Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.Nie ersten Lebenszeichen der Neuen Bachgesellschaft das höchste Erstaunen, in diesem Werke Bach als Vorläufer Offenbachs zu Als reproduktive Leistungen boten die Aufführungen des Ausgezeichneten Grenzboten II 1901 41
Nie ersten Lebenszeichen der Neuen Bachgesellschaft das höchste Erstaunen, in diesem Werke Bach als Vorläufer Offenbachs zu Als reproduktive Leistungen boten die Aufführungen des Ausgezeichneten Grenzboten II 1901 41
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0329" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234859"/> <fw type="header" place="top"> Nie ersten Lebenszeichen der Neuen Bachgesellschaft</fw><lb/> <p xml:id="ID_964" prev="#ID_963"> das höchste Erstaunen, in diesem Werke Bach als Vorläufer Offenbachs zu<lb/> finden; nach der Auslegung, die Spitta von diesem ckramiriÄ in »M8i<z» giebt,<lb/> hatte das mich niemand erwarten können. Auch die Vorführung dreier Braudcn-<lb/> burgischer Konzerte gehört zu den uttbcstreitbareu Verdiensten des Festes,</p><lb/> <p xml:id="ID_965" next="#ID_966"> Als reproduktive Leistungen boten die Aufführungen des Ausgezeichneten<lb/> genug, und auf verschiednen Wegen wurde es erreicht. Von der Hochschule<lb/> durch feste Ausprägung des Grundcharakters der Sätze, eminent musikalisch,<lb/> von andern durch das Streben nach sinnliche!? Wirkungen oder im geraden<lb/> Gegensatz dazu durch Schlichtheit und Natürlichkeit. Nerschiednes, einzelne<lb/> Sätze aus der Kantate „Christ lag in Todesbanden," die Violinsonate, die<lb/> Motette, Mescharts Meistergesang, der erste Chor ans dem Aotus, aus dem<lb/> Gloria der ?-<tur-Messe wird deu Festteilnehmern noch lange nachklingen.<lb/> Daß manche Sätze, manche Stellen versagten, muß offen ausgesprochen werden.<lb/> Langweile sich das Publikum hente und liest morgen, daß alles vollendet und<lb/> herrlich war, so wird es am Komponisten irre oder verfällt der schon ge¬<lb/> nügend entwickelten Mnsikhcnchelei noch mehr. Solche tote Augenblicke nud<lb/> Minuten gab es beim Berliner Bachfest mehr als einmal. Zuweilen waren sie<lb/> dnrch mangelhaftes Eindringen in Text und Situation, durch NichtVerständnis<lb/> von Bachs Intentionen verursacht. Einen Hauptfall dieser Art bot in der<lb/> Kantate: „Gott der Herr" das Duett: „Gott, und Gott, verlaß die Deinen<lb/> nicht." Daß die Orchesterstellen hier eine Kriegsmusik bedeuten, die die Betenden<lb/> erschrecken soll, konnte aus dem matten Vortrag niemand ahnen. Noch häufiger<lb/> zeigte sich Nnbekauutschnft mit feststehenden Gesetzen des Bachstils, falsche Be¬<lb/> handlung des Accompagnements, der Besetzung und der Dynamik. Durch<lb/> farblose und leblose Begleitung der Orgel oder des Cembalos gingen viele<lb/> schöne Sätze verloren: fast der ganze Dialog „O Ewigkeit," die Arien der<lb/> Frauen und des Tenors im „Zufriedengestellten Aotus," auch manche Ab¬<lb/> schnitte in deu Konzerten. In der Besetzung begann das Fest sofort mit einer<lb/> Enttäuschung: die Hörner waren im ersten Satz der ersten Kantate nicht im¬<lb/> stande, das führende Thema zur gebührenden Geltung zu bringen. Ähnlich<lb/> blieb es bis zum Schluß des dritten Tages: nirgends ein wirklich Bachsches<lb/> Orchester, sondern bis auf kleine Modifikationen das gewohnte moderne Orchester<lb/> mit dem kolossalen Mergewicht der Streicher. In der Dynamik konnte man<lb/> zwei entgegengesetzte Methoden bemerken: vollständig subjektives Ermessen auf<lb/> der eitlen Seite, auf der andern strengster Gehorsam gegen den Wortlaut der<lb/> Noten. Beide sind vom Übel, die gefährlichere ist aber wohl die zweite. Mit<lb/> ihr kam es in der ^ eappölla vorgetragnen Motette „Jesu, meine Freude"<lb/> sogar zu falsche» Akkorde»; man hatte die geschichtlich genügend verbürgte<lb/> Thatsache, daß auch die Bachschen Motetten mit sechzehnfüßigen Orgelstimmen<lb/> begleitet wurden, außer acht gelassen und nicht einmal für nötig oder erlaubt<lb/> gehalten, an den Stellen, wo die Bässe über die Tenöre hinausschreiten , die<lb/> untere Oktav mitsingen zu lassen. Um derartigen Vergehen gegen Bach fernerhin<lb/> zu steuern, um über Schwierigkeiten, wie sie in Berlin z. V. die Hörner boten,</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1901 41</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0329]
