Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.Gedanken zur Revision des Rrankenversicherun^sgejetzes Als nationalökonomisches Kuriosum tönt ich mir nebenbei erwähnen, daß Daß die häufig als Muster hingestellten Fabrikknssen infolge freundschaft¬ Wenn wegen der Überlastung mit Arzneikosten von den Krankenkassen so Gedanken zur Revision des Rrankenversicherun^sgejetzes Als nationalökonomisches Kuriosum tönt ich mir nebenbei erwähnen, daß Daß die häufig als Muster hingestellten Fabrikknssen infolge freundschaft¬ Wenn wegen der Überlastung mit Arzneikosten von den Krankenkassen so <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0320" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234850"/> <fw type="header" place="top"> Gedanken zur Revision des Rrankenversicherun^sgejetzes</fw><lb/> <p xml:id="ID_939"> Als nationalökonomisches Kuriosum tönt ich mir nebenbei erwähnen, daß<lb/> bei der geschilderten Art dein kleinen Unternehmer ohne Betriebskrankenkasse<lb/> gegenüber eine geringere Belastung der großen Unternehmer mit Betriebskranken¬<lb/> kassen durch die Festsetzung eines verhältnismäßig niedrige», der Berechnung<lb/> zu Grunde liegenden sogenannten Durchschnittsarbeitsverdienstes erzielt werden<lb/> kann. Ob in dieser Hinsicht ein verbreiteter Mißbrauch besteht, weiß ich nicht,<lb/> und es läßt sich auch schwer feststellen, ich habe ihn nur gelegentlich gefunden.<lb/> Eine verführerische und auch übliche Art, die Betriebskrankenkassen finanziell<lb/> zu entlasten, besteht auch darin, daß der Fabrikkassenarzt, wenn er sich bei der<lb/> Boruntersuchung und Entscheidung der Frage, ob ein Arbeitsuchender zur Auf¬<lb/> nahme geeignet sei, geirrt hat, nachher, sobald er beobachtet, daß ein Arbeiter<lb/> doch zu häufigen Erkrankungen und finanziellen Ansprüchen an die Kassen<lb/> neigt, ihn dem Betriebsinhnber zur Entlassung vorschlägt. Daß die geschilderte<lb/> Praxis furchtbare Härten birgt, und deu Arzt häufig zum Heuler macht sür<lb/> den mit einem Gebrechen behafteten Arbeitsuchenden, der vergebens von Fabrik<lb/> zu Fabrik geht und sich auf dein Arbeitsmarkt wie ein Geächteter vorkommt,<lb/> ist bekannt.</p><lb/> <p xml:id="ID_940"> Daß die häufig als Muster hingestellten Fabrikknssen infolge freundschaft¬<lb/> licher oder verwandtschaftlicher Beziehungen zwischen Inhaber und Arzt diesem<lb/> ein höheres Gehalt zahlen als notwendig wäre, und als beispielsweise eine<lb/> selbständige Arbeiterkasse zahlt, in dein Falle, daß sie mit dem Arzte kontra¬<lb/> hiert hat, ist ebenso notorisch, wie es für die Kasseninitglieder ungerecht und<lb/> für die Ärzte unwürdig ist. Die Statistik sagt, daß die Arztkosten bei deu<lb/> Fabrikkrankenkasseu auf je ein Mitglied im Jahre 1890 4 Mark 47 Pfennige<lb/> betragen, bei den Ortskrankenkasse» 2 Mark 79 Pfennige, durchschnittlich bei<lb/> alleu Kassen 3 Mark. Diese Zahlen sagen genug. Im großen und ganzen<lb/> habe ich gefunden, daß die Versicherten in den Betriebskrankenkassen keine<lb/> wohlthätigen Institute sehen, und sich in der Vertretung ihrer Rechte sehr be¬<lb/> hindert fühlen.</p><lb/> <p xml:id="ID_941" next="#ID_942"> Wenn wegen der Überlastung mit Arzneikosten von den Krankenkassen so<lb/> viel Aufhebens gemacht wird, so sehe ich den einzigen Grund dafür, daß es<lb/> eine Apothekerfrage in der Krankenversicherung giebt, in dem Vorhandensein<lb/> von etwa 23000 Trägern der Krankenversicherung. Die Krankenkassen haben<lb/> größtenteils noch nicht die Preisbildung auf dem Arzneimarkte begriffen und<lb/> verstehn nicht, wie nur infolge ihrer mangelnden. Sachkenntnis das Arznei¬<lb/> ausgabenkonto so gewaltig gestiegen ist. Auf Grund einer sorgfältigen Be¬<lb/> arbeitung dieser Frage sagt Dr. Landmann in seiner Broschüre „Die Apotheker¬<lb/> frage und die Krankenkassen": Der Laicnstandpunkt der Verwaltungen, der<lb/> einem Eindringen in die Geheimnisse des Arzneiverkehrs und die Geschäfts¬<lb/> praktiken der Apotheker hinderlich war, dazu der Mangel an einen, einheit<lb/> lichen Vorgehn infolge der Zersplitterung des Krankenkassenwesens konnte ein<lb/> andres Ergebnis (als das einer allmählichen Überlastung) nicht zeitigen. Dafür<lb/> dient auch zum Beweise, daß die deutsche» Krankenkassen, die 1885 mit einem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0320]
Gedanken zur Revision des Rrankenversicherun^sgejetzes
Als nationalökonomisches Kuriosum tönt ich mir nebenbei erwähnen, daß
bei der geschilderten Art dein kleinen Unternehmer ohne Betriebskrankenkasse
gegenüber eine geringere Belastung der großen Unternehmer mit Betriebskranken¬
kassen durch die Festsetzung eines verhältnismäßig niedrige», der Berechnung
zu Grunde liegenden sogenannten Durchschnittsarbeitsverdienstes erzielt werden
kann. Ob in dieser Hinsicht ein verbreiteter Mißbrauch besteht, weiß ich nicht,
und es läßt sich auch schwer feststellen, ich habe ihn nur gelegentlich gefunden.
