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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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die Ruhepause für alle Fälle anszuiliitzen. Ich nehme einige Leute zu meinem
Wagen zurücke Überall stoße ich auf die furchtbarste Zerstörung, Beinahe
alle Ochsen sind tot; von ihren hoch aufgetriebnen Leibern stehn die Beine
in die Luft. Die Wagen bilden zum größten Teil ein wildes Chaos, das
hier und dort brennt. Fortwährend höre ich Detonationen von sich em
zündender Munition. Über dem Lager liegt der gelbgrüne Rauch des Lhddits,
der mir den Atem nimmt. Von meinem jetzt beschädigten Wagen nehme ich,
was ich an Lebensmitteln in Säcken fassen kann. Mein Maat,") der mich
um Wagen gefunden hat, hilft dabei. Auch Munition graben nur wieder aus,
und schwer bepackt geht es in die Stellung zurück. Sie ist noch nicht erreicht,
als das Artilleriefeuer von neuem beginnt. Der Waffenstillstand ist also ab¬
gelehnt, die Belagerung geht weiter. Da gewinnt unsre Last doppelt an
Wert, und wir lassen sie auch uicht im Stich. Ohne Verlust kommen wir
über und über vom Lydditrnuch gelbgrün gefärbt in der Stellung an, der
nächsten Sorge überhoben. Langsam schleicht Stande um Stunde dahin, ohne
daß sich unsre Lage bessert. Von einer Hilfe von außen verspüren nur immer
noch nichts.

Abends acht Uhr läßt mich Oven Tom rufen und nimmt mich mit zum
General Cronje. Wir treffen ihn mit seiner Fran in einer weiten Höhle des
Flußufers, wo sie sitzen und Kaffee trinken. Er tritt an mich heran und fragt
mich, ob ich den Mut habe, durch die feindlichen Linien zu gehn. Ich bejahe und
erhalte nnn den Befehl, eine geheime Botschaft mündlich an de Wat zu über¬
bringen. Mit "Goeden Avond, General, goeden Avond, Tande" nahm ich Ab¬
schied. Es war Mitternacht, als ich zur Ausführung des Befehls unsre äußersten
Posten verließ. Auf allen Vieren schlich ich vorwärts, das Gewehr um die
Schulter gehängt. Ich kroch mit dem Gesicht möglichst dicht am Boden, gegen den
Hellem Himmel scharf ausspähend, ob sich nicht die feindlichen Vorposten davon
abhoben. Nach einiger Zeit sehe ich die Postenkette der Engländer und muß
mich nun entschließen, an welcher Stelle ich sie durchbrechen will. Ich schleiche
um ihrer Front entlang; die Posten stehn dicht. Da finde ich eine größere
Lücke. Das ist der richtige Platz. Langsam rutsche ich vorwärts, jetzt bin
ich auf gleicher Höhe mit den Nebenposten und fühle mich schon in Sicher¬
heit, da, noch ein Schritt, ich erschrecke, und gleich mir mein Gegenüber. Ans
der Erde erheben sich Gestalten; einige laufen davon, einige stürzen sich über
mich, Rimcls up, schreit es, viele Hände halten mich fest, ich bin gefangen.
Ich meine in den Boden versinken zu müssen vor Schmach und Schande und
bleibe ganz apathisch gegen das, was man mit mir thut. Nach meiner Ent¬
waffnung und Wegnahme alles dessen, was ich bei mir trage, werde ich unter
Schimpfreden hinter der englischen Posteilkette entlang und um unser Lager
nach rückivärts liegenden Abteilungen geführt. Wir machen einen mehrstün-



*) Unter Maat wird der Kamerad verstanden, mit dem man einen Vertrag gegenseitiger
Hilfeleistung abgeschlossen hat. Diese Verpflichtung besteht nur für die Dauer des Gefechts.

die Ruhepause für alle Fälle anszuiliitzen. Ich nehme einige Leute zu meinem
Wagen zurücke Überall stoße ich auf die furchtbarste Zerstörung, Beinahe
alle Ochsen sind tot; von ihren hoch aufgetriebnen Leibern stehn die Beine
in die Luft. Die Wagen bilden zum größten Teil ein wildes Chaos, das
hier und dort brennt. Fortwährend höre ich Detonationen von sich em
zündender Munition. Über dem Lager liegt der gelbgrüne Rauch des Lhddits,
der mir den Atem nimmt. Von meinem jetzt beschädigten Wagen nehme ich,
was ich an Lebensmitteln in Säcken fassen kann. Mein Maat,") der mich
um Wagen gefunden hat, hilft dabei. Auch Munition graben nur wieder aus,
und schwer bepackt geht es in die Stellung zurück. Sie ist noch nicht erreicht,
als das Artilleriefeuer von neuem beginnt. Der Waffenstillstand ist also ab¬
gelehnt, die Belagerung geht weiter. Da gewinnt unsre Last doppelt an
Wert, und wir lassen sie auch uicht im Stich. Ohne Verlust kommen wir
über und über vom Lydditrnuch gelbgrün gefärbt in der Stellung an, der
nächsten Sorge überhoben. Langsam schleicht Stande um Stunde dahin, ohne
daß sich unsre Lage bessert. Von einer Hilfe von außen verspüren nur immer
noch nichts.

