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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Alte und neue weit^init

Deutschen, da von deren rechtlicher Überordnung über die andern Völker so
wenig die Rede war, wie heute im russischen Reiche von einer Überordnung
der Russen über die andern Stämme, wohl aber die Vormachtstellung des
deutscheu Reichs, den Vorrang für sich selbst vor allen andern Herrschern der
abendländischen Christenheit, die ihre Vasallen waren oder doch sein sollten,
Ihr Ideal war also nicht auf deutschem Boden erwachsen, sondern beruhte
auf einer fremden Tradition.

Wie anders heute! Das heutige Deutschland hat auch an eine mächtige,
ruhmvolle Tradition angeknüpft, eben an sein altes Kaisertum. Ja man wird
sagen dürfen, daß die Notwendigkeit, das Reich zu erneuern, den breiten Volks¬
schichten ohne diese Erinnerungen nicht so eingeleuchtet hätte, wie es geschehn
ist; nur dieser Tradition verdanken wir den populären Kaisertitel, der zugleich
der einzig mögliche war, nachdem sich die mächtigsten, die weltlichen Kurfürsten
in Könige verwandelt hatten; nur auf dieser Erfahrung beruht die Erblichkeit
der neuen Kaiserwürde und damit ihre unzertrennliche Verbindung mit dem
mächtigsten deutschen Staate, Dinge, die uoch 1848/49 auch von so edeln
Patrioten wie L, Uhland heftig bestritten worden find. Aber die Ziele des
neuen Kaisertums sind nicht die des alten. Unsre mittelalterlichen Kaiser
führten ihren Titel von Rom, unser jetziges Reichsoberhanpt nennt sich mit
einer ganz neuen Titulatur schlechtweg Deutscher Kaiser. Damit ist der streng
nationale Charakter des neuen Kaisertums klar und deutlich ausgedrückt, darin
liegt ein bewußter und rückhaltloser Verzicht auf jede Herrschaft über andre
Völker des europäischen Kreises. Ja das neue Deutschland wurde nur da¬
durch möglich, daß es ans Deutsch-Österreich verzichtete, nachdem schmerzliche
Erfahrungen bewiesen hatten, daß seine Einfügung in einen deutschen Bundes¬
staat undenkbar war, und seitdem ist nicht der leiseste Versuch gemacht worden,
mit Ansprüchen auf Österreich, Belgien, Holland und andre Gebiete deutscher
oder verwandter Nationalität, die doch alle einst zum alten Reiche gehörten,
hervorzutreten. Was eine ferne Zukunft bringen wird, wer kann das wissen?
Aber durch feurige Reden und Wünsche wird sie nicht heraufbeschworen; nur
das Bewußtsein des nationalen Zusammenhangs mit den Volksgenossen jen¬
seits der Reichsgrenze zu pflegen und zu beleben kann unsre Aufgabe sein.
Die Ziele unsrer neuen Weltpolitik liegen also nicht in Europa, sondern jen¬
seits des Meeres; unsre Zukunft als Weltmacht liegt auf dem Wasser! Aber
der Ausdruck "Weltmacht," "Weltreich" hat heute einen ganz andern Sinn
als früher; ein modernes Weltreich hat nichts mehr von der Ausschließlichkeit,
d^ früher diesen, Begriffe anhaftete. Die antiken und die mittelalterlichen
Weltreiche wollten alle innerhalb des Kulturkreises, den sie übersahen, allein
herrschen. Darum ist dem gesamten Altertum eine Gesellschaft selbständig und
gleichberechtigt nebeneinander stehender Staaten unbekannt; es hieß immer
Amboß sein oder Hammer, bis der stärkste Staat sie alle beherrschte. Im
Mittelalter standen sich auf demselben Boden der christlich-abendländische und
der mohammedanisch-morgenländische Kulturkreis in grundsätzlicher Feindschaft


Alte und neue weit^init

Deutschen, da von deren rechtlicher Überordnung über die andern Völker so
wenig die Rede war, wie heute im russischen Reiche von einer Überordnung
der Russen über die andern Stämme, wohl aber die Vormachtstellung des
deutscheu Reichs, den Vorrang für sich selbst vor allen andern Herrschern der
abendländischen Christenheit, die ihre Vasallen waren oder doch sein sollten,
Ihr Ideal war also nicht auf deutschem Boden erwachsen, sondern beruhte
auf einer fremden Tradition.

