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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Rußland und Japan

Verständnisse, man "nicht sich Vorwürfe, und die guten Freunde sind zur Freude
der Zuschauenden nahe daran, sich tüchtig in die Haare zu geraten. Da erfolgt
noch in der letzten Stunde durch einen glücklichen Zufall eine Aussprache,
und die hinterlistigen Intriguen werden offenbar, die alten Freunde erkennen
sich wieder und sind erst recht ein Herz und eine Seele, bereit, von nun an
Hand in Hand zu gehn.

Als das Volk der Japaner in seinein verzauberten Schloß ans tiefem
Schlaf erwachte und den Druck des Feudalismus abschüttelte, da fand es
einen guten, ihm aufrichtig zugethaner Freund in seinem alten Nachbarn
Rußland, Schwer war die erste Zeit für die dem Fortschritt huldigende Re¬
gierung: das Volk konnte sich nicht so leicht von seinen tausendjährigen Über¬
lieferungen trennen; bald hier bald dort loderte die Fackel der Unduldsamkeit
und des Fanatismus auf, zum Schaden der Fremden. Rußland ließ Japans
jungen Kaiser und seine Ratgeber dies nie entgelten, wie andre Mächte thaten.
Noch heute erinnern sich alte Japaner, die damals im Vordergründe des öffent¬
lichen Lebens standen, freilich mit gemischten Gefühlen des schonungsloser
Bombardements von Schimonoseki durch die englische Flotte und dagegen der
in freundschaftlichem Tone gepflognen Unterhandlungen mit Nußland über die
Verfolgung und Bestrafung der Mörder des russischen Schiffsfähnrichs Moffet,
der in Jokohama erdolcht worden war. Etwas später lernten die Offiziere
der im Entsteh" begriffnen japanischen Flotte auf dem russischen Geschwader des
Stillen Ozeans und wurden kameradschaftlich aufgenommen und in das Aller-
heiligste der Kriegsausrüstung, in alle Einzelheiten des Dienstes in der Marine
eingeweiht, und sie haben das in sie gesetzte Vertrauen nicht mißbraucht. Mit
unsern Mariniers sich einlebend, wurden sie und blieben sie treue, in ihrer
Sympathie durch keinerlei Treibereien der europäischen Presse wankend gemachte
Freunde Rußlands.

Hunderttausende von Japanern nährten sich vom Fischfang an unsern Ge¬
staden; japanische Kaufleute und Handwerker siedelten sich unbehelligt in den
Städten und Dörfern des Seegebiets (Primorsk) an. Die russische Flagge
wurde in den japanischen Häfen jederzeit freudig begrüßt, und die russischen
Matrosen wurden nicht nur vou den Behörden, sondern von der ganzen Be¬
völkerung als gern gesehene Gäste freundschaftlich bewillkommt. Weshalb?
Weil jeder Russe, vielleicht unbewußt, etwas von der unbesieglichen Kraft
seines Volkstums in sich fühlt und hieraus seine großartige Duldsamkeit gegen
ihm fremde Ansichten und Gewohnheiten schöpft, der Westeuropäer dagegen
seine Zivilisation über alles stellt und das, was sich ihr nicht beugt und anpaßt,
für überlebt und reif für seine Museen erklärt. Seiner Laune folgend, aus
Neugier vielleicht, geht der Westeuropäer auf ein japanisches Volksfest, in
ein Theater oder Restaurant, aber er sondert sich ab von der Menge und
interessiert sich nicht für ihre Stimmung, er verlangt, daß er "für sein Geld"
seiner Gewohnheit entsprechend bedient wird. Kurz, er kehrt, vielleicht auch
unabsichtlich, einen Hochmut heraus, der das verträglichste Gemüt in Wallung


Rußland und Japan

Verständnisse, man »nicht sich Vorwürfe, und die guten Freunde sind zur Freude
der Zuschauenden nahe daran, sich tüchtig in die Haare zu geraten. Da erfolgt
noch in der letzten Stunde durch einen glücklichen Zufall eine Aussprache,
und die hinterlistigen Intriguen werden offenbar, die alten Freunde erkennen
sich wieder und sind erst recht ein Herz und eine Seele, bereit, von nun an
Hand in Hand zu gehn.

Als das Volk der Japaner in seinein verzauberten Schloß ans tiefem
Schlaf erwachte und den Druck des Feudalismus abschüttelte, da fand es
einen guten, ihm aufrichtig zugethaner Freund in seinem alten Nachbarn
Rußland, Schwer war die erste Zeit für die dem Fortschritt huldigende Re¬
gierung: das Volk konnte sich nicht so leicht von seinen tausendjährigen Über¬
lieferungen trennen; bald hier bald dort loderte die Fackel der Unduldsamkeit
und des Fanatismus auf, zum Schaden der Fremden. Rußland ließ Japans
jungen Kaiser und seine Ratgeber dies nie entgelten, wie andre Mächte thaten.
Noch heute erinnern sich alte Japaner, die damals im Vordergründe des öffent¬
lichen Lebens standen, freilich mit gemischten Gefühlen des schonungsloser
Bombardements von Schimonoseki durch die englische Flotte und dagegen der
in freundschaftlichem Tone gepflognen Unterhandlungen mit Nußland über die
Verfolgung und Bestrafung der Mörder des russischen Schiffsfähnrichs Moffet,
der in Jokohama erdolcht worden war. Etwas später lernten die Offiziere
der im Entsteh» begriffnen japanischen Flotte auf dem russischen Geschwader des
Stillen Ozeans und wurden kameradschaftlich aufgenommen und in das Aller-
heiligste der Kriegsausrüstung, in alle Einzelheiten des Dienstes in der Marine
eingeweiht, und sie haben das in sie gesetzte Vertrauen nicht mißbraucht. Mit
unsern Mariniers sich einlebend, wurden sie und blieben sie treue, in ihrer
Sympathie durch keinerlei Treibereien der europäischen Presse wankend gemachte
Freunde Rußlands.

