem Halt in den Schatten eines Baumes an der Straße
zu legen. Ein andrer, auch sehr vornehmer Offizier erscheint und jagt uns
auf unsern Weg. Wir müssen in die Sonnenglut zurück; der schattige Platz
bleibt unbenützt. So wiederholen sich die kleinen aber sehr empfindlichen
Quälereien, deren sich wirkliche Frontofsiziere, so weit meine Erinnerung reicht,
niemals schuldig gemacht haben. Von Schimpfworten, die uns überall und
sehr reichlich zu teil wurden, sehe ich ab, auf zarte Behandlung rechnete keiner.
Aber die ewigen Nadelstiche empörten einen doch, und es schien, als wollten
alle die Leute, die ihren Thatendurst bisher nicht im Kugelregen hatten be¬
thätigen können, ihn jetzt hinter der Front an uns auslassen.

Wir kommen am Magersfonteiner Lager, unseligen Angedenkens, vorbei
und durch das englische Lager am Modderrivcr, das wie eine Festung aus¬
gebaut ist. Auf der Station werden wir achtunddreißig Gefangnen und zwölf
Mann Bedeckung in einen Güterwagen gepfercht, und nun geht es drei Tage
und Nächte lang nach Simonstown. Die Fahrt bei toller Hitze war zum ver¬
rückt werden. Liegen konnten wir nicht, da unsrer zu viele im Wagen waren. Ein
Engländer, der Transvaalbürger und mit uns ins Feld gezogen und gefangen
war, hatte schweren Rheumatismus. Ihm allein wurde Platz zum liegen ge¬
macht; wir andern standen oder hockten. In Simonstown wurden wir, von
johlendem Pöbel empfangen, ins Lager geführt. Im Burenlager begrüßen uns
die Gefangnen mit Jubel, und ich gestehe, es empörte mich damals in meiner
Stimmung. Wie können sich diese Menschen nur freuen? so fragte ich mich.
Doch auch dieses Gefühl verflachte sich, und ich habe später eintreffende Buren
mit derselben Freude begrüßt, die ich zu Anfang unverständlich gefunden hatte.
Ans die Nachricht, ein Deutscher sei unter den neu Angekommncn, suchte mich
Oberst Schiel sofort auf und lud mich, schmutzig wie ich war, zu einem Glase
Rotwein. Nachdem ich diese Erfrischung zu mir genommen und das neuste vom
Kriegsschallplatz berichtet hatte, war mein nächstes eine gründliche Reinigung
meines verwahrlosten Körpers. Das erfrischte! Dann nahm mich ein andrer
Deutscher in Beschlag, der unter dem Vorgeben, magenkrank zu sein, sich die
herrlichsten Fleisch-, Gemüse- und Obstkonserven als Krankenkost zu verschaffen
gewußt hatte. Von diesem Landsmann wurde ich fürstlich bewirtet. Dann
ging es spät in der Nacht in das mir angewiesene Zelt.

Unser Lager, ein Quadrat, war dicht am Meeresufer. Es war ein¬
gefriedigt unten mit Drahtgitter, oben mit Stacheldraht. Gegen das Meer
zu war ein Thor angebracht, das zum Strand führte und morgens und abends
zwei Stunden lang zum Baden für jedermann im Lager geöffnet wurde. Das
war eine köstliche Einrichtung. Das Lager wurde von Schildwachen bewacht,
die auf den Ecken standen und die Längsseiten abpatrvuillicrten. Die Ge¬
fangnen, etwa 250 an Zahl, wurden zweimal des Tags gezählt. Zu diesem
Zweck traten wir in Zügen zu zwei Gliedern an, jeder Zug vor den dazu ge¬
hörigen Zelten. Der Kommandant des Lagers, ein dicker, erregter Engländer,
zählte uns, sein Adjutant noch einmal gleich hinterher. Das Essen war gut