Abends acht Uhr läßt mich Oven Tom rufen und nimmt mich mit zum
General Cronje. Wir treffen ihn mit seiner Fran in einer weiten Höhle des
Flußufers, wo sie sitzen und Kaffee trinken. Er tritt an mich heran und fragt
mich, ob ich den Mut habe, durch die feindlichen Linien zu gehn. Ich bejahe und
erhalte nnn den Befehl, eine geheime Botschaft mündlich an de Wat zu über¬
bringen. Mit „Goeden Avond, General, goeden Avond, Tande" nahm ich Ab¬
schied. Es war Mitternacht, als ich zur Ausführung des Befehls unsre äußersten
Posten verließ. Auf allen Vieren schlich ich vorwärts, das Gewehr um die
Schulter gehängt. Ich kroch mit dem Gesicht möglichst dicht am Boden, gegen den
Hellem Himmel scharf ausspähend, ob sich nicht die feindlichen Vorposten davon
abhoben. Nach einiger Zeit sehe ich die Postenkette der Engländer und muß
mich nun entschließen, an welcher Stelle ich sie durchbrechen will. Ich schleiche
um ihrer Front entlang; die Posten stehn dicht. Da finde ich eine größere
Lücke. Das ist der richtige Platz. Langsam rutsche ich vorwärts, jetzt bin
ich auf gleicher Höhe mit den Nebenposten und fühle mich schon in Sicher¬
heit, da, noch ein Schritt, ich erschrecke, und gleich mir mein Gegenüber. Ans
der Erde erheben sich Gestalten; einige laufen davon, einige stürzen sich über
mich, Rimcls up, schreit es, viele Hände halten mich fest, ich bin gefangen.
Ich meine in den Boden versinken zu müssen vor Schmach und Schande und
bleibe ganz apathisch gegen das, was man mit mir thut. Nach meiner Ent¬
waffnung und Wegnahme alles dessen, was ich bei mir trage, werde ich unter
Schimpfreden hinter der englischen Posteilkette entlang und um unser Lager
nach rückivärts liegenden Abteilungen geführt. Wir machen einen mehrstün-



*) Unter Maat wird der Kamerad verstanden, mit dem man einen Vertrag gegenseitiger
Hilfeleistung abgeschlossen hat. Diese Verpflichtung besteht nur für die Dauer des Gefechts.
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[0332] die Ruhepause für alle Fälle anszuiliitzen. Ich nehme einige Leute zu meinem Wagen zurücke Überall stoße ich auf die furchtbarste Zerstörung, Beinahe alle Ochsen sind tot; von ihren hoch aufgetriebnen Leibern stehn die Beine in die Luft. Die Wagen bilden zum größten Teil ein wildes Chaos, das hier und dort brennt. Fortwährend höre ich Detonationen von sich em zündender Munition. Über dem Lager liegt der gelbgrüne Rauch des Lhddits, der mir den Atem nimmt. Von meinem jetzt beschädigten Wagen nehme ich, was ich an Lebensmitteln in Säcken fassen kann. Mein Maat,") der mich um Wagen gefunden hat, hilft dabei. Auch Munition graben nur wieder aus, und schwer bepackt geht es in die Stellung zurück. Sie ist noch nicht erreicht, als das Artilleriefeuer von neuem beginnt. Der Waffenstillstand ist also ab¬ gelehnt, die Belagerung geht weiter. Da gewinnt unsre Last doppelt an Wert, und wir lassen sie auch uicht im Stich. Ohne Verlust kommen wir über und über vom Lydditrnuch gelbgrün gefärbt in der Stellung an, der nächsten Sorge überhoben. Langsam schleicht Stande um Stunde dahin, ohne daß sich unsre Lage bessert. Von einer Hilfe von außen verspüren nur immer noch nichts. Abends acht Uhr läßt mich Oven Tom rufen und nimmt mich mit zum General Cronje. Wir treffen ihn mit seiner Fran in einer weiten Höhle des Flußufers, wo sie sitzen und Kaffee trinken. Er tritt an mich heran und fragt mich, ob ich den Mut habe, durch die feindlichen Linien zu gehn. Ich bejahe und erhalte nnn den Befehl, eine geheime Botschaft mündlich an de Wat zu über¬ bringen. Mit „Goeden Avond, General, goeden Avond, Tande" nahm ich Ab¬ schied. Es war Mitternacht, als ich zur Ausführung des Befehls unsre äußersten Posten verließ. Auf allen Vieren schlich ich vorwärts, das Gewehr um die Schulter gehängt. Ich kroch mit dem Gesicht möglichst dicht am Boden, gegen den Hellem Himmel scharf ausspähend, ob sich nicht die feindlichen Vorposten davon abhoben. Nach einiger Zeit sehe ich die Postenkette der Engländer und muß mich nun entschließen, an welcher Stelle ich sie durchbrechen will. Ich schleiche um ihrer Front entlang; die Posten stehn dicht. Da finde ich eine größere Lücke. Das ist der richtige Platz. Langsam rutsche ich vorwärts, jetzt bin ich auf gleicher Höhe mit den Nebenposten und fühle mich schon in Sicher¬ heit, da, noch ein Schritt, ich erschrecke, und gleich mir mein Gegenüber. Ans der Erde erheben sich Gestalten; einige laufen davon, einige stürzen sich über mich, Rimcls up, schreit es, viele Hände halten mich fest, ich bin gefangen. Ich meine in den Boden versinken zu müssen vor Schmach und Schande und bleibe ganz apathisch gegen das, was man mit mir thut. Nach meiner Ent¬ waffnung und Wegnahme alles dessen, was ich bei mir trage, werde ich unter Schimpfreden hinter der englischen Posteilkette entlang und um unser Lager nach rückivärts liegenden Abteilungen geführt. Wir machen einen mehrstün- *) Unter Maat wird der Kamerad verstanden, mit dem man einen Vertrag gegenseitiger Hilfeleistung abgeschlossen hat. Diese Verpflichtung besteht nur für die Dauer des Gefechts.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/332>, abgerufen am 22.07.2024.