Hunderttausende von Japanern nährten sich vom Fischfang an unsern Ge¬
staden; japanische Kaufleute und Handwerker siedelten sich unbehelligt in den
Städten und Dörfern des Seegebiets (Primorsk) an. Die russische Flagge
wurde in den japanischen Häfen jederzeit freudig begrüßt, und die russischen
Matrosen wurden nicht nur vou den Behörden, sondern von der ganzen Be¬
völkerung als gern gesehene Gäste freundschaftlich bewillkommt. Weshalb?
Weil jeder Russe, vielleicht unbewußt, etwas von der unbesieglichen Kraft
seines Volkstums in sich fühlt und hieraus seine großartige Duldsamkeit gegen
ihm fremde Ansichten und Gewohnheiten schöpft, der Westeuropäer dagegen
seine Zivilisation über alles stellt und das, was sich ihr nicht beugt und anpaßt,
für überlebt und reif für seine Museen erklärt. Seiner Laune folgend, aus
Neugier vielleicht, geht der Westeuropäer auf ein japanisches Volksfest, in
ein Theater oder Restaurant, aber er sondert sich ab von der Menge und
interessiert sich nicht für ihre Stimmung, er verlangt, daß er „für sein Geld"
seiner Gewohnheit entsprechend bedient wird. Kurz, er kehrt, vielleicht auch
unabsichtlich, einen Hochmut heraus, der das verträglichste Gemüt in Wallung


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[0066] Rußland und Japan Verständnisse, man »nicht sich Vorwürfe, und die guten Freunde sind zur Freude der Zuschauenden nahe daran, sich tüchtig in die Haare zu geraten. Da erfolgt noch in der letzten Stunde durch einen glücklichen Zufall eine Aussprache, und die hinterlistigen Intriguen werden offenbar, die alten Freunde erkennen sich wieder und sind erst recht ein Herz und eine Seele, bereit, von nun an Hand in Hand zu gehn. Als das Volk der Japaner in seinein verzauberten Schloß ans tiefem Schlaf erwachte und den Druck des Feudalismus abschüttelte, da fand es einen guten, ihm aufrichtig zugethaner Freund in seinem alten Nachbarn Rußland, Schwer war die erste Zeit für die dem Fortschritt huldigende Re¬ gierung: das Volk konnte sich nicht so leicht von seinen tausendjährigen Über¬ lieferungen trennen; bald hier bald dort loderte die Fackel der Unduldsamkeit und des Fanatismus auf, zum Schaden der Fremden. Rußland ließ Japans jungen Kaiser und seine Ratgeber dies nie entgelten, wie andre Mächte thaten. Noch heute erinnern sich alte Japaner, die damals im Vordergründe des öffent¬ lichen Lebens standen, freilich mit gemischten Gefühlen des schonungsloser Bombardements von Schimonoseki durch die englische Flotte und dagegen der in freundschaftlichem Tone gepflognen Unterhandlungen mit Nußland über die Verfolgung und Bestrafung der Mörder des russischen Schiffsfähnrichs Moffet, der in Jokohama erdolcht worden war. Etwas später lernten die Offiziere der im Entsteh» begriffnen japanischen Flotte auf dem russischen Geschwader des Stillen Ozeans und wurden kameradschaftlich aufgenommen und in das Aller- heiligste der Kriegsausrüstung, in alle Einzelheiten des Dienstes in der Marine eingeweiht, und sie haben das in sie gesetzte Vertrauen nicht mißbraucht. Mit unsern Mariniers sich einlebend, wurden sie und blieben sie treue, in ihrer Sympathie durch keinerlei Treibereien der europäischen Presse wankend gemachte Freunde Rußlands. Hunderttausende von Japanern nährten sich vom Fischfang an unsern Ge¬ staden; japanische Kaufleute und Handwerker siedelten sich unbehelligt in den Städten und Dörfern des Seegebiets (Primorsk) an. Die russische Flagge wurde in den japanischen Häfen jederzeit freudig begrüßt, und die russischen Matrosen wurden nicht nur vou den Behörden, sondern von der ganzen Be¬ völkerung als gern gesehene Gäste freundschaftlich bewillkommt. Weshalb? Weil jeder Russe, vielleicht unbewußt, etwas von der unbesieglichen Kraft seines Volkstums in sich fühlt und hieraus seine großartige Duldsamkeit gegen ihm fremde Ansichten und Gewohnheiten schöpft, der Westeuropäer dagegen seine Zivilisation über alles stellt und das, was sich ihr nicht beugt und anpaßt, für überlebt und reif für seine Museen erklärt. Seiner Laune folgend, aus Neugier vielleicht, geht der Westeuropäer auf ein japanisches Volksfest, in ein Theater oder Restaurant, aber er sondert sich ab von der Menge und interessiert sich nicht für ihre Stimmung, er verlangt, daß er „für sein Geld" seiner Gewohnheit entsprechend bedient wird. Kurz, er kehrt, vielleicht auch unabsichtlich, einen Hochmut heraus, der das verträglichste Gemüt in Wallung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/66>, abgerufen am 24.08.2024.