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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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er den Leser gewissermaßen Atem schöpfen; er berichtet ihm dann von Dingen,
an die der Historiker seinem Fache nach kaum denkt, Dinge, die zwar eine
innere Wahrheit haben, aber dnrch äußere Zeugnisse kaum belegt werden köunen.
In der Nacht vor dein Kampfe bei Plassey z. B. führt er uns in das Zelt
der beiden Gegner: Clive schläft unruhig bei dem Gedanken an die Übermacht
des Feindes, aber auch Surnjah Dowlahs Schlaf ist nicht friedlicher. Sein
Geist war verstört durch wilde und grausige Schrecken, Oder er sagt uns,
welche Gedanken Wilhelm von Oranien durch den Kopf gingen, als er das
erste Schreiben seines Schwiegervaters ans englischem Boden erhielt, Oder
um das Aussehen Irlands im Jahre 1690 zu beschreiben, benutzt er den Kunst¬
griff des Nomandichters, der lieber den Helden den Anblick einer Gegend ge¬
nießen läßt, als daß er selbst die Gegend beschreibt, Wilhelm III. ist in Ir¬
land angekommen, "Die natürliche Fruchtbarkeit des Landes, das satte Grün
des Bodens, die Buchten und die Flüsse, die für den Handel wie geschaffen
waren, mußten auf das königliche Adlerauge Eindruck machen. Vielleicht dachte
er daran, wie anders dieses unglückliche Land ausgesehen hätte, wenn es der
Segnungen einer solchen Regierung und eines solchen Glaubens teilhaft ge¬
worden wäre wie sein heimatliches Holland, das die Vewundrung der Welt
erweckt hatte," Und nun wird weiter noch bis ins einzelne ausgeführt, wie
anders es (dem Gedanken von Wilhelm nach) Hütte aussehen müssen bei andern
Bedingungen auf der Straße von Lisburn "ach Belfast, auf denn Lagganfluß,
im Hafen von Newry und in Dundalk.

Oder man betrachte einzelne Züge der wunderbaren Schilderung des Ge¬
richts über Warren Hastings in der Westminsterhalle; wenn irgendwo, so hat
Macaulay hierbei allen Glanz eines großen Stils in der Beschreibung ent¬
faltet. Daß sich Gibbon nnter den Zuschauern auf der Galerie aufhält, be¬
richtet er dort wie ein Dichter, der uns die Empfindungen seiner Personen
beschreibt, "Da war der Historiker des römischen Reichs und dachte an die
Tage, wo Cicero die Sache Siziliens gegen Verres vertrat, und wo Tacitus
vor einem Senat, der noch immer einigen Schein von Freiheit bewahrte, don¬
nernde Anklagen gegen den Unterdrücker Afrikas erhob."

Die Lebendigkeit seiner Phantasie zeigt sich vor allem in den Detail¬
schilderungen. Margareth Macaulay, die Schwester des Historikers, hat in
ihrem Tagebuche, von dem einige Seiten bei Trevelyan abgedruckt sind, eine
Unterhaltung mit ihrem Bruder wiedergegeben, in der dieser beschreibt, wie
seine Phantasie von Kindheit an durch das Studium der Geschichte erfüllt
wurde, "Kaum bin ich auf der Straße, sagt er da, so bin ich in Griechen¬
land, in Rom, inmitten der französischen Revolution. Pepys Tagebuch war
eine fast unerschöpfliche Nahrung für meine Phantasie. Ich glaube, jeden Zoll
von Whitehall zu kennen. Die Unterhaltungen, die ich zwischen den großen
Leuten der Zeit verfasse, sind lang und sehr lebhaft im Stil, wenn auch nicht
so wertvoll wie die Sir Walter Scotts,

Wie vieles in seinen Schriften bezeugt, daß er sich auf Schritt und Tritt


er den Leser gewissermaßen Atem schöpfen; er berichtet ihm dann von Dingen,
an die der Historiker seinem Fache nach kaum denkt, Dinge, die zwar eine
innere Wahrheit haben, aber dnrch äußere Zeugnisse kaum belegt werden köunen.
In der Nacht vor dein Kampfe bei Plassey z. B. führt er uns in das Zelt
der beiden Gegner: Clive schläft unruhig bei dem Gedanken an die Übermacht
des Feindes, aber auch Surnjah Dowlahs Schlaf ist nicht friedlicher. Sein
Geist war verstört durch wilde und grausige Schrecken, Oder er sagt uns,
welche Gedanken Wilhelm von Oranien durch den Kopf gingen, als er das
erste Schreiben seines Schwiegervaters ans englischem Boden erhielt, Oder
um das Aussehen Irlands im Jahre 1690 zu beschreiben, benutzt er den Kunst¬
griff des Nomandichters, der lieber den Helden den Anblick einer Gegend ge¬
nießen läßt, als daß er selbst die Gegend beschreibt, Wilhelm III. ist in Ir¬
land angekommen, „Die natürliche Fruchtbarkeit des Landes, das satte Grün
des Bodens, die Buchten und die Flüsse, die für den Handel wie geschaffen
waren, mußten auf das königliche Adlerauge Eindruck machen. Vielleicht dachte
er daran, wie anders dieses unglückliche Land ausgesehen hätte, wenn es der
Segnungen einer solchen Regierung und eines solchen Glaubens teilhaft ge¬
worden wäre wie sein heimatliches Holland, das die Vewundrung der Welt
erweckt hatte," Und nun wird weiter noch bis ins einzelne ausgeführt, wie
anders es (dem Gedanken von Wilhelm nach) Hütte aussehen müssen bei andern
Bedingungen auf der Straße von Lisburn »ach Belfast, auf denn Lagganfluß,
im Hafen von Newry und in Dundalk.

Oder man betrachte einzelne Züge der wunderbaren Schilderung des Ge¬
richts über Warren Hastings in der Westminsterhalle; wenn irgendwo, so hat
Macaulay hierbei allen Glanz eines großen Stils in der Beschreibung ent¬
faltet. Daß sich Gibbon nnter den Zuschauern auf der Galerie aufhält, be¬
richtet er dort wie ein Dichter, der uns die Empfindungen seiner Personen
beschreibt, „Da war der Historiker des römischen Reichs und dachte an die
Tage, wo Cicero die Sache Siziliens gegen Verres vertrat, und wo Tacitus
vor einem Senat, der noch immer einigen Schein von Freiheit bewahrte, don¬
nernde Anklagen gegen den Unterdrücker Afrikas erhob."

Die Lebendigkeit seiner Phantasie zeigt sich vor allem in den Detail¬
schilderungen. Margareth Macaulay, die Schwester des Historikers, hat in
ihrem Tagebuche, von dem einige Seiten bei Trevelyan abgedruckt sind, eine
Unterhaltung mit ihrem Bruder wiedergegeben, in der dieser beschreibt, wie
seine Phantasie von Kindheit an durch das Studium der Geschichte erfüllt
wurde, „Kaum bin ich auf der Straße, sagt er da, so bin ich in Griechen¬
land, in Rom, inmitten der französischen Revolution. Pepys Tagebuch war
eine fast unerschöpfliche Nahrung für meine Phantasie. Ich glaube, jeden Zoll
von Whitehall zu kennen. Die Unterhaltungen, die ich zwischen den großen
Leuten der Zeit verfasse, sind lang und sehr lebhaft im Stil, wenn auch nicht
so wertvoll wie die Sir Walter Scotts,

Wie vieles in seinen Schriften bezeugt, daß er sich auf Schritt und Tritt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/136>, abgerufen am 01.10.2024.