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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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nach meinen diplomatischen Erfahrungen keinen Grund absehen, warum ein
Friedensbruch zwischen uns und England möglich sein sollte, es müßte denn
irgend ein unberechenbares Ministerium! in England, das weder da ist, noch
nach der politischen erblichen Weisheit der englischen Nation wahrscheinlich ist,
in der ruchlosesten Weise uns angreifen und beschießen -- ja mein Gott, dann
werden wir uns wehren - , aber abgesehen von dieser UnWahrscheinlichkeit ist
gar kein Grund für eine Friedensstörung, und ich bedaure, daß der Herr Vor¬
redner mich in die Notwendigkeit versetzt hat durch seine Andeutung, dieser
Möglichkeit meine Überzeugung entgegensetzen zu müsse". Unsre Meinungs¬
verschiedenheiten gegenüber England können in menschlich absehbarer Zeit nie¬
mals die Tragweite haben, daß sie nicht durch ehrlichen guten Willen und
geschickte vorsichtige Diplomatie, wie sie von unsrer Seite sicherlich getrieben
wird, erledigt werden könnten. , , , Mit England leben wir in gutem Ein¬
vernehmen. Daß England in dem Bewußtsein: Lriwimig, rulss Anz -og-oss,
etwas verwunderlich aussieht, wenn die Landratte von Vetter -- als die wir
ihm erscheinen -- plötzlich auch zur See fährt, ist nicht zu verwundern; die
Verwundrung wird indes von den höchsten und leitenden Kreisen in England
in keiner Weise geteilt. Die haben nur eine gewisse Schwierigkeit, den Aus¬
druck des Befremdens bei allen ihren Unterthanen rechtzeitig zu mäßigen. Aber
wir stehn mit England in althergebrachten befreundeten Beziehungen, und beide
Länder thun wohl daran, diese befreundeten Beziehungen zu erhalte"."

Daß England bei dem Erscheinen Deutschlands ans den Meeren verwundert
aufsah nud seine Gegenmaßregel" gegen die gefürchtete deutsche Konkurrenz
traf, wird ihm kein denkender Politiker verargen dürfen. Jeder Mensch wird
sich seiner Haut wehren und sich vor Schaden zu bewahren suchen, wenn ihm
ein Konkurrent zu Leibe rückt. Das ist so selbstverständlich wie irgend etwas,
bei England aber schalt mau es Perfidie, als es kraft seiner Erfahrung den
Rahm in der Kolonialbewegung abschöpfte. Das Inselreich würde sich damals
allerdings wohl kaum so sehr aufgeregt haben, wenn es die sehr laue deutsche
Kolonialbewegung nicht in ihrer Bedeutung gänzlich überschätzt Hütte. Un¬
möglich aber ist es, den Engländern aus ihrem Erfolg gar noch einen Vor¬
wurf zu machen: nirgendwo auf der Welt wird der Grundsatz anerkannt werden,
daß ein Volk dein andern zuliebe sich dümmer geben müsse, als es ist.
Allerdings ist Deutschland bei einigen Vertrügen mit England zu kurz ge¬
kommen. Man lese nach, was Busch, Tagebuchblätter III. Seite 195 bis 196
über die Mission des Grafen Herbert Bismarck in der Se. Lueiafrage 1885
und des Generalkonsuls Nvhlfs, des Günstlings der Söhne des Altreichs¬
kanzlers, nach Sansibar 1885 mitteilt. Bei diesen beide" Gelegenheiten ist
allerdings dort eine südafrikanische, hier eine ostafrikanische Zukunft des
Deutschen Reichs verdorben worden, aber nicht durch englische Perfidie, sondern
wegen schlechter Auswahl der deutsche" Diplomaten. Seit der Zeit ist nichts
geschehn, was ma" ernsthaft als eine Benachteiligung des deutschen Volks durch
England betrachten könnte, jedenfalls nichts von dein Standpunkt der großen


