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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Etwas von Verwaltung und Polizei im spätrömischen Reich

Dienern bücken und winden müssen, davon will ich gar nicht reden. Wir Lehrer sollen
Respektspersonen sein, und müssen uns vor Unterbeamten erniedrigen; das ist noch
schwerer zu ertragen als der Hunger. Würde aber auch der volle Betrag regel¬
mäßig ausgezahlt, so wäre er nicht genügend. Die Summe ist so gering in An-
sehung der Größe unsrer Stadt, daß ich mich schäme, sie zu nennen. Die vier
Rhetoren bekommen zusammen den Gehalt, den früher der Rhetor Zenobius allein
bezogen hat, und dem hatte man außerdem noch das schönste und weinreichste Grund¬
stück der Stadt rechts von der Daphne am Fluß zur Nutzung überwiesen. Sollen
diese dafür gestraft werden, daß jener zu viel erhalten hat? Die Leute in den
Werkstätten freilich räsonnieren darüber, daß es die Lehrer noch viel zu gut hätten;
sie setzen ein Schülerverzeichnis ans und berechnen, wie viel so ein Lehrer wohl
ziehn möge. Und auch ihr fragt vielleicht: Rechnest du denn die Schülerhonorare
für nichts? Früher siud die allerdings bedeutend gewesen, sodaß man als Lehrer
Vermögen erwerben konnte, aber das ist seit einiger Zeit anders geworden. Geld
bringen nur die Künste, die von den Großen geehrt werde", und das Lehren dieser
Künste, und zu ihnen gehört die Rhetorik nicht mehr. Wird aber ein Beruf vou
den Herrschenden verachtet, so verliert er, er mag an sich noch so nützlich sein, sein
Ansehen, und mit dem Ansehen seinen Lohn. So lassen denn reiche Leute ihre Söhne
nicht mehr in den Nhetorenschulen, fondern nur noch in den Juristenschulen studieren,
und die Armen, die gern zahlen möchten, haben nichts. Gebt also diesen wnckern
Männern (er lobt sie alle vier der Reihe nach) so viel Acker, daß sie anständig
leben können, wie es Freien geziemt. Nicht, daß ein solches Einkommen eine volle
Entschädigung ihrer Leistungen bedeutete. solltet ihr dieses meinen, so würdet ihr
die Weisheit sehr niedrig einschätzen, die Kronen und Bildsäulen verdient und mehr
als alles Gold der Erde wert ist. Aber ihr werdet wenigstens beweisen, daß euch
eure Söhne mehr wert sind als ein Paar Ackerstücke, und ihr werdet der Gefahr
entgeh", Apollo und die Musen zu vertreiben, die eure Stadt zu ihrem Wohnsitze
erwählt haben.

Man sieht, es war keine unbedeutende Rolle, die Libanius in der Stadt und
im Reiche gespielt und ehrenvoll durchgeführt hat. Ibsen, der es von der Zeit ub,
wo seine Verbitterung begann, nicht über sich gewinnen konnte, einen großen und
edeln Charakter zu schaffen, hat sowohl den Libanins wie seinen kaiserlichen Schüler
und Freund kleiner gemacht, als beide Männer in Wirklichkeit gewesen sind. Mau
hat Rußlands Verfassung eine Despotie, gemildert durch Meuchelmord, genannt;
die des römischen Reichs vom dritten Jahrhundert ab könnte man eine Despotie,
gemildert durch Volksaufstände und Rhetvreuwirksamkeit, nennen, wenn die Zahl
der Rhetoren, die ihren Beruf so ernst genommen und so tief aufgefaßt hätten wie
Libanius, bedeutend gewesen wäre; das Geschrei des Volkes im Theater, das den
Kaisern und den Statthaltern die Bedürfnisse, Wünsche, Nöte und Stimmungen des
Volkes kund gab, und die Tumulte im Falle der Nichtbefriedigung würden dann
das Parlament, die Reden der Sophisten aber, die nicht bloß mündlich gehalten,
sondern den Gebietenden übersnndt und in zahlreichen Abschriften unter dem Publikum
verbreitet wurden, die Presse einigermaßen ersetzt haben. Indes scheint die Zahl
solcher wackrer Rhetoren nicht eben groß gewesen zu sein, die meisten beschränkten
sich darauf, entweder durch Schulunterricht oder durch Schmeichelei und Schön¬
rednerei Ehre und Geld zu verdienen, und das entsprach ja auch am besten den
Gesinnungen und Neigungen und dem Charakter des heruntergekommnen Volkes.
Libanius hat einmal eine heftige Strafrede gegen die Nichtredenden gehalten, womit
er nicht seiue Standesgenossen, sondern die angesehenen Bürger, besonders die Rats¬
herren meint. Was sie in der Jugend gelernt hätten, das nützten sie nicht. Keiner
thue in den Gerichtshöfen den Mund auf, um dem Recht zum Siege zu verhelfen,
keiner rede vor den Statthaltern, um schädliche Maßregeln abzuhalten. Als kürzlich


