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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Die Entwicklung der deutschen Monarchie

Eberhard der Rauschebart sowohl mit den Rittern als auch mit den Städten
seines Territoriums geführt hat. Gerade in Süddeutschland haben Ritter und
Städte großenteils gegenüber den Landesfürsten die volle Selbständigkeit be¬
hauptet: daher hier die Menge der Miniaturstaaten, denen erst Napoleon I.
das Lebenslicht aufgeblasen hat.

Die Regel aber war, daß Landesfürst und Stände gemeinsam regierten: in
diesem Zeitalter ständischer Monarchie haben die Territorien gleichsam zwei
Häupter; sie stellen eine merkwürdige Mischform von Monarchie und Oligarchie
dar. Nichts ist verkehrter, als diese Landesstände für Vorläufer der modernen
Volksvertretungen anzusehen. "Man sucht die Freiheit vom Staate, nicht die
Freiheit im Staate," so hat Treitschke einmal knapp und klar den Unterschied
gekennzeichnet. Die untern Bevölkerungsschichten sahen in den privilegierten
Ständen alles, nur nicht die Vertreter ihrer Wünsche. Bekannt ist der Sto߬
seufzer der von ihren adlichen Herren gepeinigten Brandenburger Bauern:


Vor Köckeritze und Luderitze,
Vor Krachten und vor Jtzenplitze
Behüt uns, lieber Herre Gott!

Wenn die Stände, wie es häusig geschah, dem Landesfürsten Gelder ver¬
weigerten, so geschah dies Wohl nie mit Rücksicht ans die Gesamtheit, sondern
weil sie die für Staatszwecke geforderten Summen im eignen Interesse ver¬
wenden wollten. Das Volk aber sehnte sich nach einer starken monarchischen
Gewalt, die es am besten vor der Ausbeutung durch ihre Herren schützen
konnte.

Über diese unerquicklichen staatlichen Zustände hinaus ist etwa seit dem
Ende des fünfzehnten Jahrhunderts ein Fortschritt eingetreten. Ohne daß
irgendwie ein deutlicher Einschnitt wahrnehmbar wäre, aber in ihrer Gesamt¬
tendenz unverkennbar vollzieht sich die Entwicklung von der ständischen Mon¬
archie zum patriarchalischen Absolutismus. In dem unblutigen Ringen
um Macht neigt sich der Sieg auf die Seite des Landesfürsten. Schon im
fünfzehnten Jahrhundert fließen dem Landesherr" eine Reihe neuer Befugnisse
zu, bei deren Ausübung er den Standen keine Rechenschaft abzulegen braucht.
Je mehr die Territorien den Charakter abgeschlossener staatlicher Gebilde er¬
halten, um so mehr wird eine Vertretung der staatlichen Interessen nach außen
hin zur Notwendigkeit. Insbesondre auf den Reichstagen "ratet und thätet"
der Landesherr allein, ohne sich von den Ständen irgendwie Direktiven seines
Handelns vorschreiben zu lassen. In Kriegslüuften bestimmt er die Haltung
der Politik seines Territoriums. Mit dem Aufkommen von Söldnerheeren
ist eine Steigerung seiner militärischen Machtvollkommenheiten unausbleiblich.
Gewiß, die Stände sind als staatliche Gewalten noch keineswegs matt gesetzt.
Braucht der Landesherr Geld, so bedarf es zu seiner Eintreibung der aus¬
drücklichen Bewilligung durch die Stände. Aber indem sich diese auf den
Krämerstandpunkt des Geldbewilligens und Geldverweigerns zurückziehn, ver-


Die Entwicklung der deutschen Monarchie

Eberhard der Rauschebart sowohl mit den Rittern als auch mit den Städten
seines Territoriums geführt hat. Gerade in Süddeutschland haben Ritter und
Städte großenteils gegenüber den Landesfürsten die volle Selbständigkeit be¬
hauptet: daher hier die Menge der Miniaturstaaten, denen erst Napoleon I.
das Lebenslicht aufgeblasen hat.

Die Regel aber war, daß Landesfürst und Stände gemeinsam regierten: in
diesem Zeitalter ständischer Monarchie haben die Territorien gleichsam zwei
Häupter; sie stellen eine merkwürdige Mischform von Monarchie und Oligarchie
dar. Nichts ist verkehrter, als diese Landesstände für Vorläufer der modernen
Volksvertretungen anzusehen. „Man sucht die Freiheit vom Staate, nicht die
Freiheit im Staate," so hat Treitschke einmal knapp und klar den Unterschied
gekennzeichnet. Die untern Bevölkerungsschichten sahen in den privilegierten
Ständen alles, nur nicht die Vertreter ihrer Wünsche. Bekannt ist der Sto߬
seufzer der von ihren adlichen Herren gepeinigten Brandenburger Bauern:


Vor Köckeritze und Luderitze,
Vor Krachten und vor Jtzenplitze
Behüt uns, lieber Herre Gott!

Wenn die Stände, wie es häusig geschah, dem Landesfürsten Gelder ver¬
weigerten, so geschah dies Wohl nie mit Rücksicht ans die Gesamtheit, sondern
weil sie die für Staatszwecke geforderten Summen im eignen Interesse ver¬
wenden wollten. Das Volk aber sehnte sich nach einer starken monarchischen
Gewalt, die es am besten vor der Ausbeutung durch ihre Herren schützen
konnte.

Über diese unerquicklichen staatlichen Zustände hinaus ist etwa seit dem
Ende des fünfzehnten Jahrhunderts ein Fortschritt eingetreten. Ohne daß
irgendwie ein deutlicher Einschnitt wahrnehmbar wäre, aber in ihrer Gesamt¬
tendenz unverkennbar vollzieht sich die Entwicklung von der ständischen Mon¬
archie zum patriarchalischen Absolutismus. In dem unblutigen Ringen
um Macht neigt sich der Sieg auf die Seite des Landesfürsten. Schon im
fünfzehnten Jahrhundert fließen dem Landesherr» eine Reihe neuer Befugnisse
zu, bei deren Ausübung er den Standen keine Rechenschaft abzulegen braucht.
Je mehr die Territorien den Charakter abgeschlossener staatlicher Gebilde er¬
halten, um so mehr wird eine Vertretung der staatlichen Interessen nach außen
hin zur Notwendigkeit. Insbesondre auf den Reichstagen „ratet und thätet"
der Landesherr allein, ohne sich von den Ständen irgendwie Direktiven seines
Handelns vorschreiben zu lassen. In Kriegslüuften bestimmt er die Haltung
der Politik seines Territoriums. Mit dem Aufkommen von Söldnerheeren
ist eine Steigerung seiner militärischen Machtvollkommenheiten unausbleiblich.
Gewiß, die Stände sind als staatliche Gewalten noch keineswegs matt gesetzt.
Braucht der Landesherr Geld, so bedarf es zu seiner Eintreibung der aus¬
drücklichen Bewilligung durch die Stände. Aber indem sich diese auf den
Krämerstandpunkt des Geldbewilligens und Geldverweigerns zurückziehn, ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/119>, abgerufen am 03.07.2024.