Wie anders heute! Das heutige Deutschland hat auch an eine mächtige,
ruhmvolle Tradition angeknüpft, eben an sein altes Kaisertum. Ja man wird
sagen dürfen, daß die Notwendigkeit, das Reich zu erneuern, den breiten Volks¬
schichten ohne diese Erinnerungen nicht so eingeleuchtet hätte, wie es geschehn
ist; nur dieser Tradition verdanken wir den populären Kaisertitel, der zugleich
der einzig mögliche war, nachdem sich die mächtigsten, die weltlichen Kurfürsten
in Könige verwandelt hatten; nur auf dieser Erfahrung beruht die Erblichkeit
der neuen Kaiserwürde und damit ihre unzertrennliche Verbindung mit dem
mächtigsten deutschen Staate, Dinge, die uoch 1848/49 auch von so edeln
Patrioten wie L, Uhland heftig bestritten worden find. Aber die Ziele des
neuen Kaisertums sind nicht die des alten. Unsre mittelalterlichen Kaiser
führten ihren Titel von Rom, unser jetziges Reichsoberhanpt nennt sich mit
einer ganz neuen Titulatur schlechtweg Deutscher Kaiser. Damit ist der streng
nationale Charakter des neuen Kaisertums klar und deutlich ausgedrückt, darin
liegt ein bewußter und rückhaltloser Verzicht auf jede Herrschaft über andre
Völker des europäischen Kreises. Ja das neue Deutschland wurde nur da¬
durch möglich, daß es ans Deutsch-Österreich verzichtete, nachdem schmerzliche
Erfahrungen bewiesen hatten, daß seine Einfügung in einen deutschen Bundes¬
staat undenkbar war, und seitdem ist nicht der leiseste Versuch gemacht worden,
mit Ansprüchen auf Österreich, Belgien, Holland und andre Gebiete deutscher
oder verwandter Nationalität, die doch alle einst zum alten Reiche gehörten,
hervorzutreten. Was eine ferne Zukunft bringen wird, wer kann das wissen?
Aber durch feurige Reden und Wünsche wird sie nicht heraufbeschworen; nur
das Bewußtsein des nationalen Zusammenhangs mit den Volksgenossen jen¬
seits der Reichsgrenze zu pflegen und zu beleben kann unsre Aufgabe sein.
Die Ziele unsrer neuen Weltpolitik liegen also nicht in Europa, sondern jen¬
seits des Meeres; unsre Zukunft als Weltmacht liegt auf dem Wasser! Aber
der Ausdruck „Weltmacht," „Weltreich" hat heute einen ganz andern Sinn
als früher; ein modernes Weltreich hat nichts mehr von der Ausschließlichkeit,
d^ früher diesen, Begriffe anhaftete. Die antiken und die mittelalterlichen
Weltreiche wollten alle innerhalb des Kulturkreises, den sie übersahen, allein
herrschen. Darum ist dem gesamten Altertum eine Gesellschaft selbständig und
gleichberechtigt nebeneinander stehender Staaten unbekannt; es hieß immer
Amboß sein oder Hammer, bis der stärkste Staat sie alle beherrschte. Im
Mittelalter standen sich auf demselben Boden der christlich-abendländische und
der mohammedanisch-morgenländische Kulturkreis in grundsätzlicher Feindschaft


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[0309] Alte und neue weit^init Deutschen, da von deren rechtlicher Überordnung über die andern Völker so wenig die Rede war, wie heute im russischen Reiche von einer Überordnung der Russen über die andern Stämme, wohl aber die Vormachtstellung des deutscheu Reichs, den Vorrang für sich selbst vor allen andern Herrschern der abendländischen Christenheit, die ihre Vasallen waren oder doch sein sollten, Ihr Ideal war also nicht auf deutschem Boden erwachsen, sondern beruhte auf einer fremden Tradition. Wie anders heute! Das heutige Deutschland hat auch an eine mächtige, ruhmvolle Tradition angeknüpft, eben an sein altes Kaisertum. Ja man wird sagen dürfen, daß die Notwendigkeit, das Reich zu erneuern, den breiten Volks¬ schichten ohne diese Erinnerungen nicht so eingeleuchtet hätte, wie es geschehn ist; nur dieser Tradition verdanken wir den populären Kaisertitel, der zugleich der einzig mögliche war, nachdem sich die mächtigsten, die weltlichen Kurfürsten in Könige verwandelt hatten; nur auf dieser Erfahrung beruht die Erblichkeit der neuen Kaiserwürde und damit ihre unzertrennliche Verbindung mit dem mächtigsten deutschen Staate, Dinge, die uoch 1848/49 auch von so edeln Patrioten wie L, Uhland heftig bestritten worden find. Aber die Ziele des neuen Kaisertums sind nicht die des alten. Unsre mittelalterlichen Kaiser führten ihren Titel von Rom, unser jetziges Reichsoberhanpt nennt sich mit einer ganz neuen Titulatur schlechtweg Deutscher Kaiser. Damit ist der streng nationale Charakter des neuen Kaisertums klar und deutlich ausgedrückt, darin liegt ein bewußter und rückhaltloser Verzicht auf jede Herrschaft über andre Völker des europäischen Kreises. Ja das neue Deutschland wurde nur da¬ durch möglich, daß es ans Deutsch-Österreich verzichtete, nachdem schmerzliche Erfahrungen bewiesen hatten, daß seine Einfügung in einen deutschen Bundes¬ staat undenkbar war, und seitdem ist nicht der leiseste Versuch gemacht worden, mit Ansprüchen auf Österreich, Belgien, Holland und andre Gebiete deutscher oder verwandter Nationalität, die doch alle einst zum alten Reiche gehörten, hervorzutreten. Was eine ferne Zukunft bringen wird, wer kann das wissen? Aber durch feurige Reden und Wünsche wird sie nicht heraufbeschworen; nur das Bewußtsein des nationalen Zusammenhangs mit den Volksgenossen jen¬ seits der Reichsgrenze zu pflegen und zu beleben kann unsre Aufgabe sein. Die Ziele unsrer neuen Weltpolitik liegen also nicht in Europa, sondern jen¬ seits des Meeres; unsre Zukunft als Weltmacht liegt auf dem Wasser! Aber der Ausdruck „Weltmacht," „Weltreich" hat heute einen ganz andern Sinn als früher; ein modernes Weltreich hat nichts mehr von der Ausschließlichkeit, d^ früher diesen, Begriffe anhaftete. Die antiken und die mittelalterlichen Weltreiche wollten alle innerhalb des Kulturkreises, den sie übersahen, allein herrschen. Darum ist dem gesamten Altertum eine Gesellschaft selbständig und gleichberechtigt nebeneinander stehender Staaten unbekannt; es hieß immer Amboß sein oder Hammer, bis der stärkste Staat sie alle beherrschte. Im Mittelalter standen sich auf demselben Boden der christlich-abendländische und der mohammedanisch-morgenländische Kulturkreis in grundsätzlicher Feindschaft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/309>, abgerufen am 24.07.2024.