Eine verführerische und auch übliche Art, die Betriebskrankenkassen finanziell
zu entlasten, besteht auch darin, daß der Fabrikkassenarzt, wenn er sich bei der
Boruntersuchung und Entscheidung der Frage, ob ein Arbeitsuchender zur Auf¬
nahme geeignet sei, geirrt hat, nachher, sobald er beobachtet, daß ein Arbeiter
doch zu häufigen Erkrankungen und finanziellen Ansprüchen an die Kassen
neigt, ihn dem Betriebsinhnber zur Entlassung vorschlägt. Daß die geschilderte
Praxis furchtbare Härten birgt, und deu Arzt häufig zum Heuler macht sür
den mit einem Gebrechen behafteten Arbeitsuchenden, der vergebens von Fabrik
zu Fabrik geht und sich auf dein Arbeitsmarkt wie ein Geächteter vorkommt,
ist bekannt.
Daß die häufig als Muster hingestellten Fabrikknssen infolge freundschaft¬
licher oder verwandtschaftlicher Beziehungen zwischen Inhaber und Arzt diesem
ein höheres Gehalt zahlen als notwendig wäre, und als beispielsweise eine
selbständige Arbeiterkasse zahlt, in dein Falle, daß sie mit dem Arzte kontra¬
hiert hat, ist ebenso notorisch, wie es für die Kasseninitglieder ungerecht und
für die Ärzte unwürdig ist. Die Statistik sagt, daß die Arztkosten bei deu
Fabrikkrankenkasseu auf je ein Mitglied im Jahre 1890 4 Mark 47 Pfennige
betragen, bei den Ortskrankenkasse» 2 Mark 79 Pfennige, durchschnittlich bei
alleu Kassen 3 Mark. Diese Zahlen sagen genug. Im großen und ganzen
habe ich gefunden, daß die Versicherten in den Betriebskrankenkassen keine
wohlthätigen Institute sehen, und sich in der Vertretung ihrer Rechte sehr be¬
hindert fühlen.
Wenn wegen der Überlastung mit Arzneikosten von den Krankenkassen so
viel Aufhebens gemacht wird, so sehe ich den einzigen Grund dafür, daß es
eine Apothekerfrage in der Krankenversicherung giebt, in dem Vorhandensein
von etwa 23000 Trägern der Krankenversicherung. Die Krankenkassen haben
größtenteils noch nicht die Preisbildung auf dem Arzneimarkte begriffen und
verstehn nicht, wie nur infolge ihrer mangelnden. Sachkenntnis das Arznei¬
ausgabenkonto so gewaltig gestiegen ist. Auf Grund einer sorgfältigen Be¬
arbeitung dieser Frage sagt Dr. Landmann in seiner Broschüre „Die Apotheker¬
frage und die Krankenkassen": Der Laicnstandpunkt der Verwaltungen, der
einem Eindringen in die Geheimnisse des Arzneiverkehrs und die Geschäfts¬
praktiken der Apotheker hinderlich war, dazu der Mangel an einen, einheit
lichen Vorgehn infolge der Zersplitterung des Krankenkassenwesens konnte ein
andres Ergebnis (als das einer allmählichen Überlastung) nicht zeitigen. Dafür
dient auch zum Beweise, daß die deutsche» Krankenkassen, die 1885 mit einem
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