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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Rußland und Japan

bringt. Und die Orientalen sind nicht so sehr verträglich, sondern eben¬
falls von sich eingenommen. Dagegen hält sich der Russe an den weisen
Grundsatz, daß man mit dem Kopf nicht durch die Wand rennen soll, wört¬
lich: "daß in einem fremden Kloster die Satzungen des eignen keine Geltung
haben," und sucht sich mit der Gesellschaft anzufreunden, in die er geraten
ist. Ein russischer Matrose in einem Buddhatempel witzelt nicht über die
Betenden, sondern nimmt die Mütze ab, sieht sich um und geht leise wieder
hinaus, weil nach seiner Überzeugung jedes Volk und jeder Glaube Gott wohl¬
gefällig sind.

Am deutlichsten kamen die russophilen Tendenzen in Nagasaki zum Aus¬
druck, das die russischen Kriegs- und Handelsschiffe am meisten anliefen.
Wenn im Frühjahr chinesische Kukis aus Tschifu nach Wladiwostok befördert
wurden und im Herbst zurückkehrten, ging die Reise immer über Nagasaki,
und hier auf dem Bazar verständigten sich Chinesen und Japaner in ge-
brochnem Russisch. In den dem Verkehr geöffneten Häfen Japans konnte
man sich ebenso leicht mit Russisch, als im ganzen übrigen Orient mit Englisch
durchhelfen.

Da brach der japanisch-chinesische Krieg aus, dessen glücklichen Ausgang
Japan dazu benutzen wollte, Rußlands nächster Nachbar auf dem asiatischen
Festlande zu werden und der allmählichen, aber unaufhaltsamen Entwicklung
der russischen Herrschaft im fernen Osten ein Ziel zu setzen. Wahrscheinlich
war ihm dieser Plan von den guten Freunden suggeriert worden, die zu Beginn
des Kriegs die chinesische Flotte durch Signale über die Annäherung der japa¬
nischen verständigten und an seinem Ende mit gewohnter Skrupellosigkeit die
bisherigen Freunde im Stiche ließen und dem Sieger Ovationen brachten,
von denselben guten Freunden, die so vorzüglich versteh", die Lärmtrommcl zu
schlagen und zu drohen und doch nicht gern Kriege führen, dafür aber mit
Vergnügen zusehen, wenn andre dieses Geschäft für sie betreiben: es ist ihnen
noch immer gelungen, bei einem Friedensschluß den fettesten Bissen für sich
zu erHaschen.

Es war nicht übel ausgedacht, aber Rußland, Frankreich und Deutschland
sprachen ein ernstes Veto, und Japan mußte sich mit einer Kriegskvntribution
und der Erwerbung der Inseln begnügen. Vielleicht Hütten die japanischen
Staatsmänner und das japanische Volk, sich selbst überlassen, sehr bald er¬
kannt, wem die gebratnen Kastanien, die sie mit eigner Hand aus dem Feuer
geholt hatten, zu gute kommen mußten, und wer den größten Nutzen von der
sich im Norden Chinas zusammenziehenden politischen Wetterwolke haben würde;
aber die Engländer, die an einer Entzweiung der bisherigen guten Freunde und
Nachbarn ein Interesse hatten, wußten den für sie günstigen Augenblick, wo
das Fehlschlagen ihrer hochgespannter Erwartungen in den Japanern eine leicht
begreifliche Mißstimmung hervorrief, gehörig auszunutzen.

Im fernen Osten hat England die gesamte Presse zu seiner Verfügung.
Nicht nur in den englischen Kolonien, sondern in jedem den Europäern ge


Rußland und Japan

bringt. Und die Orientalen sind nicht so sehr verträglich, sondern eben¬
falls von sich eingenommen. Dagegen hält sich der Russe an den weisen
Grundsatz, daß man mit dem Kopf nicht durch die Wand rennen soll, wört¬
lich: „daß in einem fremden Kloster die Satzungen des eignen keine Geltung
haben," und sucht sich mit der Gesellschaft anzufreunden, in die er geraten
ist. Ein russischer Matrose in einem Buddhatempel witzelt nicht über die
Betenden, sondern nimmt die Mütze ab, sieht sich um und geht leise wieder
hinaus, weil nach seiner Überzeugung jedes Volk und jeder Glaube Gott wohl¬
gefällig sind.

Am deutlichsten kamen die russophilen Tendenzen in Nagasaki zum Aus¬
druck, das die russischen Kriegs- und Handelsschiffe am meisten anliefen.
Wenn im Frühjahr chinesische Kukis aus Tschifu nach Wladiwostok befördert
wurden und im Herbst zurückkehrten, ging die Reise immer über Nagasaki,
und hier auf dem Bazar verständigten sich Chinesen und Japaner in ge-
brochnem Russisch. In den dem Verkehr geöffneten Häfen Japans konnte
man sich ebenso leicht mit Russisch, als im ganzen übrigen Orient mit Englisch
durchhelfen.

