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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Ans der Zeit des werdenden Bismarcks

Daß etwas Richtiges in diesem barocken Gedanken steckt, beweisen die
neuen Briefe sehr stark. Seine Unabhängigkeit und Urwüchsigkeit verdankt
Bismarck zum großen Teil dem Umstände, daß er die entscheidenden Entwick-
lungsjahre fern von der Großstadt verbrachte. Das Landleben war auf die
Richtung seines Charakters und noch mehr seiner Bildung von demselben Einfluß,
wie der religiöse Sinn seiner Frau auf die Weltanschauung, die ihn beseelte.
Hier erwarb er sich die Freiheit von Moden jeder Art und das ungeheure
Wissen auf erstaunlich vielen Gebieten. Unberührt von den Lockungen schaler
Geselligkeit stellte er sich für seine freie Zeit ein geistiges Pensum, wie es
nur wenige jemals bewältigt haben, Die frische Luft in Wald und Feld
nahm den Tagesfragen, wenn sie bis Kniephof und Schönhausen kamen, alle
künstliche Hitze und ließ ihn kühl und klar zum richtigen Maßstab greisen, wo
die andern übertrieben und verkleinerten. Was Bismarck in den Jahren, wo
er die väterlichen Güter wieder in die Höhe brachte, alles studiert hat, das
erfahren wir in diesen neuen Briefen zum erstenmal. Die Naturwissenschaften
sind darunter, die Chemie vor allem brauchte er für die Wirtschaft; zu seinem
Vergnügen trieb er neue Sprachen, Nach Tisch ruht er sich immer mit
einer Grammatik aus und freut sich, als er die Braut auch spanisch und
Polnisch begrüße" kann. Neben den Sprachen stand die Geschichte und -- was
viele frappieren wird ein außergewöhnliches Quantum Poesie, Daß er
unsre Klassiker und Shakespeare im Kopfe hatte, ist nichts neues. Aber der
Braut teilt er Monate hindurch lange Gedichte und Auszüge aus englischen
und französischen Dichtern mit, Bhron liebt er, von Thomas Moore hat er
eine geringe Meinung, Von den Deutschen bevorzugt er die Melancholiker,
Lenau voran. Er hat auch Jean Paul gelesen, aber sein Hauptfach bleiben
die reimenden Lyriker. Von da ists nicht weit zur Musik. Mau hört zu¬
weilen: Bismarck sei unmusikalisch gewesen. Dem widerspricht schon, daß er
in Frankfurt, in Berlin, in Friedrichsruh gern Musiker zu sich einlud, nicht
bloß der Fürstin zuliebe, die ja selbst vorzüglich Klavier spielte. Sondern
er ging dabei nach seinem eignen Geschmack und hielt sich an das Phänomenale.
Große Stimmen wie Karl Hin, Emil Scaria hörte er gern, von Instrumental-
virtuosen Joseph Joachim. In den von früher bekannten Briefen an die Gattin
und die Schwester ist viel von Veethovenschen sonnten die Rede. So auch
hier. Daneben aber auch vou Schubertschen Liedern, von ungarischer Musik,
von Don Juan, von Morlachischen Messen, von musikalischen Herren und
Damen in der Diplomatenwelt; mit Moll- und Durtonarten operiert er
in'el zur Verdeutlichung von Stimmungen. Daß er aber in der Musik ein
Urteil hatte, durch das er manchen Fachmann beschämen könnte, bezeugen zwei
merkwürdige Stellen. Die eine spricht sich für Beschränkung des Gemeinde¬
gesangs zu Gunsten guter Chormusik in der Kirche aus (10. September 1849).
die andre schildert, wie Meyerbeer in einem Zimmer über Bismarck am Klavier
"kranke, wütende Musik" komponiert, immer je zehn oder zwölf Takte, die er
fortwährend wiederholt und ändert (1857),


