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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Revolution, Hoche, Desaix usw., und ähnlich die berühmten Marschälle des
Kaiserreichs im Alter unsrer Unterleutnants. Auch die Staatsmänner fehlen
nicht, denen in ganz jungen Jahren, noch ehe sie eigentlich Männer heißen
konnten, die gewaltige Verantwortung einer großen Landesregierung auferlegt
wurde, und die nicht stümperhafter geblieben sind als die bekannten "Fünfziger,
die die Welt regieren." In der That war dies ja das Lebensstadium, worin
Richelieu oder Pvmbal oder Stein oder Bismarck ihre kraftvollste Thätigkeit
übten; aber Pitt der Jüngere stand mit zweiundzwanzig Jahren nu der Spitze
des englischen Ministeriums, Moritz von Oranien wurde gar mit siebzehn
Nachfolger seines großen Vaters. Und bei manchen Staatslenkern, denen es
übel gelang mit dem ihnen obliegenden Werk, denkt man Wohl nicht immer
daran, wie wenig ihre Lebensjahre die Weisheit nahe legten, deren sie bedurft
Hütten.

Vielleicht zeigen alle diese glänzenden Beispiele nur, wie Großes im
Menschen wohl geweckt werden kann durch große Gelegenheiten! In der That,
der rechten Konstellation bedürfen auch die Naturen vou so außerordentlicher
Tüchtigkeit. Und sogar die, deren Leistung in natürlicher, freier Weise ans
dem Innern hervordringt, die Dichter und Künstler, können eines guten
Sterns, können der rechten Berührungen, der rechten Anregung oder auch Er-
schütterung nicht entbehren. Aber sicher erscheint es bei ihnen weniger wunder¬
bar, wenn sie sich auf sehr verschiedner Altersstufe in gleich wertvoller Weise
schöpferisch bewähren. Vielleicht ist eine Produktion wie die dramatische doch
noch am ehesten an die Jahre der vollen männlichen Kraft gebunden; es ist
Wohl nicht Zufall, daß der praktische Shakespeare sich mit etwa achtundvierzig
Jahren von der Bühne zurückzog, um in Stratford beschaulich hinzuleben-
wie weitaus die meisten der wirkungsvollen Dramen der mittlern Periode der
vollen Mauuesreife entstammen, ließe sich leicht aus allen Litteraturen nach¬
weisen, wenn es nicht zu natürlich wäre, sodaß es keinen Nachweis herausfordert.
Doch auch diese Regel hat das Genie oft genug durchbrochen, und noch
"veniger ist die Herzenssprache der Lyrik irgend einem Lebensalter versagt.
Nur ists eine verschiedne Art von Blüten, die da nacheinander im Garten
sprießen, etwa in der Folge, wie sie in der Natur der Lauf des Jahres vom
Frühling bis zum Herbste bringt.

Manche Verwundrung würde doch hier, wie bei andern Gebieten, den
überkommen, der die thatsächliche Altersstufe des Schaffenden vergliche mit dem
Wesen und dem Werte des Geschaffnen. Manche Zahl würde überraschen,
^ber Zahlen gehäuft -- müssen ermüden, und so sei die Geduld der Leser
!v, in>>"es >naht weiter auf die Probe gestellt.




Grettjlu'den I 1SV141

Revolution, Hoche, Desaix usw., und ähnlich die berühmten Marschälle des
Kaiserreichs im Alter unsrer Unterleutnants. Auch die Staatsmänner fehlen
nicht, denen in ganz jungen Jahren, noch ehe sie eigentlich Männer heißen
konnten, die gewaltige Verantwortung einer großen Landesregierung auferlegt
wurde, und die nicht stümperhafter geblieben sind als die bekannten „Fünfziger,
die die Welt regieren." In der That war dies ja das Lebensstadium, worin
Richelieu oder Pvmbal oder Stein oder Bismarck ihre kraftvollste Thätigkeit
übten; aber Pitt der Jüngere stand mit zweiundzwanzig Jahren nu der Spitze
des englischen Ministeriums, Moritz von Oranien wurde gar mit siebzehn
Nachfolger seines großen Vaters. Und bei manchen Staatslenkern, denen es
übel gelang mit dem ihnen obliegenden Werk, denkt man Wohl nicht immer
daran, wie wenig ihre Lebensjahre die Weisheit nahe legten, deren sie bedurft
Hütten.