suchen wir uns auf einem Halt in den Schatten eines Baumes an der Straße
zu legen. Ein andrer, auch sehr vornehmer Offizier erscheint und jagt uns
auf unsern Weg. Wir müssen in die Sonnenglut zurück; der schattige Platz
bleibt unbenützt. So wiederholen sich die kleinen aber sehr empfindlichen
Quälereien, deren sich wirkliche Frontofsiziere, so weit meine Erinnerung reicht,
niemals schuldig gemacht haben. Von Schimpfworten, die uns überall und
sehr reichlich zu teil wurden, sehe ich ab, auf zarte Behandlung rechnete keiner.
Aber die ewigen Nadelstiche empörten einen doch, und es schien, als wollten
alle die Leute, die ihren Thatendurst bisher nicht im Kugelregen hatten be¬
thätigen können, ihn jetzt hinter der Front an uns auslassen.

Wir kommen am Magersfonteiner Lager, unseligen Angedenkens, vorbei
und durch das englische Lager am Modderrivcr, das wie eine Festung aus¬
gebaut ist. Auf der Station werden wir achtunddreißig Gefangnen und zwölf
Mann Bedeckung in einen Güterwagen gepfercht, und nun geht es drei Tage
und Nächte lang nach Simonstown. Die Fahrt bei toller Hitze war zum ver¬
rückt werden. Liegen konnten wir nicht, da unsrer zu viele im Wagen waren. Ein
Engländer, der Transvaalbürger und mit uns ins Feld gezogen und gefangen
war, hatte schweren Rheumatismus. Ihm allein wurde Platz zum liegen ge¬
macht; wir andern standen oder hockten. In Simonstown wurden wir, von
johlendem Pöbel empfangen, ins Lager geführt. Im Burenlager begrüßen uns
die Gefangnen mit Jubel, und ich gestehe, es empörte mich damals in meiner
Stimmung. Wie können sich diese Menschen nur freuen? so fragte ich mich.
Doch auch dieses Gefühl verflachte sich, und ich habe später eintreffende Buren
mit derselben Freude begrüßt, die ich zu Anfang unverständlich gefunden hatte.
Ans die Nachricht, ein Deutscher sei unter den neu Angekommncn, suchte mich
Oberst Schiel sofort auf und lud mich, schmutzig wie ich war, zu einem Glase
Rotwein. Nachdem ich diese Erfrischung zu mir genommen und das neuste vom
Kriegsschallplatz berichtet hatte, war mein nächstes eine gründliche Reinigung
meines verwahrlosten Körpers. Das erfrischte! Dann nahm mich ein andrer
Deutscher in Beschlag, der unter dem Vorgeben, magenkrank zu sein, sich die
herrlichsten Fleisch-, Gemüse- und Obstkonserven als Krankenkost zu verschaffen
gewußt hatte. Von diesem Landsmann wurde ich fürstlich bewirtet. Dann
ging es spät in der Nacht in das mir angewiesene Zelt.

Unser Lager, ein Quadrat, war dicht am Meeresufer. Es war ein¬
gefriedigt unten mit Drahtgitter, oben mit Stacheldraht. Gegen das Meer
zu war ein Thor angebracht, das zum Strand führte und morgens und abends
zwei Stunden lang zum Baden für jedermann im Lager geöffnet wurde. Das
war eine köstliche Einrichtung. Das Lager wurde von Schildwachen bewacht,
die auf den Ecken standen und die Längsseiten abpatrvuillicrten. Die Ge¬
fangnen, etwa 250 an Zahl, wurden zweimal des Tags gezählt. Zu diesem
Zweck traten wir in Zügen zu zwei Gliedern an, jeder Zug vor den dazu ge¬
hörigen Zelten. Der Kommandant des Lagers, ein dicker, erregter Engländer,
zählte uns, sein Adjutant noch einmal gleich hinterher. Das Essen war gut


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/334>, abgerufen am 22.07.2024.