Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.Zurück zu Aantl des Kindes im Dunkel des Mutterleibes. Man verwechselt nun häufig die Zurück zu Aantl des Kindes im Dunkel des Mutterleibes. Man verwechselt nun häufig die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0026" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234556"/> <fw type="header" place="top"> Zurück zu Aantl</fw><lb/> <p xml:id="ID_43" prev="#ID_42" next="#ID_44"> des Kindes im Dunkel des Mutterleibes. Man verwechselt nun häufig die<lb/> chronologische Aufeinanderfolge mit der logischen Folgerung, hält für Er¬<lb/> klärung, was bloße Beschreibung oder Geschichte sein würde Mre die Richtig¬<lb/> keit der Darwinischen Stammbäume des Menschen erwiesen, sagt er an andrer<lb/> Stelle, so hätten wir eben unsre Ahnengalerie, aber keine wissenschaftliche Er¬<lb/> klärung unsrer Entstehung^, und begeht hiermit den von David Hume gerügten<lb/> Fehlschluß: xost lloo, er^o prope-ör toe. Wüßte man, was man vermutet und<lb/> als Hypothese hinstellt, nämlich daß die Vielheit der Tier- und Pflanzen¬<lb/> formen mittels Vererbung, Variabilität, Kampf ums Dasein und natürlicher<lb/> Auslese aus einem Urorganismus hervorgegangen sei, so wäre jaußer den<lb/> vielen schon vorhandnen ein neues^ unerklärtes Faktum konstatiert. Man<lb/> hätte die Organismen aus dem Organismus abgeleitet. Man wüßte, was<lb/> durch die Fortpflanzung entsteht, aber nicht, warum es entsteht. Wenn man<lb/> die Deszendenzhypothese nicht als historische Rekonstruktion, sondern als kau¬<lb/> sale Theorie angesehen wissen will, so gleicht man aufs Haar einem, der die<lb/> Existenz des Eichbaums aus der Existenz der Eichel erklärt." Die Vererbung,<lb/> mit der manche alles erklärt zu haben glauben, ist ja nicht Ursache, sondern<lb/> eben die staunenswerte Wirkung einer unbekannten und unerforschlichen Ur¬<lb/> sache. Wie geht es zu, müssen wir fragen, daß dem mikroskopischen Samen<lb/> die Kraft inne wohnt, ein Gebilde aus sich hervorzutreiben, das alle Teile<lb/> hat, die der väterliche und der mütterliche Leib haben, sie in derselben Lage<lb/> hat, daß das Gesicht nach Abschluß des jahrelangen Werdeprozesses die Züge<lb/> des einen oder des andern der Eltern zeigt, und daß sogar ein Muttermal,<lb/> oft erst lange nach der Geburt des Kindes, an derselben Stelle erscheint, wo<lb/> es die Mutter hat? Und alle jene von Darwin genannten Einflüsse, wie der<lb/> Kampf ums Dasein, sind nur Gelegenheitsursachen, die — die Nichtigkeit der<lb/> Hypothese vorausgesetzt — die Bildungskraft veranlassen, in dieser oder jener<lb/> Richtung zu wirken, diese geheimnisvolle Bildungskraft selbst, die bewirkende<lb/> Ursache, sind sie nicht. Sie sind, was der Funken im Pulverfaß ist; die<lb/> eigentliche Ursache der Explosion ist bekanntlich nicht dieser, sondern die im<lb/> Pulver gebundne Spannkraft seiner Bestandteile. Ein mit Liebmann befreundeter<lb/> Zoologe hat in einem Gespräch über den Gegenstand geäußert: Das wissen<lb/> wir ja so schon, daß bei der Geschichte keine Hexerei im Spiele ist. Dazu<lb/> bemerkt Liebmann: „Vollkommen einverstanden, wenn erstens unter Wissen die<lb/> subjektive Überzeugung verstanden wird, und wenn zweitens Hexerei ein natur¬<lb/> widriges, übernatürliches, nicht naturgesetzlich begründetes Ereignis bedeuten<lb/> soll. Sollte hingegen jener populäre Ausdruck, an dessen Stelle die geschniegelte<lb/> Schriftsprache das Wort Wunder setzen würde, so viel bedeuten wie das, was<lb/> aus den uns bekannten Naturgesetzen nicht erklärt werden kann, so wäre der<lb/> Satz falsch. Dann nämlich wäre nicht nur das tierische und das pflanzliche<lb/> Leben, sondern schon die von der Erde auf den herabfallenden Stein oder<lb/> auf deu fünfzigtausend Meilen weit von uns im Weltraum fliegenden Mond<lb/> ausgeübte Anziehung eine Hexerei, ja ganz allgemein die thatsächliche Geltung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0026]
