Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.Das klassische Altertum im Wandel der Geschichtsauffassung Russen eben auch auf diese Weise, nur um Jahrhunderte früher, geeinigt worden Nichts nimmt es mit Italiens Schönheit auf. -- und stolz ruft er seinen Landsleuten zu in denk Epos, das aus dein Bewußt¬ Du, Römer, sei der Herr den Völkern allen. (Wilamowitz-Möllcndorff, Reden und Vortrüge, 268 ff.) Aber was für die römische Geschichte galt, galt das auch für die griechische? Das klassische Altertum im Wandel der Geschichtsauffassung Russen eben auch auf diese Weise, nur um Jahrhunderte früher, geeinigt worden Nichts nimmt es mit Italiens Schönheit auf. — und stolz ruft er seinen Landsleuten zu in denk Epos, das aus dein Bewußt¬ Du, Römer, sei der Herr den Völkern allen. (Wilamowitz-Möllcndorff, Reden und Vortrüge, 268 ff.) Aber was für die römische Geschichte galt, galt das auch für die griechische? <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0014" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234544"/> <fw type="header" place="top"> Das klassische Altertum im Wandel der Geschichtsauffassung</fw><lb/> <p xml:id="ID_21" prev="#ID_20"> Russen eben auch auf diese Weise, nur um Jahrhunderte früher, geeinigt worden<lb/> seien, und von den Italienern erlebten wir es selbst. So behielt denn<lb/> Mommsen endlich Recht. In der That, seitdem im Marserkriege das römische<lb/> Bürgerrecht allen Jtalikern zu teil geworden war, und das Band eines ein¬<lb/> heitlichen Rechts alle freien Männer der ganzen Halbinsel umschlang, gab es<lb/> eine italische Nation und ein italisches Nationalgefühl. Niemand hat es<lb/> wärmer und schöner verherrlicht, als Virgil, der Jtaliter aus dem latinisierten<lb/> Keltenlande am Po (Georg. 2,140. 170 ff.):</p><lb/> <quote> Nichts nimmt es mit Italiens Schönheit auf. —<lb/> Sei mir gegrüßt, Saturnus heilige Erde,<lb/> Du Mutter reichster Früchte in Feld und Wald,<lb/> Mutter von Männern du —</quote><lb/> <p xml:id="ID_22"> und stolz ruft er seinen Landsleuten zu in denk Epos, das aus dein Bewußt¬<lb/> sein schicksalsbestimmter italisch-römischer Größe hervorgegangen ist, der Äneide<lb/> (0, 850 ff.):</p><lb/> <quote> Du, Römer, sei der Herr den Völkern allen.<lb/> Dein ist die Herrscherkunst, so übe sie,<lb/> Und zwing die Well, den Frieden zu ertragen,<lb/> Den Trotzgen furchtbar, mild den Überwnndnen,</quote><lb/> <note type="bibl"> (Wilamowitz-Möllcndorff, Reden und Vortrüge, 268 ff.)</note><lb/> <p xml:id="ID_23" next="#ID_24"> Aber was für die römische Geschichte galt, galt das auch für die griechische?<lb/> Für dieses Volk der Küstenländer und Inseln, das sich in zahllosen engen Kreisen<lb/> abschloß und eben in ihnen den wunderbaren Reichtum einer unvergleichlichen<lb/> Kultur entfaltete, das sich in unaufhörlichen innern Kämpfen erschöpfte und<lb/> endlich den Fremden, den Makedonien: zur Beute siel? Nun, ein sehr lebendiges<lb/> Nationalgefühl hatten doch auch die Griechen in der Zeit nach den Perserkriegen;<lb/> nur beruhte es vor allem auf der Hoheit Kultur, auf dem stolzen Bewußtsein<lb/> einer unendlichen Überlegenheit über alle „Barbaren," und zur politischen Ein¬<lb/> heit führte es nicht; ja sogar das Streben danach schien zu fehlen. Der Kampf<lb/> zwischen Athen und Sparta erschien nur als ein Ringen tun die Hegemonie, die<lb/> leitende Stellung des einen der beiden Staaten, wobei seit George Grote, der<lb/> als Bürger eines parlameiitarisch regierten Volks die attische Demokratie zuerst<lb/> gerecht würdigte, sich die Sympathien der Historiker im nllgemeineu den Athenern<lb/> zuneigten. Auch bei Ernst Curtius (Griechische Geschichte II. Bd., 1861) ist in der<lb/> Erzählung vom ersten attischen Seehunde, seiner Ausbildung und seinem Zu-<lb/> sammenbruch im peloponnesischen Kriege noch