Vielleicht zeigen alle diese glänzenden Beispiele nur, wie Großes im
Menschen wohl geweckt werden kann durch große Gelegenheiten! In der That,
der rechten Konstellation bedürfen auch die Naturen vou so außerordentlicher
Tüchtigkeit. Und sogar die, deren Leistung in natürlicher, freier Weise ans
dem Innern hervordringt, die Dichter und Künstler, können eines guten
Sterns, können der rechten Berührungen, der rechten Anregung oder auch Er-
schütterung nicht entbehren. Aber sicher erscheint es bei ihnen weniger wunder¬
bar, wenn sie sich auf sehr verschiedner Altersstufe in gleich wertvoller Weise
schöpferisch bewähren. Vielleicht ist eine Produktion wie die dramatische doch
noch am ehesten an die Jahre der vollen männlichen Kraft gebunden; es ist
Wohl nicht Zufall, daß der praktische Shakespeare sich mit etwa achtundvierzig
Jahren von der Bühne zurückzog, um in Stratford beschaulich hinzuleben-
wie weitaus die meisten der wirkungsvollen Dramen der mittlern Periode der
vollen Mauuesreife entstammen, ließe sich leicht aus allen Litteraturen nach¬
weisen, wenn es nicht zu natürlich wäre, sodaß es keinen Nachweis herausfordert.
Doch auch diese Regel hat das Genie oft genug durchbrochen, und noch
»veniger ist die Herzenssprache der Lyrik irgend einem Lebensalter versagt.
Nur ists eine verschiedne Art von Blüten, die da nacheinander im Garten
sprießen, etwa in der Folge, wie sie in der Natur der Lauf des Jahres vom
Frühling bis zum Herbste bringt.

Manche Verwundrung würde doch hier, wie bei andern Gebieten, den
überkommen, der die thatsächliche Altersstufe des Schaffenden vergliche mit dem
Wesen und dem Werte des Geschaffnen. Manche Zahl würde überraschen,
^ber Zahlen gehäuft — müssen ermüden, und so sei die Geduld der Leser
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Grettjlu'den I 1SV141
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[0329] Revolution, Hoche, Desaix usw., und ähnlich die berühmten Marschälle des Kaiserreichs im Alter unsrer Unterleutnants. Auch die Staatsmänner fehlen nicht, denen in ganz jungen Jahren, noch ehe sie eigentlich Männer heißen konnten, die gewaltige Verantwortung einer großen Landesregierung auferlegt wurde, und die nicht stümperhafter geblieben sind als die bekannten „Fünfziger, die die Welt regieren." In der That war dies ja das Lebensstadium, worin Richelieu oder Pvmbal oder Stein oder Bismarck ihre kraftvollste Thätigkeit übten; aber Pitt der Jüngere stand mit zweiundzwanzig Jahren nu der Spitze des englischen Ministeriums, Moritz von Oranien wurde gar mit siebzehn Nachfolger seines großen Vaters. Und bei manchen Staatslenkern, denen es übel gelang mit dem ihnen obliegenden Werk, denkt man Wohl nicht immer daran, wie wenig ihre Lebensjahre die Weisheit nahe legten, deren sie bedurft Hütten. Vielleicht zeigen alle diese glänzenden Beispiele nur, wie Großes im Menschen wohl geweckt werden kann durch große Gelegenheiten! In der That, der rechten Konstellation bedürfen auch die Naturen vou so außerordentlicher Tüchtigkeit. Und sogar die, deren Leistung in natürlicher, freier Weise ans dem Innern hervordringt, die Dichter und Künstler, können eines guten Sterns, können der rechten Berührungen, der rechten Anregung oder auch Er- schütterung nicht entbehren. Aber sicher erscheint es bei ihnen weniger wunder¬ bar, wenn sie sich auf sehr verschiedner Altersstufe in gleich wertvoller Weise schöpferisch bewähren. Vielleicht ist eine Produktion wie die dramatische doch noch am ehesten an die Jahre der vollen männlichen Kraft gebunden; es ist Wohl nicht Zufall, daß der praktische Shakespeare sich mit etwa achtundvierzig Jahren von der Bühne zurückzog, um in Stratford beschaulich hinzuleben- wie weitaus die meisten der wirkungsvollen Dramen der mittlern Periode der vollen Mauuesreife entstammen, ließe sich leicht aus allen Litteraturen nach¬ weisen, wenn es nicht zu natürlich wäre, sodaß es keinen Nachweis herausfordert. Doch auch diese Regel hat das Genie oft genug durchbrochen, und noch »veniger ist die Herzenssprache der Lyrik irgend einem Lebensalter versagt. Nur ists eine verschiedne Art von Blüten, die da nacheinander im Garten sprießen, etwa in der Folge, wie sie in der Natur der Lauf des Jahres vom Frühling bis zum Herbste bringt. Manche Verwundrung würde doch hier, wie bei andern Gebieten, den überkommen, der die thatsächliche Altersstufe des Schaffenden vergliche mit dem Wesen und dem Werte des Geschaffnen. Manche Zahl würde überraschen, ^ber Zahlen gehäuft — müssen ermüden, und so sei die Geduld der Leser !v, in>>»es >naht weiter auf die Probe gestellt. Grettjlu'den I 1SV141

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/329>, abgerufen am 24.07.2024.