nach meinen diplomatischen Erfahrungen keinen Grund absehen, warum ein
Friedensbruch zwischen uns und England möglich sein sollte, es müßte denn
irgend ein unberechenbares Ministerium! in England, das weder da ist, noch
nach der politischen erblichen Weisheit der englischen Nation wahrscheinlich ist,
in der ruchlosesten Weise uns angreifen und beschießen — ja mein Gott, dann
werden wir uns wehren - , aber abgesehen von dieser UnWahrscheinlichkeit ist
gar kein Grund für eine Friedensstörung, und ich bedaure, daß der Herr Vor¬
redner mich in die Notwendigkeit versetzt hat durch seine Andeutung, dieser
Möglichkeit meine Überzeugung entgegensetzen zu müsse». Unsre Meinungs¬
verschiedenheiten gegenüber England können in menschlich absehbarer Zeit nie¬
mals die Tragweite haben, daß sie nicht durch ehrlichen guten Willen und
geschickte vorsichtige Diplomatie, wie sie von unsrer Seite sicherlich getrieben
wird, erledigt werden könnten. , , , Mit England leben wir in gutem Ein¬
vernehmen. Daß England in dem Bewußtsein: Lriwimig, rulss Anz -og-oss,
etwas verwunderlich aussieht, wenn die Landratte von Vetter — als die wir
ihm erscheinen — plötzlich auch zur See fährt, ist nicht zu verwundern; die
Verwundrung wird indes von den höchsten und leitenden Kreisen in England
in keiner Weise geteilt. Die haben nur eine gewisse Schwierigkeit, den Aus¬
druck des Befremdens bei allen ihren Unterthanen rechtzeitig zu mäßigen. Aber
wir stehn mit England in althergebrachten befreundeten Beziehungen, und beide
Länder thun wohl daran, diese befreundeten Beziehungen zu erhalte»."

Daß England bei dem Erscheinen Deutschlands ans den Meeren verwundert
aufsah nud seine Gegenmaßregel» gegen die gefürchtete deutsche Konkurrenz
traf, wird ihm kein denkender Politiker verargen dürfen. Jeder Mensch wird
sich seiner Haut wehren und sich vor Schaden zu bewahren suchen, wenn ihm
ein Konkurrent zu Leibe rückt. Das ist so selbstverständlich wie irgend etwas,
bei England aber schalt mau es Perfidie, als es kraft seiner Erfahrung den
Rahm in der Kolonialbewegung abschöpfte. Das Inselreich würde sich damals
allerdings wohl kaum so sehr aufgeregt haben, wenn es die sehr laue deutsche
Kolonialbewegung nicht in ihrer Bedeutung gänzlich überschätzt Hütte. Un¬
möglich aber ist es, den Engländern aus ihrem Erfolg gar noch einen Vor¬
wurf zu machen: nirgendwo auf der Welt wird der Grundsatz anerkannt werden,
daß ein Volk dein andern zuliebe sich dümmer geben müsse, als es ist.
Allerdings ist Deutschland bei einigen Vertrügen mit England zu kurz ge¬
kommen. Man lese nach, was Busch, Tagebuchblätter III. Seite 195 bis 196
über die Mission des Grafen Herbert Bismarck in der Se. Lueiafrage 1885
und des Generalkonsuls Nvhlfs, des Günstlings der Söhne des Altreichs¬
kanzlers, nach Sansibar 1885 mitteilt. Bei diesen beide» Gelegenheiten ist
allerdings dort eine südafrikanische, hier eine ostafrikanische Zukunft des
Deutschen Reichs verdorben worden, aber nicht durch englische Perfidie, sondern
wegen schlechter Auswahl der deutsche» Diplomaten. Seit der Zeit ist nichts
geschehn, was ma» ernsthaft als eine Benachteiligung des deutschen Volks durch
England betrachten könnte, jedenfalls nichts von dein Standpunkt der großen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/156>, abgerufen am 03.07.2024.