Nie ersten Lebenszeichen der Neuen Bachgesellschaft
das höchste Erstaunen, in diesem Werke Bach als Vorläufer Offenbachs zu
finden; nach der Auslegung, die Spitta von diesem ckramiriÄ in »M8i<z» giebt,
hatte das mich niemand erwarten können. Auch die Vorführung dreier Braudcn-
burgischer Konzerte gehört zu den uttbcstreitbareu Verdiensten des Festes,
Als reproduktive Leistungen boten die Aufführungen des Ausgezeichneten
genug, und auf verschiednen Wegen wurde es erreicht. Von der Hochschule
durch feste Ausprägung des Grundcharakters der Sätze, eminent musikalisch,
von andern durch das Streben nach sinnliche!? Wirkungen oder im geraden
Gegensatz dazu durch Schlichtheit und Natürlichkeit. Nerschiednes, einzelne
Sätze aus der Kantate „Christ lag in Todesbanden," die Violinsonate, die
Motette, Mescharts Meistergesang, der erste Chor ans dem Aotus, aus dem
Gloria der ?-<tur-Messe wird deu Festteilnehmern noch lange nachklingen.
Daß manche Sätze, manche Stellen versagten, muß offen ausgesprochen werden.
Langweile sich das Publikum hente und liest morgen, daß alles vollendet und
herrlich war, so wird es am Komponisten irre oder verfällt der schon ge¬
nügend entwickelten Mnsikhcnchelei noch mehr. Solche tote Augenblicke nud
Minuten gab es beim Berliner Bachfest mehr als einmal. Zuweilen waren sie
dnrch mangelhaftes Eindringen in Text und Situation, durch NichtVerständnis
von Bachs Intentionen verursacht. Einen Hauptfall dieser Art bot in der
Kantate: „Gott der Herr" das Duett: „Gott, und Gott, verlaß die Deinen
nicht." Daß die Orchesterstellen hier eine Kriegsmusik bedeuten, die die Betenden
erschrecken soll, konnte aus dem matten Vortrag niemand ahnen. Noch häufiger
zeigte sich Nnbekauutschnft mit feststehenden Gesetzen des Bachstils, falsche Be¬
handlung des Accompagnements, der Besetzung und der Dynamik. Durch
farblose und leblose Begleitung der Orgel oder des Cembalos gingen viele
schöne Sätze verloren: fast der ganze Dialog „O Ewigkeit," die Arien der
Frauen und des Tenors im „Zufriedengestellten Aotus," auch manche Ab¬
schnitte in deu Konzerten. In der Besetzung begann das Fest sofort mit einer
Enttäuschung: die Hörner waren im ersten Satz der ersten Kantate nicht im¬
stande, das führende Thema zur gebührenden Geltung zu bringen. Ähnlich
blieb es bis zum Schluß des dritten Tages: nirgends ein wirklich Bachsches
Orchester, sondern bis auf kleine Modifikationen das gewohnte moderne Orchester
mit dem kolossalen Mergewicht der Streicher. In der Dynamik konnte man
zwei entgegengesetzte Methoden bemerken: vollständig subjektives Ermessen auf
der eitlen Seite, auf der andern strengster Gehorsam gegen den Wortlaut der
Noten. Beide sind vom Übel, die gefährlichere ist aber wohl die zweite. Mit
ihr kam es in der ^ eappölla vorgetragnen Motette „Jesu, meine Freude"
sogar zu falsche» Akkorde»; man hatte die geschichtlich genügend verbürgte
Thatsache, daß auch die Bachschen Motetten mit sechzehnfüßigen Orgelstimmen
begleitet wurden, außer acht gelassen und nicht einmal für nötig oder erlaubt
gehalten, an den Stellen, wo die Bässe über die Tenöre hinausschreiten , die
untere Oktav mitsingen zu lassen. Um derartigen Vergehen gegen Bach fernerhin
zu steuern, um über Schwierigkeiten, wie sie in Berlin z. V. die Hörner boten,
Grenzboten II 1901 41
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