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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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eil? hinteres Glied der feindlichen Truppen ist auch an dem Drahtzaun an¬
gekommen, da hallt ein Schuß über das Feld, und mit einem Schlage fallen
unsre Büchsen ein. Ein wildes Geknatter hat begonnen. Ich sehe Gestalten
am Drahtzaune Sprünge machen wie vom Boden emporgeschnellt, die Hände
in die Höhe werfen und hinten überfallen; einzelne, sofort tot, bleiben am
Stacheldraht in der Luft hangen, andre laufen zurück, ohne sich vor der sichern
Kugel retten zu können. Die ganze feindliche Linie flutet zurück. Vergeblich
suchen die Offiziere, sich dem gewissen Tode aussetzend, die Mannschaften zum
stehn zu bringen. Dies gelingt erst nach und nach, und es entspinnt sich ein
langsameres Schützengefecht, das bis acht Uhr des Morgens andauert. Dann
schläft auch dieses unter der Wirkung der Sonnenglut ein. Der Feind hat
sich immer weiter zurückgezogen. Nur von unsrer linke" Flanke her, wo Delareh
noch im Kampfe ist, hören wir lebhaftes Gewehrfeuer. Die englische Artillerie
hat die Beschießung wieder in voller Stärke gegen uns begonnen und hindert
eine Verfolgung des Feindes.

Eine trotz des Ernstes der Lage der Konnt nicht entbehrende Gefechts¬
szene scheint mir erwähnenswert. Ein englischer Offizier war bei dem ersten
Anlauf bis auf fünfzehn Schritt an mich herangekommen und hatte sich dann,
mich erblickend, zu Boden geworfen. "Wenn er sich erhebe, rief ich ihm auf
Englisch zu, würde ich ihn erschießen." So blieb er denn, platt auf dem
Boden, viele Stunden lang liegen, bei jedem Schuß ans meinem Gewehr
den Kopf tief in den Boden drückend. Es war ein ewiges ans und nieder,
verstecken und wieder auftauchen des Kopfes. Einmal verabreichte ich ihm auf
seine Klagen über Durst mein Trinkwasser, mehr konnte unter dem Geschütz¬
feuer seiner Landsleute für ihn nicht gethan werden. Nachdem dieses am
Abend eingestellt worden war, nahmen wir ihn gefangen, ließen ihn aber einige
Tage darauf wieder laufen, weil wir nichts mit ihm anzufangen wußten. Als
später mein Nebenmann von einem feindlichen Trupp unter dem Befehl des¬
selben Offiziers gefangen genommen wurde, hat er ihm unsre Gutthaten ver¬
golten und dabei bedauert, daß er uicht in der Lage sei, auch ihm die Freiheit
wiederzugeben.

Ein andrer Trupp gefangner Engländer erzählte uns, daß sie unmittelbar
von England angekommen und aus dem bei der Front eingetroffnen Eisen-
bahnzüge, ohne das englische Lager zu berühren, gegen unsre Position geführt
worden seien. Sie sprachen ihre Verwundrung darüber ans, daß wir von
weißer Gesichtsfarbe und keine Schwarzen seien, wie sie gemeint hätten. Die
Gesellschaft war hungrig und durstig und dankbar, daß wir ihnen zu essen und
zu trinken gaben. Noch am Abend thaten sich die Freunde und Bekannten der
vierzig bis fünfzig gefallnen Buren zusammen, um sie zu beerdigen. Man hob
Einzelgräber aus. Nur wo der Tod Freunde oder Angehörige vereint hatte,
legte man sie in ein gemeinschaftliches Grab, doch nie mehr als zwei zu¬
sammen. Ein gemeinsamer Gottesdienst wurde abgehalten; dann schloß man
die Gräber.


eil? hinteres Glied der feindlichen Truppen ist auch an dem Drahtzaun an¬
gekommen, da hallt ein Schuß über das Feld, und mit einem Schlage fallen
unsre Büchsen ein. Ein wildes Geknatter hat begonnen. Ich sehe Gestalten
am Drahtzaune Sprünge machen wie vom Boden emporgeschnellt, die Hände
in die Höhe werfen und hinten überfallen; einzelne, sofort tot, bleiben am
Stacheldraht in der Luft hangen, andre laufen zurück, ohne sich vor der sichern
Kugel retten zu können. Die ganze feindliche Linie flutet zurück. Vergeblich
suchen die Offiziere, sich dem gewissen Tode aussetzend, die Mannschaften zum
stehn zu bringen. Dies gelingt erst nach und nach, und es entspinnt sich ein
langsameres Schützengefecht, das bis acht Uhr des Morgens andauert. Dann
schläft auch dieses unter der Wirkung der Sonnenglut ein. Der Feind hat
sich immer weiter zurückgezogen. Nur von unsrer linke» Flanke her, wo Delareh
noch im Kampfe ist, hören wir lebhaftes Gewehrfeuer. Die englische Artillerie
hat die Beschießung wieder in voller Stärke gegen uns begonnen und hindert
eine Verfolgung des Feindes.

Eine trotz des Ernstes der Lage der Konnt nicht entbehrende Gefechts¬
szene scheint mir erwähnenswert. Ein englischer Offizier war bei dem ersten
Anlauf bis auf fünfzehn Schritt an mich herangekommen und hatte sich dann,
mich erblickend, zu Boden geworfen. „Wenn er sich erhebe, rief ich ihm auf
Englisch zu, würde ich ihn erschießen." So blieb er denn, platt auf dem
Boden, viele Stunden lang liegen, bei jedem Schuß ans meinem Gewehr
den Kopf tief in den Boden drückend. Es war ein ewiges ans und nieder,
verstecken und wieder auftauchen des Kopfes. Einmal verabreichte ich ihm auf
seine Klagen über Durst mein Trinkwasser, mehr konnte unter dem Geschütz¬
feuer seiner Landsleute für ihn nicht gethan werden. Nachdem dieses am
Abend eingestellt worden war, nahmen wir ihn gefangen, ließen ihn aber einige
Tage darauf wieder laufen, weil wir nichts mit ihm anzufangen wußten. Als
später mein Nebenmann von einem feindlichen Trupp unter dem Befehl des¬
selben Offiziers gefangen genommen wurde, hat er ihm unsre Gutthaten ver¬
golten und dabei bedauert, daß er uicht in der Lage sei, auch ihm die Freiheit
wiederzugeben.

Ein andrer Trupp gefangner Engländer erzählte uns, daß sie unmittelbar
von England angekommen und aus dem bei der Front eingetroffnen Eisen-
bahnzüge, ohne das englische Lager zu berühren, gegen unsre Position geführt
worden seien. Sie sprachen ihre Verwundrung darüber ans, daß wir von
weißer Gesichtsfarbe und keine Schwarzen seien, wie sie gemeint hätten. Die
Gesellschaft war hungrig und durstig und dankbar, daß wir ihnen zu essen und
zu trinken gaben. Noch am Abend thaten sich die Freunde und Bekannten der
vierzig bis fünfzig gefallnen Buren zusammen, um sie zu beerdigen. Man hob
Einzelgräber aus. Nur wo der Tod Freunde oder Angehörige vereint hatte,
legte man sie in ein gemeinschaftliches Grab, doch nie mehr als zwei zu¬
sammen. Ein gemeinsamer Gottesdienst wurde abgehalten; dann schloß man
die Gräber.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/274>, abgerufen am 22.07.2024.