Etwas von Verwaltung und Polizei im spätrömischen Reich

Dienern bücken und winden müssen, davon will ich gar nicht reden. Wir Lehrer sollen
Respektspersonen sein, und müssen uns vor Unterbeamten erniedrigen; das ist noch
schwerer zu ertragen als der Hunger. Würde aber auch der volle Betrag regel¬
mäßig ausgezahlt, so wäre er nicht genügend. Die Summe ist so gering in An-
sehung der Größe unsrer Stadt, daß ich mich schäme, sie zu nennen. Die vier
Rhetoren bekommen zusammen den Gehalt, den früher der Rhetor Zenobius allein
bezogen hat, und dem hatte man außerdem noch das schönste und weinreichste Grund¬
stück der Stadt rechts von der Daphne am Fluß zur Nutzung überwiesen. Sollen
diese dafür gestraft werden, daß jener zu viel erhalten hat? Die Leute in den
Werkstätten freilich räsonnieren darüber, daß es die Lehrer noch viel zu gut hätten;
sie setzen ein Schülerverzeichnis ans und berechnen, wie viel so ein Lehrer wohl
ziehn möge. Und auch ihr fragt vielleicht: Rechnest du denn die Schülerhonorare
für nichts? Früher siud die allerdings bedeutend gewesen, sodaß man als Lehrer
Vermögen erwerben konnte, aber das ist seit einiger Zeit anders geworden. Geld
bringen nur die Künste, die von den Großen geehrt werde», und das Lehren dieser
Künste, und zu ihnen gehört die Rhetorik nicht mehr. Wird aber ein Beruf vou
den Herrschenden verachtet, so verliert er, er mag an sich noch so nützlich sein, sein
Ansehen, und mit dem Ansehen seinen Lohn. So lassen denn reiche Leute ihre Söhne
nicht mehr in den Nhetorenschulen, fondern nur noch in den Juristenschulen studieren,
und die Armen, die gern zahlen möchten, haben nichts. Gebt also diesen wnckern
Männern (er lobt sie alle vier der Reihe nach) so viel Acker, daß sie anständig
leben können, wie es Freien geziemt. Nicht, daß ein solches Einkommen eine volle
Entschädigung ihrer Leistungen bedeutete. solltet ihr dieses meinen, so würdet ihr
die Weisheit sehr niedrig einschätzen, die Kronen und Bildsäulen verdient und mehr
als alles Gold der Erde wert ist. Aber ihr werdet wenigstens beweisen, daß euch
eure Söhne mehr wert sind als ein Paar Ackerstücke, und ihr werdet der Gefahr
entgeh«, Apollo und die Musen zu vertreiben, die eure Stadt zu ihrem Wohnsitze
erwählt haben.

Man sieht, es war keine unbedeutende Rolle, die Libanius in der Stadt und
im Reiche gespielt und ehrenvoll durchgeführt hat. Ibsen, der es von der Zeit ub,
wo seine Verbitterung begann, nicht über sich gewinnen konnte, einen großen und
edeln Charakter zu schaffen, hat sowohl den Libanins wie seinen kaiserlichen Schüler
und Freund kleiner gemacht, als beide Männer in Wirklichkeit gewesen sind. Mau
hat Rußlands Verfassung eine Despotie, gemildert durch Meuchelmord, genannt;
die des römischen Reichs vom dritten Jahrhundert ab könnte man eine Despotie,
gemildert durch Volksaufstände und Rhetvreuwirksamkeit, nennen, wenn die Zahl
der Rhetoren, die ihren Beruf so ernst genommen und so tief aufgefaßt hätten wie
Libanius, bedeutend gewesen wäre; das Geschrei des Volkes im Theater, das den
Kaisern und den Statthaltern die Bedürfnisse, Wünsche, Nöte und Stimmungen des
Volkes kund gab, und die Tumulte im Falle der Nichtbefriedigung würden dann
das Parlament, die Reden der Sophisten aber, die nicht bloß mündlich gehalten,
sondern den Gebietenden übersnndt und in zahlreichen Abschriften unter dem Publikum
verbreitet wurden, die Presse einigermaßen ersetzt haben. Indes scheint die Zahl
solcher wackrer Rhetoren nicht eben groß gewesen zu sein, die meisten beschränkten
sich darauf, entweder durch Schulunterricht oder durch Schmeichelei und Schön¬
rednerei Ehre und Geld zu verdienen, und das entsprach ja auch am besten den
Gesinnungen und Neigungen und dem Charakter des heruntergekommnen Volkes.
Libanius hat einmal eine heftige Strafrede gegen die Nichtredenden gehalten, womit
er nicht seiue Standesgenossen, sondern die angesehenen Bürger, besonders die Rats¬
herren meint. Was sie in der Jugend gelernt hätten, das nützten sie nicht. Keiner
thue in den Gerichtshöfen den Mund auf, um dem Recht zum Siege zu verhelfen,
keiner rede vor den Statthaltern, um schädliche Maßregeln abzuhalten. Als kürzlich