Zurück zu Aantl
des Kindes im Dunkel des Mutterleibes. Man verwechselt nun häufig die
chronologische Aufeinanderfolge mit der logischen Folgerung, hält für Er¬
klärung, was bloße Beschreibung oder Geschichte sein würde Mre die Richtig¬
keit der Darwinischen Stammbäume des Menschen erwiesen, sagt er an andrer
Stelle, so hätten wir eben unsre Ahnengalerie, aber keine wissenschaftliche Er¬
klärung unsrer Entstehung^, und begeht hiermit den von David Hume gerügten
Fehlschluß: xost lloo, er^o prope-ör toe. Wüßte man, was man vermutet und
als Hypothese hinstellt, nämlich daß die Vielheit der Tier- und Pflanzen¬
formen mittels Vererbung, Variabilität, Kampf ums Dasein und natürlicher
Auslese aus einem Urorganismus hervorgegangen sei, so wäre jaußer den
vielen schon vorhandnen ein neues^ unerklärtes Faktum konstatiert. Man
hätte die Organismen aus dem Organismus abgeleitet. Man wüßte, was
durch die Fortpflanzung entsteht, aber nicht, warum es entsteht. Wenn man
die Deszendenzhypothese nicht als historische Rekonstruktion, sondern als kau¬
sale Theorie angesehen wissen will, so gleicht man aufs Haar einem, der die
Existenz des Eichbaums aus der Existenz der Eichel erklärt." Die Vererbung,
mit der manche alles erklärt zu haben glauben, ist ja nicht Ursache, sondern
eben die staunenswerte Wirkung einer unbekannten und unerforschlichen Ur¬
sache. Wie geht es zu, müssen wir fragen, daß dem mikroskopischen Samen
die Kraft inne wohnt, ein Gebilde aus sich hervorzutreiben, das alle Teile
hat, die der väterliche und der mütterliche Leib haben, sie in derselben Lage
hat, daß das Gesicht nach Abschluß des jahrelangen Werdeprozesses die Züge
des einen oder des andern der Eltern zeigt, und daß sogar ein Muttermal,
oft erst lange nach der Geburt des Kindes, an derselben Stelle erscheint, wo
es die Mutter hat? Und alle jene von Darwin genannten Einflüsse, wie der
Kampf ums Dasein, sind nur Gelegenheitsursachen, die — die Nichtigkeit der
Hypothese vorausgesetzt — die Bildungskraft veranlassen, in dieser oder jener
Richtung zu wirken, diese geheimnisvolle Bildungskraft selbst, die bewirkende
Ursache, sind sie nicht. Sie sind, was der Funken im Pulverfaß ist; die
eigentliche Ursache der Explosion ist bekanntlich nicht dieser, sondern die im
Pulver gebundne Spannkraft seiner Bestandteile. Ein mit Liebmann befreundeter
Zoologe hat in einem Gespräch über den Gegenstand geäußert: Das wissen
wir ja so schon, daß bei der Geschichte keine Hexerei im Spiele ist. Dazu
bemerkt Liebmann: „Vollkommen einverstanden, wenn erstens unter Wissen die
subjektive Überzeugung verstanden wird, und wenn zweitens Hexerei ein natur¬
widriges, übernatürliches, nicht naturgesetzlich begründetes Ereignis bedeuten
soll. Sollte hingegen jener populäre Ausdruck, an dessen Stelle die geschniegelte
Schriftsprache das Wort Wunder setzen würde, so viel bedeuten wie das, was
aus den uns bekannten Naturgesetzen nicht erklärt werden kann, so wäre der
Satz falsch. Dann nämlich wäre nicht nur das tierische und das pflanzliche
Leben, sondern schon die von der Erde auf den herabfallenden Stein oder
auf deu fünfzigtausend Meilen weit von uns im Weltraum fliegenden Mond
ausgeübte Anziehung eine Hexerei, ja ganz allgemein die thatsächliche Geltung
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