Grenzboten I 1901 40
Ans der Zeit des werdenden Bismarcks

Daß etwas Richtiges in diesem barocken Gedanken steckt, beweisen die
neuen Briefe sehr stark. Seine Unabhängigkeit und Urwüchsigkeit verdankt
Bismarck zum großen Teil dem Umstände, daß er die entscheidenden Entwick-
lungsjahre fern von der Großstadt verbrachte. Das Landleben war auf die
Richtung seines Charakters und noch mehr seiner Bildung von demselben Einfluß,
wie der religiöse Sinn seiner Frau auf die Weltanschauung, die ihn beseelte.
Hier erwarb er sich die Freiheit von Moden jeder Art und das ungeheure
Wissen auf erstaunlich vielen Gebieten. Unberührt von den Lockungen schaler
Geselligkeit stellte er sich für seine freie Zeit ein geistiges Pensum, wie es
nur wenige jemals bewältigt haben, Die frische Luft in Wald und Feld
nahm den Tagesfragen, wenn sie bis Kniephof und Schönhausen kamen, alle
künstliche Hitze und ließ ihn kühl und klar zum richtigen Maßstab greisen, wo
die andern übertrieben und verkleinerten. Was Bismarck in den Jahren, wo
er die väterlichen Güter wieder in die Höhe brachte, alles studiert hat, das
erfahren wir in diesen neuen Briefen zum erstenmal. Die Naturwissenschaften
sind darunter, die Chemie vor allem brauchte er für die Wirtschaft; zu seinem
Vergnügen trieb er neue Sprachen, Nach Tisch ruht er sich immer mit
einer Grammatik aus und freut sich, als er die Braut auch spanisch und
Polnisch begrüße» kann. Neben den Sprachen stand die Geschichte und — was
viele frappieren wird ein außergewöhnliches Quantum Poesie, Daß er
unsre Klassiker und Shakespeare im Kopfe hatte, ist nichts neues. Aber der
Braut teilt er Monate hindurch lange Gedichte und Auszüge aus englischen
und französischen Dichtern mit, Bhron liebt er, von Thomas Moore hat er
eine geringe Meinung, Von den Deutschen bevorzugt er die Melancholiker,
Lenau voran. Er hat auch Jean Paul gelesen, aber sein Hauptfach bleiben
die reimenden Lyriker. Von da ists nicht weit zur Musik. Mau hört zu¬
weilen: Bismarck sei unmusikalisch gewesen. Dem widerspricht schon, daß er
in Frankfurt, in Berlin, in Friedrichsruh gern Musiker zu sich einlud, nicht
bloß der Fürstin zuliebe, die ja selbst vorzüglich Klavier spielte. Sondern
er ging dabei nach seinem eignen Geschmack und hielt sich an das Phänomenale.
Große Stimmen wie Karl Hin, Emil Scaria hörte er gern, von Instrumental-
virtuosen Joseph Joachim. In den von früher bekannten Briefen an die Gattin
und die Schwester ist viel von Veethovenschen sonnten die Rede. So auch
hier. Daneben aber auch vou Schubertschen Liedern, von ungarischer Musik,
von Don Juan, von Morlachischen Messen, von musikalischen Herren und
Damen in der Diplomatenwelt; mit Moll- und Durtonarten operiert er
in'el zur Verdeutlichung von Stimmungen. Daß er aber in der Musik ein
Urteil hatte, durch das er manchen Fachmann beschämen könnte, bezeugen zwei
merkwürdige Stellen. Die eine spricht sich für Beschränkung des Gemeinde¬
gesangs zu Gunsten guter Chormusik in der Kirche aus (10. September 1849).
die andre schildert, wie Meyerbeer in einem Zimmer über Bismarck am Klavier
»kranke, wütende Musik" komponiert, immer je zehn oder zwölf Takte, die er
fortwährend wiederholt und ändert (1857),


Grenzboten I 1901 40
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[0321] Ans der Zeit des werdenden Bismarcks Daß etwas Richtiges in diesem barocken Gedanken steckt, beweisen die neuen Briefe sehr stark. Seine Unabhängigkeit und Urwüchsigkeit verdankt Bismarck zum großen Teil dem Umstände, daß er die entscheidenden Entwick- lungsjahre fern von der Großstadt verbrachte. Das Landleben war auf die Richtung seines Charakters und noch mehr seiner Bildung von demselben Einfluß, wie der religiöse Sinn seiner Frau auf die Weltanschauung, die ihn beseelte. Hier erwarb er sich die Freiheit von Moden jeder Art und das ungeheure Wissen auf erstaunlich vielen Gebieten. Unberührt von den Lockungen schaler Geselligkeit stellte er sich für seine freie Zeit ein geistiges Pensum, wie es nur wenige jemals bewältigt haben, Die frische Luft in Wald und Feld nahm den Tagesfragen, wenn sie bis Kniephof und Schönhausen kamen, alle künstliche Hitze und ließ ihn kühl und klar zum richtigen Maßstab greisen, wo die andern übertrieben und verkleinerten. Was Bismarck in den Jahren, wo er die väterlichen Güter wieder in die Höhe brachte, alles studiert hat, das erfahren wir in diesen neuen Briefen zum erstenmal. Die Naturwissenschaften sind darunter, die Chemie vor allem brauchte er für die Wirtschaft; zu seinem Vergnügen trieb er neue Sprachen, Nach Tisch ruht er sich immer mit einer Grammatik aus und freut sich, als er die Braut auch spanisch und Polnisch begrüße» kann. Neben den Sprachen stand die Geschichte und — was viele frappieren wird ein außergewöhnliches Quantum Poesie, Daß er unsre Klassiker und Shakespeare im Kopfe hatte, ist nichts neues. Aber der Braut teilt er Monate hindurch lange Gedichte und Auszüge aus englischen und französischen Dichtern mit, Bhron liebt er, von Thomas Moore hat er eine geringe Meinung, Von den Deutschen bevorzugt er die Melancholiker, Lenau voran. Er hat auch Jean Paul gelesen, aber sein Hauptfach bleiben die reimenden Lyriker. Von da ists nicht weit zur Musik. Mau hört zu¬ weilen: Bismarck sei unmusikalisch gewesen. Dem widerspricht schon, daß er in Frankfurt, in Berlin, in Friedrichsruh gern Musiker zu sich einlud, nicht bloß der Fürstin zuliebe, die ja selbst vorzüglich Klavier spielte. Sondern er ging dabei nach seinem eignen Geschmack und hielt sich an das Phänomenale. Große Stimmen wie Karl Hin, Emil Scaria hörte er gern, von Instrumental- virtuosen Joseph Joachim. In den von früher bekannten Briefen an die Gattin und die Schwester ist viel von Veethovenschen sonnten die Rede. So auch hier. Daneben aber auch vou Schubertschen Liedern, von ungarischer Musik, von Don Juan, von Morlachischen Messen, von musikalischen Herren und Damen in der Diplomatenwelt; mit Moll- und Durtonarten operiert er in'el zur Verdeutlichung von Stimmungen. Daß er aber in der Musik ein Urteil hatte, durch das er manchen Fachmann beschämen könnte, bezeugen zwei merkwürdige Stellen. Die eine spricht sich für Beschränkung des Gemeinde¬ gesangs zu Gunsten guter Chormusik in der Kirche aus (10. September 1849). die andre schildert, wie Meyerbeer in einem Zimmer über Bismarck am Klavier »kranke, wütende Musik" komponiert, immer je zehn oder zwölf Takte, die er fortwährend wiederholt und ändert (1857), Grenzboten I 1901 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/321>, abgerufen am 25.07.2024.