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[0492] Etwas von Verwaltung und Polizei im spätrömischen Reich Dienern bücken und winden müssen, davon will ich gar nicht reden. Wir Lehrer sollen Respektspersonen sein, und müssen uns vor Unterbeamten erniedrigen; das ist noch schwerer zu ertragen als der Hunger. Würde aber auch der volle Betrag regel¬ mäßig ausgezahlt, so wäre er nicht genügend. Die Summe ist so gering in An- sehung der Größe unsrer Stadt, daß ich mich schäme, sie zu nennen. Die vier Rhetoren bekommen zusammen den Gehalt, den früher der Rhetor Zenobius allein bezogen hat, und dem hatte man außerdem noch das schönste und weinreichste Grund¬ stück der Stadt rechts von der Daphne am Fluß zur Nutzung überwiesen. Sollen diese dafür gestraft werden, daß jener zu viel erhalten hat? Die Leute in den Werkstätten freilich räsonnieren darüber, daß es die Lehrer noch viel zu gut hätten; sie setzen ein Schülerverzeichnis ans und berechnen, wie viel so ein Lehrer wohl ziehn möge. Und auch ihr fragt vielleicht: Rechnest du denn die Schülerhonorare für nichts? Früher siud die allerdings bedeutend gewesen, sodaß man als Lehrer Vermögen erwerben konnte, aber das ist seit einiger Zeit anders geworden. Geld bringen nur die Künste, die von den Großen geehrt werde», und das Lehren dieser Künste, und zu ihnen gehört die Rhetorik nicht mehr. Wird aber ein Beruf vou den Herrschenden verachtet, so verliert er, er mag an sich noch so nützlich sein, sein Ansehen, und mit dem Ansehen seinen Lohn. So lassen denn reiche Leute ihre Söhne nicht mehr in den Nhetorenschulen, fondern nur noch in den Juristenschulen studieren, und die Armen, die gern zahlen möchten, haben nichts. Gebt also diesen wnckern Männern (er lobt sie alle vier der Reihe nach) so viel Acker, daß sie anständig leben können, wie es Freien geziemt. Nicht, daß ein solches Einkommen eine volle Entschädigung ihrer Leistungen bedeutete. solltet ihr dieses meinen, so würdet ihr die Weisheit sehr niedrig einschätzen, die Kronen und Bildsäulen verdient und mehr als alles Gold der Erde wert ist. Aber ihr werdet wenigstens beweisen, daß euch eure Söhne mehr wert sind als ein Paar Ackerstücke, und ihr werdet der Gefahr entgeh«, Apollo und die Musen zu vertreiben, die eure Stadt zu ihrem Wohnsitze erwählt haben. Man sieht, es war keine unbedeutende Rolle, die Libanius in der Stadt und im Reiche gespielt und ehrenvoll durchgeführt hat. Ibsen, der es von der Zeit ub, wo seine Verbitterung begann, nicht über sich gewinnen konnte, einen großen und edeln Charakter zu schaffen, hat sowohl den Libanins wie seinen kaiserlichen Schüler und Freund kleiner gemacht, als beide Männer in Wirklichkeit gewesen sind. Mau hat Rußlands Verfassung eine Despotie, gemildert durch Meuchelmord, genannt; die des römischen Reichs vom dritten Jahrhundert ab könnte man eine Despotie, gemildert durch Volksaufstände und Rhetvreuwirksamkeit, nennen, wenn die Zahl der Rhetoren, die ihren Beruf so ernst genommen und so tief aufgefaßt hätten wie Libanius, bedeutend gewesen wäre; das Geschrei des Volkes im Theater, das den Kaisern und den Statthaltern die Bedürfnisse, Wünsche, Nöte und Stimmungen des Volkes kund gab, und die Tumulte im Falle der Nichtbefriedigung würden dann das Parlament, die Reden der Sophisten aber, die nicht bloß mündlich gehalten, sondern den Gebietenden übersnndt und in zahlreichen Abschriften unter dem Publikum verbreitet wurden, die Presse einigermaßen ersetzt haben. Indes scheint die Zahl solcher wackrer Rhetoren nicht eben groß gewesen zu sein, die meisten beschränkten sich darauf, entweder durch Schulunterricht oder durch Schmeichelei und Schön¬ rednerei Ehre und Geld zu verdienen, und das entsprach ja auch am besten den Gesinnungen und Neigungen und dem Charakter des heruntergekommnen Volkes. Libanius hat einmal eine heftige Strafrede gegen die Nichtredenden gehalten, womit er nicht seiue Standesgenossen, sondern die angesehenen Bürger, besonders die Rats¬ herren meint. Was sie in der Jugend gelernt hätten, das nützten sie nicht. Keiner thue in den Gerichtshöfen den Mund auf, um dem Recht zum Siege zu verhelfen, keiner rede vor den Statthaltern, um schädliche Maßregeln abzuhalten. Als kürzlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/492>, abgerufen am 24.08.2024.