Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.Alte und neue Romantik noch in einer geschickten Altslese aus ihren Büchern und Briefen zu Worte Diese Aufgabe ist prächtig gelöst in einem fesselnd geschriebnen Buche Alte und neue Romantik noch in einer geschickten Altslese aus ihren Büchern und Briefen zu Worte Diese Aufgabe ist prächtig gelöst in einem fesselnd geschriebnen Buche <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0572" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234452"/> <fw type="header" place="top"> Alte und neue Romantik</fw><lb/> <p xml:id="ID_1852" prev="#ID_1851"> noch in einer geschickten Altslese aus ihren Büchern und Briefen zu Worte<lb/> kommen, so mögen einzelne Leser dann weiter wie durch eine Anthologie zu<lb/> ihren vollständigen Werken hingeführt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1853"> Diese Aufgabe ist prächtig gelöst in einem fesselnd geschriebnen Buche<lb/> von 400 Seiten: Blütezeit der Romantik von Ricarda Huch (Leipzig,<lb/> Haessel, 1899). Gemeine ist die Frühromantik bis zum Ende des achtzehnten<lb/> Jahrhunderts mit Jena als Hauptstätte und mit Ausblicken auf Dresden<lb/> (Tieck) und Berlin (Schleiermacher), bis dahin, wo Novalis stirbt (1801), Fichte<lb/> und Arglist Wilhelm Schlegel nach Berlin, Friedrich nach Paris gehn, und<lb/> Schelling Jena verläßt, um bald darauf August Wilhelms Gattin, Karoline<lb/> Michaelis, zu heiraten. Tieck und die beiden Schlegel werden noch in einem<lb/> Überblick bis in ihr Alter verfolgt, übrigens aber ist die spätere Entwicklung<lb/> der Romantik einem künftigen Buche vorbehalten. Die Stimme der Frauen<lb/> galt bei den Romantikern viel, und davon zu berichten mußte für eine Frau<lb/> eine» besondern Reiz haben. Die Verfasserin hat daraus die Wärme eines<lb/> lebendigen nud höchst persönlich geprägten Ausdrucks gewonnen, ohne der Ver¬<lb/> lockung zu sentimentalen Oberflächlichkeiten, die hier so nahe lag, nachzugeben.<lb/> Sie bevorzugt die däntonisch kluge Karoline Schelling gegen Dorothea Veit-<lb/> Mendelssohn, Friedrich Schlegels Gattin, die eine Güte des Herzens hatte,<lb/> die „Frau Lucifer" entbehrte, mit die doch auch intellektuell höher stand, als<lb/> sie der Verfasserin erschienen ist, und in der künstlerisch freien Gruppierung<lb/> der Menschen und Dinge passiert es ihr auch wohl einmal, daß sie Novalis<lb/> in Dresden sterben läßt anstatt alt seinem Amtssitz Weißenfels. Aber das<lb/> sind Kleinigkeiten. Wenn sie von den Philosophen reden muß, von Kants<lb/> Ding an sich, oder von dem strengen nüchternen Fichte, der den romantischen<lb/> Dämmerungsmenschen zu grell und schneidend, Tieck sogar beinahe widerwärtig<lb/> war, von dem Sprudelkopf Schelling, der ihrem Naturbedürfnis entgegenkam,<lb/> und weil er sich hier mit Novalis mit nächsten berührte, diesen mit den Augen<lb/> eines Rivalen ansehen mußte: so geschieht das rin der Sachkenntnis des<lb/> Mannes, aber nicht in der Schulsprache der Philosophen, und darum macht<lb/> es mehr Eindruck. Die Abschnitte des Buches handeln bald mehr von Menschen:<lb/> den Brüdern Schlegel, Knroline, Novalis, bald mehr von Sachen: roman¬<lb/> tischer Philosophie, Liebe und Ironie oder romantischen Büchern. Die Per¬<lb/> sonen werden gezeichnet mit kleinen Zügen, die sich nach lind nach zusammen¬<lb/> schließen, die weniger bedeutenden mich durch eine einmalige Charakteristik, die<lb/> sehr schön bei Wackenroder ausgefallen ist; ihre Gedanken und ihre Bücher<lb/> werden uns immer zunächst in ihrer Wirkung auf die damalige Zeit, also als<lb/> etwas lebendiges, geschichtlich neues vorgestellt, und von da aus werden wir<lb/> dann zu Werturteilen geführt und schließlich zu den großen Formeln, dem Zwie¬<lb/> spalt unsers Daseins und der Sehnsucht nach dem Fehlenden, der Vereinigung<lb/> von Fühlen und Wissen, der Menschenbildung und der Poetisierung des Lebens,<lb/> dem höhern Künstlertum, l'fre xour 1'iU't, und was sonst noch alles gerade heute<lb/> wieder in Vers lind Prosa wie ans nie entdeckten Quellen daher rauscht.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0572]
Alte und neue Romantik
noch in einer geschickten Altslese aus ihren Büchern und Briefen zu Worte
kommen, so mögen einzelne Leser dann weiter wie durch eine Anthologie zu
ihren vollständigen Werken hingeführt werden.