Da brach der japanisch-chinesische Krieg aus, dessen glücklichen Ausgang
Japan dazu benutzen wollte, Rußlands nächster Nachbar auf dem asiatischen
Festlande zu werden und der allmählichen, aber unaufhaltsamen Entwicklung
der russischen Herrschaft im fernen Osten ein Ziel zu setzen. Wahrscheinlich
war ihm dieser Plan von den guten Freunden suggeriert worden, die zu Beginn
des Kriegs die chinesische Flotte durch Signale über die Annäherung der japa¬
nischen verständigten und an seinem Ende mit gewohnter Skrupellosigkeit die
bisherigen Freunde im Stiche ließen und dem Sieger Ovationen brachten,
von denselben guten Freunden, die so vorzüglich versteh«, die Lärmtrommcl zu
schlagen und zu drohen und doch nicht gern Kriege führen, dafür aber mit
Vergnügen zusehen, wenn andre dieses Geschäft für sie betreiben: es ist ihnen
noch immer gelungen, bei einem Friedensschluß den fettesten Bissen für sich
zu erHaschen.

Es war nicht übel ausgedacht, aber Rußland, Frankreich und Deutschland
sprachen ein ernstes Veto, und Japan mußte sich mit einer Kriegskvntribution
und der Erwerbung der Inseln begnügen. Vielleicht Hütten die japanischen
Staatsmänner und das japanische Volk, sich selbst überlassen, sehr bald er¬
kannt, wem die gebratnen Kastanien, die sie mit eigner Hand aus dem Feuer
geholt hatten, zu gute kommen mußten, und wer den größten Nutzen von der
sich im Norden Chinas zusammenziehenden politischen Wetterwolke haben würde;
aber die Engländer, die an einer Entzweiung der bisherigen guten Freunde und
Nachbarn ein Interesse hatten, wußten den für sie günstigen Augenblick, wo
das Fehlschlagen ihrer hochgespannter Erwartungen in den Japanern eine leicht
begreifliche Mißstimmung hervorrief, gehörig auszunutzen.

Im fernen Osten hat England die gesamte Presse zu seiner Verfügung.
Nicht nur in den englischen Kolonien, sondern in jedem den Europäern ge


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[0067] Rußland und Japan bringt. Und die Orientalen sind nicht so sehr verträglich, sondern eben¬ falls von sich eingenommen. Dagegen hält sich der Russe an den weisen Grundsatz, daß man mit dem Kopf nicht durch die Wand rennen soll, wört¬ lich: „daß in einem fremden Kloster die Satzungen des eignen keine Geltung haben," und sucht sich mit der Gesellschaft anzufreunden, in die er geraten ist. Ein russischer Matrose in einem Buddhatempel witzelt nicht über die Betenden, sondern nimmt die Mütze ab, sieht sich um und geht leise wieder hinaus, weil nach seiner Überzeugung jedes Volk und jeder Glaube Gott wohl¬ gefällig sind. Am deutlichsten kamen die russophilen Tendenzen in Nagasaki zum Aus¬ druck, das die russischen Kriegs- und Handelsschiffe am meisten anliefen. Wenn im Frühjahr chinesische Kukis aus Tschifu nach Wladiwostok befördert wurden und im Herbst zurückkehrten, ging die Reise immer über Nagasaki, und hier auf dem Bazar verständigten sich Chinesen und Japaner in ge- brochnem Russisch. In den dem Verkehr geöffneten Häfen Japans konnte man sich ebenso leicht mit Russisch, als im ganzen übrigen Orient mit Englisch durchhelfen. Da brach der japanisch-chinesische Krieg aus, dessen glücklichen Ausgang Japan dazu benutzen wollte, Rußlands nächster Nachbar auf dem asiatischen Festlande zu werden und der allmählichen, aber unaufhaltsamen Entwicklung der russischen Herrschaft im fernen Osten ein Ziel zu setzen. Wahrscheinlich war ihm dieser Plan von den guten Freunden suggeriert worden, die zu Beginn des Kriegs die chinesische Flotte durch Signale über die Annäherung der japa¬ nischen verständigten und an seinem Ende mit gewohnter Skrupellosigkeit die bisherigen Freunde im Stiche ließen und dem Sieger Ovationen brachten, von denselben guten Freunden, die so vorzüglich versteh«, die Lärmtrommcl zu schlagen und zu drohen und doch nicht gern Kriege führen, dafür aber mit Vergnügen zusehen, wenn andre dieses Geschäft für sie betreiben: es ist ihnen noch immer gelungen, bei einem Friedensschluß den fettesten Bissen für sich zu erHaschen. Es war nicht übel ausgedacht, aber Rußland, Frankreich und Deutschland sprachen ein ernstes Veto, und Japan mußte sich mit einer Kriegskvntribution und der Erwerbung der Inseln begnügen. Vielleicht Hütten die japanischen Staatsmänner und das japanische Volk, sich selbst überlassen, sehr bald er¬ kannt, wem die gebratnen Kastanien, die sie mit eigner Hand aus dem Feuer geholt hatten, zu gute kommen mußten, und wer den größten Nutzen von der sich im Norden Chinas zusammenziehenden politischen Wetterwolke haben würde; aber die Engländer, die an einer Entzweiung der bisherigen guten Freunde und Nachbarn ein Interesse hatten, wußten den für sie günstigen Augenblick, wo das Fehlschlagen ihrer hochgespannter Erwartungen in den Japanern eine leicht begreifliche Mißstimmung hervorrief, gehörig auszunutzen. Im fernen Osten hat England die gesamte Presse zu seiner Verfügung. Nicht nur in den englischen Kolonien, sondern in jedem den Europäern ge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/67>, abgerufen am 24.08.2024.