gar keine Rede davon, daß dieses<lb/> „Reich der Athener," ^ ^'^«/c^, der erste und einzige ernsthafte<lb/> Ansatz gewesen sei, einen griechischem Nationalstaat unter ätherischer Führung<lb/> zu schaffen; ja Curtius, selbst preußisch gesinnt und der Lehrer des Kron¬<lb/> prinzen Friedrich Wilhelm, des spätern Kaisers Friedrich, erzählt nicht ohne<lb/> ein gewisses Gefühl der Mißbilligung, wie Athen seine ursprünglich „gleich¬<lb/> berechtigten" Bundesgenossen, diese ohnmächtigen Jnselkleinstaateu, allmählich<lb/> zu Unterthanen hinabgedrückt und dadurch ihre Mißstimmung erregt habe, als<lb/> ob das überhaupt anders hätte sein können. Aber das war die Zeit, wo der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
Das klassische Altertum im Wandel der Geschichtsauffassung
Russen eben auch auf diese Weise, nur um Jahrhunderte früher, geeinigt worden
seien, und von den Italienern erlebten wir es selbst. So behielt denn
Mommsen endlich Recht. In der That, seitdem im Marserkriege das römische
Bürgerrecht allen Jtalikern zu teil geworden war, und das Band eines ein¬
heitlichen Rechts alle freien Männer der ganzen Halbinsel umschlang, gab es
eine italische Nation und ein italisches Nationalgefühl. Niemand hat es
wärmer und schöner verherrlicht, als Virgil, der Jtaliter aus dem latinisierten
Keltenlande am Po (Georg. 2,140. 170 ff.):
Nichts nimmt es mit Italiens Schönheit auf. —
Sei mir gegrüßt, Saturnus heilige Erde,
Du Mutter reichster Früchte in Feld und Wald,
Mutter von Männern du —
und stolz ruft er seinen Landsleuten zu in denk Epos, das aus dein Bewußt¬
sein schicksalsbestimmter italisch-römischer Größe hervorgegangen ist, der Äneide
(0, 850 ff.):
Du, Römer, sei der Herr den Völkern allen.
Dein ist die Herrscherkunst, so übe sie,
Und zwing die Well, den Frieden zu ertragen,
Den Trotzgen furchtbar, mild den Überwnndnen,
(Wilamowitz-Möllcndorff, Reden und Vortrüge, 268 ff.)
Aber was für die römische Geschichte galt, galt das auch für die griechische?
Für dieses Volk der Küstenländer und Inseln, das sich in zahllosen engen Kreisen
abschloß und eben in ihnen den wunderbaren Reichtum einer unvergleichlichen
Kultur entfaltete, das sich in unaufhörlichen innern Kämpfen erschöpfte und
endlich den Fremden, den Makedonien: zur Beute siel? Nun, ein sehr lebendiges
Nationalgefühl hatten doch auch die Griechen in der Zeit nach den Perserkriegen;
nur beruhte es vor allem auf der Hoheit Kultur, auf dem stolzen Bewußtsein
einer unendlichen Überlegenheit über alle „Barbaren," und zur politischen Ein¬
heit führte es nicht; ja sogar das Streben danach schien zu fehlen. Der Kampf
zwischen Athen und Sparta erschien nur als ein Ringen tun die Hegemonie, die
leitende Stellung des einen der beiden Staaten, wobei seit George Grote, der
als Bürger eines parlameiitarisch regierten Volks die attische Demokratie zuerst
gerecht würdigte, sich die Sympathien der Historiker im nllgemeineu den Athenern
zuneigten. Auch bei Ernst Curtius (Griechische Geschichte II. Bd., 1861) ist in der
Erzählung vom ersten attischen Seehunde, seiner Ausbildung und seinem Zu-
sammenbruch im peloponnesischen Kriege noch gar keine Rede davon, daß dieses
„Reich der Athener," ^ ^'^«/c^, der erste und einzige ernsthafte
Ansatz gewesen sei, einen griechischem Nationalstaat unter ätherischer Führung
zu schaffen; ja Curtius, selbst preußisch gesinnt und der Lehrer des Kron¬
prinzen Friedrich Wilhelm, des spätern Kaisers Friedrich, erzählt nicht ohne
ein gewisses Gefühl der Mißbilligung, wie Athen seine ursprünglich „gleich¬
berechtigten" Bundesgenossen, diese ohnmächtigen Jnselkleinstaateu, allmählich
zu Unterthanen hinabgedrückt und dadurch ihre Mißstimmung erregt habe, als
ob das überhaupt anders hätte sein können. Aber das war die Zeit, wo der
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