Diese Aufgabe ist prächtig gelöst in einem fesselnd geschriebnen Buche
von 400 Seiten: Blütezeit der Romantik von Ricarda Huch (Leipzig,
Haessel, 1899). Gemeine ist die Frühromantik bis zum Ende des achtzehnten
Jahrhunderts mit Jena als Hauptstätte und mit Ausblicken auf Dresden
(Tieck) und Berlin (Schleiermacher), bis dahin, wo Novalis stirbt (1801), Fichte
und Arglist Wilhelm Schlegel nach Berlin, Friedrich nach Paris gehn, und
Schelling Jena verläßt, um bald darauf August Wilhelms Gattin, Karoline
Michaelis, zu heiraten. Tieck und die beiden Schlegel werden noch in einem
Überblick bis in ihr Alter verfolgt, übrigens aber ist die spätere Entwicklung
der Romantik einem künftigen Buche vorbehalten. Die Stimme der Frauen
galt bei den Romantikern viel, und davon zu berichten mußte für eine Frau
eine» besondern Reiz haben. Die Verfasserin hat daraus die Wärme eines
lebendigen nud höchst persönlich geprägten Ausdrucks gewonnen, ohne der Ver¬
lockung zu sentimentalen Oberflächlichkeiten, die hier so nahe lag, nachzugeben.
Sie bevorzugt die däntonisch kluge Karoline Schelling gegen Dorothea Veit-
Mendelssohn, Friedrich Schlegels Gattin, die eine Güte des Herzens hatte,
die „Frau Lucifer" entbehrte, mit die doch auch intellektuell höher stand, als
sie der Verfasserin erschienen ist, und in der künstlerisch freien Gruppierung
der Menschen und Dinge passiert es ihr auch wohl einmal, daß sie Novalis
in Dresden sterben läßt anstatt alt seinem Amtssitz Weißenfels. Aber das
sind Kleinigkeiten. Wenn sie von den Philosophen reden muß, von Kants
Ding an sich, oder von dem strengen nüchternen Fichte, der den romantischen
Dämmerungsmenschen zu grell und schneidend, Tieck sogar beinahe widerwärtig
war, von dem Sprudelkopf Schelling, der ihrem Naturbedürfnis entgegenkam,
und weil er sich hier mit Novalis mit nächsten berührte, diesen mit den Augen
eines Rivalen ansehen mußte: so geschieht das rin der Sachkenntnis des
Mannes, aber nicht in der Schulsprache der Philosophen, und darum macht
es mehr Eindruck. Die Abschnitte des Buches handeln bald mehr von Menschen:
den Brüdern Schlegel, Knroline, Novalis, bald mehr von Sachen: roman¬
tischer Philosophie, Liebe und Ironie oder romantischen Büchern. Die Per¬
sonen werden gezeichnet mit kleinen Zügen, die sich nach lind nach zusammen¬
schließen, die weniger bedeutenden mich durch eine einmalige Charakteristik, die
sehr schön bei Wackenroder ausgefallen ist; ihre Gedanken und ihre Bücher
werden uns immer zunächst in ihrer Wirkung auf die damalige Zeit, also als
etwas lebendiges, geschichtlich neues vorgestellt, und von da aus werden wir
dann zu Werturteilen geführt und schließlich zu den großen Formeln, dem Zwie¬
spalt unsers Daseins und der Sehnsucht nach dem Fehlenden, der Vereinigung
von Fühlen und Wissen, der Menschenbildung und der Poetisierung des Lebens,
dem höhern Künstlertum, l'fre xour 1'iU't, und was sonst noch alles gerade heute
wieder in Vers lind Prosa wie ans nie entdeckten Quellen daher rauscht.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |