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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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gäbe von Gründen jederzeit zur Disposition zu stellen. Sie kamen in Konflikt
zwischen ihrer Abgeordnetenpflicht und ihren. Beamtengewissen, Es gab damals
für diese Abgeordneten, da sie durch Mandatsniederlegnng nur der von ihnen
bekämpften Maßregel zum Siege verholfen hätten, nur einen einzigen loyalen
Weg, sich aus diesem Konflikte zu befreien, das war die Niederlegung ihres
Amts, Vor dem Könige, vor der Regierung und vor dem Lande würden
sie damit einen Akt der Selbstverleugnung und Pflichttreue vollzogen haben,
den man ihnen hoch, sehr hoch hätte anrechnen müssen und auch angerechnet
haben würde. Die Grenzboten haben seiner Zeit diese Auffassung vertreten,")
und wenn die Herren Graf Stirn", und vou Heydebraud diese Auffassung in
ihrer Fraktion damals vertreten hätten, so würde das ein Akt weiser Voraus¬
sicht und großer politischer Klugheit gewesen sein. Viel Herzeleid und böses
Blut wären uns dann erspart geblieben. Es kam anders. Die politischen
Beamten stimmten geschlossen gegen den Kanal und brachten ihn zu Fall. Es
erfolgte nunmehr ihre Zurdispositionstellnug. Sie mußte erfolgen, wenn nicht
der König vor seinen Landräten kapitulieren sollte. Darüber hat im Staats-
ministerium unsers Wissens nie eine Meinungsverschiedenheit bestanden. Alle
Minister fühlten das Tiefschmerzliche dieser Maßnahme, einige sogar sehr schwer.
Sie sahen auch die Bitternisse voraus, die aus dieser Saat erwachse" mußten.
Aber alle ohne Ausnahme fühlten sie, daß ihre Verantwortung vor dem Könige
und dem Lande keinen andern Weg zuließ. Es war eben eine gründlich ver-
fahrne Situation. Der verhängnisvolle Irrtum aber lag bei den Abgeord¬
neten, die als aktive Landräte direkt gegen ihre Regierung und -- was nach
alle" voraufgegangnen Einzelheiten das Schlimmste war -- gegen ihren König
stimmten, statt freiwillig ihr Amt zu opfern, "in für die Bethätigung ihrer
Abgeorduetenüberzeugnug Raum, zu bekommen.

Immerhin alle Achtung vor den Männern, die zwar geirrt haben, aber
tapfer genug waren, mit ihrer ganzen Person für ihre Überzeugung einzustehn!
Es war durchaus richtig gehandelt, daß die Regierung der schweren Lage, in
der diese Beamten schon wegen des Fraktionsdrucks gewesen waren, Rechnung
trug und sie nach und nach wieder anstellte. Der neuerdings von der frei¬
sinnigen Presse wiederholt ausgesprochne Gedanke, daß man gehofft habe, durch
diese Wiederanstellungen eine Mehrheit in der konservativen Fraktion für die
zweite Kanalvorlage zu erzielen, ist so ordinär und subaltern, daß er niedriger
gehängt zu werden verdient. Graf Bülow hat echt ftantsmünnisch gehandelt,
"is er jeden Zweifel darüber ausschloß, daß die Regierung bei ihre", neuen
und erweiterten wasserwirtschaftlichen Projekt -- diesesmal sichtlich unter Zu¬
stimmung des Kaisers -- ausschließlich vom wirtschaftliche,? Standpunkt aus¬
ging. Ob die Erweiterung dieses zweiten Projekts durch die zugleich vorgelegten
Plane zu den großartigen Kompensationsbanten taktisch richtig war, mag dahin



') Grenzboten, Jahrgang 58 von 1L99, Ur. 4ü, Seite 273 "Die Staatsregierung und
d>e Konservativen in Preußen."

gäbe von Gründen jederzeit zur Disposition zu stellen. Sie kamen in Konflikt
zwischen ihrer Abgeordnetenpflicht und ihren. Beamtengewissen, Es gab damals
für diese Abgeordneten, da sie durch Mandatsniederlegnng nur der von ihnen
bekämpften Maßregel zum Siege verholfen hätten, nur einen einzigen loyalen
Weg, sich aus diesem Konflikte zu befreien, das war die Niederlegung ihres
Amts, Vor dem Könige, vor der Regierung und vor dem Lande würden
sie damit einen Akt der Selbstverleugnung und Pflichttreue vollzogen haben,
den man ihnen hoch, sehr hoch hätte anrechnen müssen und auch angerechnet
haben würde. Die Grenzboten haben seiner Zeit diese Auffassung vertreten,»)
und wenn die Herren Graf Stirn», und vou Heydebraud diese Auffassung in
ihrer Fraktion damals vertreten hätten, so würde das ein Akt weiser Voraus¬
sicht und großer politischer Klugheit gewesen sein. Viel Herzeleid und böses
Blut wären uns dann erspart geblieben. Es kam anders. Die politischen
Beamten stimmten geschlossen gegen den Kanal und brachten ihn zu Fall. Es
erfolgte nunmehr ihre Zurdispositionstellnug. Sie mußte erfolgen, wenn nicht
der König vor seinen Landräten kapitulieren sollte. Darüber hat im Staats-
ministerium unsers Wissens nie eine Meinungsverschiedenheit bestanden. Alle
Minister fühlten das Tiefschmerzliche dieser Maßnahme, einige sogar sehr schwer.
Sie sahen auch die Bitternisse voraus, die aus dieser Saat erwachse» mußten.
Aber alle ohne Ausnahme fühlten sie, daß ihre Verantwortung vor dem Könige
und dem Lande keinen andern Weg zuließ. Es war eben eine gründlich ver-
fahrne Situation. Der verhängnisvolle Irrtum aber lag bei den Abgeord¬
neten, die als aktive Landräte direkt gegen ihre Regierung und — was nach
alle» voraufgegangnen Einzelheiten das Schlimmste war — gegen ihren König
stimmten, statt freiwillig ihr Amt zu opfern, »in für die Bethätigung ihrer
Abgeorduetenüberzeugnug Raum, zu bekommen.

Immerhin alle Achtung vor den Männern, die zwar geirrt haben, aber
tapfer genug waren, mit ihrer ganzen Person für ihre Überzeugung einzustehn!
Es war durchaus richtig gehandelt, daß die Regierung der schweren Lage, in
der diese Beamten schon wegen des Fraktionsdrucks gewesen waren, Rechnung
trug und sie nach und nach wieder anstellte. Der neuerdings von der frei¬
sinnigen Presse wiederholt ausgesprochne Gedanke, daß man gehofft habe, durch
diese Wiederanstellungen eine Mehrheit in der konservativen Fraktion für die
zweite Kanalvorlage zu erzielen, ist so ordinär und subaltern, daß er niedriger
gehängt zu werden verdient. Graf Bülow hat echt ftantsmünnisch gehandelt,
"is er jeden Zweifel darüber ausschloß, daß die Regierung bei ihre», neuen
und erweiterten wasserwirtschaftlichen Projekt — diesesmal sichtlich unter Zu¬
stimmung des Kaisers — ausschließlich vom wirtschaftliche,? Standpunkt aus¬
ging. Ob die Erweiterung dieses zweiten Projekts durch die zugleich vorgelegten
Plane zu den großartigen Kompensationsbanten taktisch richtig war, mag dahin



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/311>, abgerufen am 03.07.2024.